Klaus Mann

Klaus Mann - Das literarische Werk


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warf ihm einen Morgenrock zu. »Du siehst unanständig aus«, bemerkte er und grimassierte, als ekelte ihn der Anblick.

      Marcel hatte auf Kikjous bloßer, unbehaarter Brust das kleine goldene Kruzifix entdeckt. Der Anlaß kam ihm gelegen, um sich gleich mit Feuereifer in die Diskussion zu stürzen, auf die er sich beinah immer einließ, wenn er Kikjou sah. »Natürlich!« höhnte er, »den häßlichen kleinen Fetisch trägst du auf deinem Herzen! Merde alors!«

      »Sei still!« bat der andere ihn sanft und schützte das heilige Ding mit zärtlich gewölbten Händen, als wollte Marcel es ihm vom Halse reißen. Dem schien wirklich nach irgendeiner Aktion solcher Art zumute zu sein. »Es ist eine Schande!« polterte er. »Überall auf der Welt geht die Kirche mit der Reaktion, in allen Ländern macht sie gemeinsame Sache mit den Feinden des Fortschritts, mit den Ausbeutern, oder auch mit den faschistischen Mördern – und du hängst dir diesen Firlefanz um den Hals! Dabei bildest du dir auch noch ein, eine linke Gesinnung zu haben, und treibst dich mit Leuten herum, die von dem Faschistenpack aus ihrer Heimat vertrieben worden sind!« Marcel ließ wegwerfende Blicke über die hübsche Gestalt des schmalen Knaben hingleiten, der seine Nacktheit jetzt notdürftig bekleidet hatte.

      Kikjou erlaubte sich einen Einwand. »Soviel ich weiß, werden die Katholiken im Dritten Reich fast ebenso schrecklich verfolgt wie die Juden und Sozialisten. Alles spricht dafür, daß die Feindschaft zwischen den Christen und Nazis sich noch verschärfen anstatt mildern wird.«

      »Das ist Zufall«, behauptete Marcel gereizt. »Die Herren Bischöfe würden sich mit dem ›Führer‹ herzlich gern abfinden, wenn sich der nur um eine Nuance entgegenkommender ihnen gegenüber verhielte. Man sieht es doch in Italien: das Gentlemen’s Agreement zwischen Mussolini und dem Papst scheint zu funktionieren.«

      Kikjou versetzte, sanft und eigensinnig, übrigens nicht ohne Feierlichkeit: »In Deutschland wird es Märtyrer des Glaubens geben.«

      »Märtyrer des Glaubens gibt es dort schon«, warf Marcel zornig dazwischen. »Des sozialistischen Glaubens nämlich!«

      »Sind die Christen, die den Kerker oder Schlimmeres auf sich nehmen, weniger bewundernswert?« Kikjou sandte einen großen, ernst fragenden Blick der schimmernden Augen, die unter ihren gewölbten Brauen den Augen Marcels so sehr glichen.

      Marcel wollte nicht weiter von den christlichen Märtyrern in Deutschland sprechen. »Die Kirche ist aus leicht durchschaubaren Gründen immer und überall gegen den sozialen Fortschritt gewesen«, beharrte er. »Nach der Französischen Revolution war der Papst der erste, der sich gegen die Proklamation der Menschenrechte erklärte. In Spanien wollen die Priester, Hunderttausende sollen Analphabeten bleiben, nur damit die kleinen Bauern und Landarbeiter sich ohne Widerstand von den Großgrundbesitzern ausnutzen lassen, stumpfsinnig wie das Vieh. Dort wird es auf besonders krasse Art deutlich, welche Rolle die Kirche spielt und am liebsten überall spielen möchte. Sie tut alles dafür, damit das Land, geistig und ökonomisch, in einem mittelalterlichen Zustand bleibe. Dann könnte man die heilige Inquisition wieder einführen und die Ketzer brennen lassen, merde alors. Wenn es in Spanien einmal Revolution gibt – und die kann nicht ausbleiben – dann werden diese verdammten Priester es sein, an denen das Volk sich am grausamsten rächt!« Marcel hatte blutdürstige Augen.

      Martin konnte das furchtbar schnell gesprochene Französisch nicht ganz verstehen. Übrigens war er schon mehrfach Zeuge ähnlicher Debatten gewesen, und sie langweilten ihn etwas. Deshalb zog er sich nun ins Badezimmer zurück. »Ich gehe«, sprach er noch, mit würdevoller Miene, ehe er die Tür hinter sich schloß, »um dem Heiligen Vater eine Ansichtskarte zu schreiben. Der arme Mann muß doch wissen, was für unerbittliche Feinde er hat …« Dann ließ er drinnen das heiße Wasser in die Wanne rauschen.

