Klaus Mann

Klaus Mann - Das literarische Werk


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aber nur selten – wurden seine schönen, starken, beweglichen Lippen müde von den gar zu vielen Worten, die sie geformt hatten. Er verstummte im befreundeten Kreis, und der Strahlenblick unter den gewölbten Brauen ward dunkel. »Was soll das alles?« fragte er nach solchem Schweigen. »Warum habe ich nicht fünfzig Jahre früher leben dürfen? Dann hätte dies alles mich nicht gequält und mich kaum beschäftigt. Ich hätte ein paar hübsche, traurige, verliebte Bücher geschrieben, ein paar Geschichten über einfache, menschliche Gegenstände, und wäre zufrieden gewesen …« Und mit einem großen Aufseufzen sagte er: »Ach, ich wünschte mir so sehr, wir hätten die Revolution endlich, endlich hinter uns, damit man wieder anfangen könnte mit der Literatur. – Was sollen wir Schriftsteller, während die großen Entscheidungen fallen? Wo sollen wir hin? Sagt mir – wo sollen wir hin?«

      Die Freunde konnten es ihm nicht sagen. Was sie vermochten, war nur, den plötzlich Entmutigten etwas zu trösten. Marion legte ihm mit großer Sanftheit die schöne starke Hand auf den Arm. Martin, pedantisch und kokett zugleich die Worte dehnend, begann, eine humoristische Geschichte zu erzählen. Kikjou lächelte – rätselhaft, gütig und verführerisch.

      Man saß in Marcels kleiner Wohnung. Die Unordnung hier war horrend – auf den Stühlen lagen Broschüren neben getragenen Hemden, und das Bett war zerwühlt – trotzdem herrschte eine gewisse Gemütlichkeit. Auf dem Tisch stand der rote Wein neben dem Brot und dem Fleisch. Marcel besorgte selber seinen kleinen Haushalt. Er scherzte und lachte mit den Ladenmädchen, wenn er seine Einkäufe machte. Alle im Quartier liebten ihn. Keiner widerstand seinem Charme.

      Wenn er zu Hause aß, hatte er immer Gäste. Entweder französische Kameraden stellten sich zur Mahlzeit ein, oder es erschienen ein paar deutsche Emigranten. Marcel bewirtete nicht nur die nahen Freunde, wie Marion, Martin und Kikjou, sondern auch beinah Fremde.

      »Wir wollen Grammophon spielen«, schlug Marion vor; sie hatte ihre Hand immer noch auf dem Arm des Freundes. »Die schönen Negerplatten, die wir neulich gehört haben. – Es ist so reizend bei dir, Marcel. Wenn es jetzt noch Musik gibt, werden wir beinah glücklich sein.«

      Marcel zu Marion: »Du bist zu geschäftig. Für mich hast du niemals Zeit. Ich bin nicht zufrieden mit dir.« – Sie bat ihn: »Sage das nicht! Es tut mir weh, wenn du so etwas sagst oder glaubst. Ich denke immer an dich. Die Wahrheit ist, daß zuviel an mich herantritt. Du kannst dir nicht vorstellen, mit was für abenteuerlichen Figuren und Problemen einen diese Emigration in Berührung bringt.«

      »Und deine eigenen Pläne?« wollte er wissen. »Die Tournee, die du vorhast?« Es war ihm bekannt, daß sie von ihrem Plan, eine Theatertruppe zu organisieren, endgültig abgekommen war und nun für sich allein etwas vorbereitete. Indessen hatte er keine deutliche Vorstellung davon, um was es sich handeln mochte. Sie erklärte ihm: »Sei still! Ich bin abergläubisch. Von Projekten sprechen bringt Pech.«

      »Du siehst müde aus«, sagte er. Aber der Blick, mit dem er sie umfing, enthielt mehr Bewunderung als Mitleid. »Du bist auch noch magerer geworden.«

      Ihr kurzes, kräftig geformtes Gesicht mit dem breiten, gefährlich lustigen Mund und den eindringlich schönen Katzenaugen wirkte sowohl angegriffen als auch gespannt. Manchmal zeigte es den Ausdruck einer beinah wilden, aggressiven Entschlossenheit; zuweilen aber, wenn Marion sich unbeobachtet glaubte, erschlaffte es, und der Blick wurde starr.

      »Du solltest für ein paar Tage mit mir ans Meer gehen«, schlug Marcel ihr vor. Sie machte Einwände: »Vielleicht – nächste Woche oder übernächste … Vorläufig habe ich hier zu tun. Heute nachmittag zum Beispiel muß ich Ilse Ill einem französischen Revuedirektor vorstellen, den ich noch aus guten alten Tagen kenne. Erinnerst du dich an Ilse Ill? Eine unglückselige Person! Das Überraschende an ihr ist, daß sie etwas Talent hat, man sollte es nicht für möglich halten. Übrigens war sie mir immer gräßlich. Es ist ja sonderbar, für was für Leute man sich jetzt einsetzen muß. Wählerisch darf man nicht mehr sein …«

      Sie bemühte sich nicht nur für die literarische Chansonette – die schon ganz heruntergekommen und verhungert war – sondern auch für ein Dutzend anderer. Gelegentlich assistierte sie der Proskauer bei der übermäßig anwachsenden Arbeit, die der Betrieb im Comité mit sich brachte. Mit Hummler zusammen – der ihr zäh und geduldig den Hof machte – kümmerte sie sich um die politische Agitation. Es machte ihr Freude, bei der Abfassung von Manifesten und Broschüren behilflich zu sein, die dann, als Reklameheftchen für Zahnpasta oder Korsetts schlau zurechtgemacht, den illegalen Weg nach Deutschland fanden.

