Klaus Mann

Klaus Mann - Das literarische Werk


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so engelhaft blanke Stirn!‹ – Mathes bemerkte Marions neidisch-zärtlichen Blick. Er nickte ihr zu und lächelte, als wollte er sagen: Ist sie nicht unvergleichlich? Ich finde, daß sie durchaus unvergleichlich ist!

      Die drei Burschen, die aus Deutschland kamen, wurden ausgefragt; während sie ihre Erbsensuppe mit Wurst verzehrten, mußten sie nochmals all ihre Neuigkeiten auspacken. Meisjens Gesicht verfinsterte sich zürnend, wie das eines gekränkten Engels, als von den sadistischen Schikanen die Rede war, mit denen SS-Leute ihre Gefangenen quälten.

      Auch am Nebentisch unterbrach man die Unterhaltung, um zuzuhören. Dort saß die Proskauer mit Germaine Rubinstein und dem jungen Helmut Kündinger. Die Proskauer arbeitete seit einigen Wochen in einem Comité für jüdische Flüchtlinge. Auf ihrem schrägen Nacken und den schmalen, gesenkten Schultern schien sie allen Kummer der Unglücklichen zu tragen, die sie betreuen half, und ihre raunende Stimme war voll von den tristen Geheimnissen, die ihr anvertraut wurden. »Das Elend ist unbeschreiblich«, murmelte sie oft. Mehr war kaum aus ihr herauszukriegen.

      Helmut Kündinger sprach immer noch ziemlich viel und wehmutsvoll von Göttingen und seinem Freund, der sich erschossen hatte. Manchmal packte die Heimwehkrankheit ihn wie eine schwere Grippe. Die Attacke dauerte ein paar Stunden oder ein paar Tage. Dann überwand er sie wieder. Neuerdings hatte das labile Selbstbewußtsein des schüchternen Jünglings eine gewisse Stärkung erfahren; ein untergeordneter, aber doch nicht ganz unwichtiger Posten an der neugegründeten Tageszeitung war ihm anvertraut worden. Er durfte Korrekturen lesen und zuweilen auch selber etwas einrücken lassen. Seine Artikel handelten meistens von den Verhältnissen an den deutschen Universitäten. In diesem Milieu kannte er sich aus, und die Journalisten bestätigten ihm, daß er brauchbare Arbeit tue. Nun konnte er, im »Café du Dôme« oder bei der Schwalbe, gelegentlich auf die Uhr sehen und nervös aufspringen: »Mein Gott – ich muß in die Redaktion! Es ist Zeit zum Umbruch!« Oder er durfte abends mit bedeutsamer Miene sagen: »Ihr entschuldigt mich, bitte! Ich habe noch einen Aufsatz für die Sonntagsnummer fertigzumachen …«

      Man richtete sich ein im Exil. Es dauerte kaum ein halbes Jahr und war doch schon kein Abenteuer mehr, sondern gewohnter Zustand. Alle hatten Pläne, die meisten schon irgendeine Beschäftigung, und manche verdienten sogar etwas Geld. Man bewegte sich in der fremden Stadt fast schon mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie einst in der Heimat; man hatte seine Stammlokale, seinen Bekanntenkreis. Aus dem Reich kam immer neuer Zustrom. Die »alteingesessenen Emigranten« empfingen die eben erst angekommenen nicht ohne einen gewissen Hochmut. »Habt ihr es nun auch eingesehen, daß man bei den Nazis nicht leben kann?« fragten sie, etwas mitleidig und etwas höhnisch. »Na, nun sollen wir euch wohl erst mal was von Paris zeigen!« – Man blieb unter sich, sprach immer noch deutsch miteinander. Die politisch Aktiven hatten zwar den Kontakt mit französischen Gesinnungsgenossen aufgenommen: man unterzeichnete zusammen Proteste; auch gemeinsame Versammlungen und Demonstrationen wurden geplant. Aber diese Beziehungen waren zunächst aufs Sachliche beschränkt. Marcel war einer der wenigen unter den Pariser Schriftstellern, der mit den deutschen Emigranten freundschaftlich-intim verkehrte.

      Auch mit den übrigen internationalen Emigranten, von denen die Stadt wimmelte, hatte man wenig Umgang. Von den weißrussischen Exilierten distanzierte man sich schon aus politischen Gründen. Marion und Madame Rubinstein zum Beispiel sahen sich jetzt viel seltener, als es früher bei den Pariser Aufenthalten Marions der Fall gewesen war. Hingegen erschien die ernste kleine Germaine immer häufiger in der »Schwalbe«; man durfte sie beinah schon zu den Stammgästen rechnen. Das Zusammensein mit den deutschen Antifaschisten, die noch kämpferisch gestimmt waren und auf eine bessere Zukunft hofften, behagte ihr besser als der Verkehr mit den resignierten, verbitterten oder stumpf gewordenen Freunden ihrer Eltern oder als das Geplauder mit den kleinen Pariser Mädchen, die ihre Kolleginnen im Modesalon waren. »Die haben doch nur ihre Flirts im Kopf«, meinte sie verächtlich. Und sie gestand Marion, daß sie immer noch, und immer heftiger, von der Rückkehr nach Moskau träume. »Gestern habe ich mir einen neuen russischen Film angesehen«, sagte sie zur Proskauer. »Alle Gesichter, die auf die Leinwand kamen, hatten so ein Leuchten … Es waren gar nicht lauter schöne Gesichter; aber wenn sie lachten, konnte man sich in jedes von ihnen verlieben. Ich kann es gar nicht beschreiben … Ich war nachher so traurig – und so froh wie schon lange nicht. Wenn Mama mir nur erlauben wollte …« flüsterte sie und blickte scheu um sich, als könnte Anna Nikolajewna sie hören.