      Kikjou, noch immer vom Bett her, sagte leise: »Es gibt falsche Priester. Ich verteidige sie nicht. Jede große Sache hat unwürdige Diener, neben den verdienstvollen; auch der Sozialismus. Die spanischen Kleriker mögen irren, sie sind menschliche Wesen, höchst fehlbar. Die deutschen Priester beweisen, daß die allein seligmachende Kirche im Grunde auf der Seite des menschlichen Rechtes steht. Der Mut, den diese frommen Männer zeigen, kann nur aus innerer Erleuchtung – muß aus der Gnade kommen.«

      »Dasselbe ließe sich von den kommunistischen Arbeitern behaupten, die auch nicht gerade feige sind«, versetzte Marcel, zornig und geschwind. »Nur bei den Pfarrern läßt Zivilcourage auf Gnade schließen! – So niederträchtigen Unsinn bin ich gewöhnt, von Madame Poiret zu vernehmen – wenn ich der ekelhaften Person überhaupt noch zuhöre. In Wahrheit ist es aber doch so, daß diese Herren vielleicht in einigen Fällen Mut bewähren mögen, aber für die falsche, verlorene, überwundene oder zu überwindende Sache; für einen Aberglauben, durch den der Fortschritt seit Jahrhunderten bösartig gehemmt worden ist. Kann der Mut des Menschen denn ein anderes Ziel haben als die materielle und moralische Besserung seines Schicksals?! Die Priester lenken den Menschen von der einzigen Sorge ab, die ihn wirklich zu beschäftigen hätte: von der Sorge um sein eigenes Wohlergehen. Als Ersatz für Annehmlichkeiten, die er sich hier nicht verschaffen darf, winkt ein Jenseits – an dem das einzig Gute ist, daß es nicht existiert; denn seine Langweiligkeit wäre unvorstellbar. – Wir wollen aber nicht warten bis zum Jüngsten Tag!« Marcel stand mitten im Zimmer wie auf einer Tribüne und schrie den Jungen im Bett mit Donnerstimme an, als wendete er sich an eine widerspenstige Masse. Die Augen sandten Strahlen; er hob die Faust. »Hier soll es hell werden!« verlangte er stürmisch. »Hier – wo wir leben und uns plagen!! – Es wird hell sein!« verkündete er entzückt, als wäre ihm gerade jetzt von kompetenter Seite diese Mitteilung gekommen. »Weit hinten am Horizont sehe ich eine feurige und schwefelnde Sonne. Sie ist so stark, daß ihre Strahlen viel versengen werden – sehr wohl möglich, daß sie einen Feuerbrand anrichtet. Aber die Dunkelheit nimmt sie fort!«

      Marcel liebte es, und es unterhielt ihn sehr, vor dem kleinen Kikjou Christum und Kirche anzuklagen, und eine bevorstehende »klassenlose, kirchenlose, grenzenlose Gesellschaft« zu preisen. Das erregte Gespräch, das sie vormittags im Hotelzimmer begannen, setzten sie zuweilen bis in den Nachmittag oder Abend fort: auf Spaziergängen, in einem Café oder in Marcels kleiner Wohnung, draußen in Auteuil. Marcel redete und redete – fieberhaft eilig, höhnisch und pathetisch, grob und zärtlich, ekstatisch und vulgär. Welche Angst hatte er denn zu betäuben mit dieser Sturzflut von Worten …? Er war geplagt von Ideen, wie ein anderer von Schmerzen. Jeder Gedanke, wenn man ihn nur bis zur letzten Konsequenz zu Ende dachte, bedeutete Verpflichtung, alarmierendes Programm, Aufforderung zur Tat. Auch die Zweifel blieben nicht immer aus, und es kamen Leiden.

      Entschlossen mutig, wie ein Schwimmer sich in kaltes Wasser wirft, stürzte Marcel Poiret sich in die intellektuellen Komplikationen. »Das Einfache ist stets nur das Vereinfachte!« proklamierte er. Andererseits quälte es ihn, daß die schillernde Zusammengesetztheit seines Denkens ihn den einfachen Kämpfern, den »Soldaten der Revolution«, entfremdete. Die Manifeste und Pamphlete, die er verfaßte, verwirrten durch ihre Gedankenfülle wie durch den fulminanten Stil. Die Abonnenten der marxistischen Tageszeitungen und die Besucher von Massenversammlungen konnten mit ihnen kaum etwas anfangen. Sie begriffen wohl, daß dieser entflammte Jüngling sie zum Kampfe rief. – »Der Kapitalismus tötet sich nicht selber; man muß ihn töten!« hatte er geschrieben; aber sowohl Pathos wie Ziel dieses Kampfes blieben ihnen mysteriös.

      In den dogmatischen Materialismus des hymnischen Marxisten mischten sich zuviel lyrisch-überschwengliche Elemente. »Am Baume des Umsturzes« sah er »die wundersamsten Früchte keimen«, wie der begeisterte Wanderer durch eine Frühlingslandschaft – und er rühmte eine heftig bewegte, gleichsam elektrisch geladene »konvulsivische« Schönheit, die einerseits überschwenglich irrational zu sein schien, andererseits aber in einer seltsam strengen und intimen Beziehung zu den exakten Wissenschaften stand. – »Die Dichtung ist ein Mittel zur Erkenntnis«, ließ er hören; er begeisterte sich für den »neuen wissenschaftlichen Geist« wie für eine Religion.

      Er gierte nach Licht, nach Erleuchtung, nach Helligkeit, wie der Kranke nach Sonne. Das Dunkle im tiefsten Grunde seines eigenen Wesens mußte wohl mächtig sein, sonst hätte er nicht mit so gereizter Heftigkeit nach dem Hellen verlangt. – Seine Meinung war:

      »Zu bewirken: daß aller Muff der Fäulnis verfliege,