      Seltsame Typen meldeten sich bei Marion von Kammer, deren Aktivität und Hilfsbereitschaft man kannte. Eines Morgens klopfte es an der Türe ihres Hotelzimmers. Im Halbdunkel des Korridors stand eine große, hagere Frau, sie war nicht ganz jung; Marion taxierte: fünfundvierzig oder fünfzig Jahre alt. ›Mein Gott, sie will mir etwas verkaufen‹, dachte Marion, denn die Dame trug ein kleines gelbes Handköfferchen. ›Und ich habe doch gar kein Geld …‹ Sie bemühte sich, ein möglichst freundliches Gesicht zu machen, als sie sagte: »Guten Morgen. Kommen Sie herein.«

      Die hagere Dame erwiderte den Gruß nicht. Während sie eintrat, blickte sie sich scheu und hastig um, als fürchtete sie, es könnte ihr jemand folgen. »Danke schön«, sagte sie etwas sinnlos und schauerte zusammen wie jemand, den ein kalter Luftzug berührt. »Setzen Sie sich doch!« sagte Marion, wobei sie die Besucherin einer schnellen, aber genauen Musterung unterzog. Sie hatte es sich angewöhnt, die Menschen, mit denen sie zu tun bekam, zunächst einmal gründlich anzuschauen.

      Die Kleidungsstücke, welche die Frau trug – schiefes kleines Hütchen, langer Regenmantel, hängende Strümpfe, ausgetretene Halbschuhe – schienen auf eine sonderbare Art entfärbt und verblichen, von einem völlig leichenhaften Grau – noch nie, meinte Marion, hatte sie derart fahle Kleidungsstücke gesehen. Aschgrau wie Kappe und Mantel waren auch die drei grotesken Löckchen, die unter dem Hutrand hervor auf die Stirne hingen. Diese Stirne übrigens schien edel geformt und von einer fast kindlichen Glattheit; nicht einmal die lächerlichen, runden, steif gedrehten Löckchen konnten sie entstellen. Die unruhigen, kleinen und dunklen Augen lagen in schattig vertieften Höhlen. Von einer sehr langen, scharf profilierten Nase liefen gramvolle Furchen zu einem schmalen, verzerrten Mund.

      »Fräulein Proskauer hat Ihnen also meine Adresse gegeben«, sagte Marion, da die Fremde, in starrer Haltung, mitten im Raum stehen blieb. »Aber warum setzen Sie sich denn nicht?«

      Die Frau fuhr auf wie aus schweren Träumen; erschauerte wieder und ließ ein beängstigendes kleines Kichern hören. »Fräulein Proskauer, ganz recht«, sagte sie geschwind und fügte rätselhaft hinzu: »Eine sehr originelle Person … Sie hat mich auf die Idee gebracht, mit Lavendelwasser, Seife und komischen kleinen Schwämmen hausieren zu gehen … Äußerst originell …« In ihren Augen gab es ein kurzes, gehässiges Funkeln.

      Marion fragte besorgt: »Sie verkaufen also Toiletteartikel?« Dabei berechnete sie: ›Ich besitze noch dreißig Francs. Eine Tube Zahnpasta könnte ich ihr vielleicht abkaufen; das wird nicht mehr als acht Francs kosten.‹

      Statt Marions Frage zu beantworten, erklärte die Fremde, mit einer vornehm knappen Neigung ihres langen und schmalen Hauptes: »Mein Name ist Friederike Markus.« Den Oberkörper vorgebeugt, die aschfarbene Skeletthand an den Mund gelegt, fügte sie raunend hinzu: »Freunde nennen mich Frau Viola. Aber verraten Sie es Etzel nicht! Er kann es nicht ausstehen, wenn ich als ›Frau Viola‹ begrüßt werde – vielleicht weil Gabriel mich stets so angeredet hat: immer als Frau Viola, ganz konsequent, niemals anders.« Daß sie mit mißtrauisch schrägem Blick Marions erstaunte Miene bemerkte, machte sie gereizt: »Nun ja, es könnte doch sein, daß Sie Etzel, meinen sogenannten Gatten, einmal irgendwo treffen. Er ist viel unterwegs, wird überall vorgelassen und benutzt all seine Verbindungen, um gegen mich zu intrigieren.« – Marion dachte: ›Mein Gott, sie ist nicht ganz richtig im Kopf. Durch vieles Leiden ist sie völlig aus der Form gekommen und hat ihr inneres Gleichgewicht ganz verloren. Was fange ich mit ihr an?‹

      Frau Viola, die kerzengerade, mit dem Köfferchen auf den aneinandergepreßten Knien, im Stuhle saß, ließ ihre Stimme vernehmen, die scharf klirrte wie ein geborstenes Instrument: »Ehe wir zu den Geschäften übergehen, liebes Fräulein von Kammer,