      »Vermutlich ein älterer Film«, murmelte verständig die Proskauer, wozu die kleine Germaine zornig die Achseln zuckte.

      Die Schwalbe, Zigarre im Mund, Arme breit in die Hüften gestemmt, ging zwischen den Tischen umher und erkundigte sich bei den Gästen, ob das Essen schmecke. »Ausgezeichnet!« lobte Marion. »Es wird immer feiner bei dir, und immer voller. Ich glaube, dein Laden geht besser als alle anderen von Paris. Bobby Sedelmayer könnte sich gratulieren, wenn er nur die Hälfte von deinen Gästen hätte.«

      Bobbys Lokal hieß »The Rix-Rax-Bar« und war verlockend aufgemacht; leider blieb der Erfolg mäßig. Für die Emigranten waren die Drinks zu teuer, und die Pariser große Lebewelt frequentierte kaum ein Dancing, das von einem unbekannten Deutschen geleitet wurde. Die Jazzkapelle war gut, der Mixer galt für eine Kapazität in seinem Fach, die Dekorierung der Wände stammte von einem jungen Maler, den man in Kennerkreisen als einen »aufgehenden Stern« bezeichnete. Übrigens lag das Lokal günstig, nicht weit von der Avenue de l’Opéra. Es waren aber nur ein paar durchreisende Amerikaner und einige wohlhabende Geschäftsleute aus dem Berliner Westen, die sich, in nicht besonders heiterer Laune, hier zusammenfanden. Bobby, sehr adrett in seinem zweireihigen Smoking, eine große weiße Nelke im Knopfloch, empfing alle mit dem gleichen gastlichen Lächeln und versuchte optimistisch auszusehen. Besonders wenn Siegfried Bernheim erschien, strahlte Bobby; der Bankier behielt trotzdem den verdrossenen Gesichtsausdruck. Er hatte zuviel Geld in dieses Unternehmen gesteckt, und schon wurde ihm klar, daß es nicht rentierte. Bobby sagte aufgeräumt: »Heute abend ist es ausnahmsweise nicht besonders voll bei mir. Ist ja selbstverständlich, bei der Hitze! Wer bleibt denn jetzt in Paris?« Aber Bernheim schüttelte nur düster den Kopf. Er reiste schlechter Laune nach Mallorca ab. Professor Samuel begleitete ihn.

      Die Schwalbe war natürlich doch ein wenig schadenfroh, was die »Rix-Rax-Bar« betraf. »Bobby wollte es eben gar zu schick haben«, tadelte sie. »Die Zeiten sind nicht danach.« Aber als dann Marion nett von Bobby sprach – er sei ein so lieber Kerl und sein Mißerfolg tue ihr leid – war es die Schwalben-Wirtin selber, die vorschlug: »Wir sollten nächstens mal alle zusammen abends zu ihm gehen. Ich lade euch ein – aber keiner darf sich mehr als einen Cocktail bestellen; sonst bin ich ruiniert. – Und überhaupt«, fügte sie brummend hinzu, »ist es eine Sünde, heutzutage dreißig Francs für ein bißchen Gin rauszuschmeißen, in dem eine Olive und eine halbe Orchidee schwimmen; das ist dann der neu erfundene ›Rix-Rax-Cocktail‹ …« – »Bobby ist immer sehr hilfreich und gefällig, wenn er selber was hat«, bemerkte Marion noch. »Er sieht jetzt oft sorgenvoll aus. Weiß Gott, wie viele Leute er ernähren muß …« Marion hatte eine Schwäche für den unternehmungslustigen kleinen Mann mit den blendenden weißen Haaren.

      Sie wurde ans Telefon gerufen. Es war Marcel. »Ich spreche aus Martins Zimmer«, sagte er.

      Martin und Kikjou hausten zusammen in einem kleinen Hotel, das gleich neben dem »National« in der Rue Jacob lag. Seit Monaten hatten sie sich nicht einen Tag mehr getrennt. Kikjou war damals, im April, von seinem Ausflug zum frommen Oheim in Belgien nach einer Woche zurückgekommen. Der enge Raum im »National« war auf die Dauer zu eng für die beiden Freunde geworden. Das Zimmer, das sie nun im Nebenhaus bezogen hatten, ging eigentlich weit über ihre Verhältnisse. Es war ein geräumiges Studio mit eigenem Bad und großem Atelierfenster, durch das man den Blick weit über die Dächer des Quartiers hatte. Das Appartement kostete fünfhundert Francs im Monat; an jedem Ersten mußte Kikjou eine neue List ersinnen, um den Onkel in Lausanne weich zu stimmen – der fromme in Belgien schien finanziell nicht in Frage zu kommen – oder Martin sah sich genötigt, einen bewegenden Brief an alte Korellas abzufassen. Manchmal blieben die Gemüter hart, und die Geldsendungen aus Berlin wurden, durch die deutschen Devisengesetze, ohnedies immer mehr erschwert. Dann gab es dramatische Auftritte mit der Patronne, die zornig drohte, die beiden jungen Leute aus dem Hotel zu werfen und ihr Gepäck zu