Betty Hugo

Totensee


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waren überaus schmerzhaft und anstrengend für alle Beteiligten gewesen. Lisa hatte zusammen mit ihren Eltern, die Bestattung ihrer verstorbenen Großmutter organisiert. Es waren eine Menge Leute zu der Beerdigungsfeier auf dem Friedhof des Dorfes gekommen. Nachdem eine würdevolle Zeremonie am Grab stattgefunden hatte, die ihrer Großmutter sicher gefallen hätte, trafen sich alle in der alten Gaststätte nebenan zu Schnittchen und Torte und unterhielten sich mit gedämpften Stimmen über die Verstorbene.

      Viele Menschen, fremde und alte Bekannte klopften ihr tröstend auf die Schulter und sprachen Lisa ihr Beileid aus. Als ob das etwas an ihrem Kummer ändern würde, dachte sie. Aber auf eine besondere Weise tröstete es sie doch ein wenig. Sie merkte, wie allseits beliebt ihre Großmutter gewesen war.

      Erst nach der Bestattung, als Lisa nach ihren aufreibenden Arbeitstagen wieder über etwas Freizeit verfügte, hatte sie Zeit gefunden, im Internet nach dem schwarzen See zu suchen. Erstaunlicherweise fand sie bereits nach nur wenigen Minuten Recherche im Netz, eine aufwendig gestaltete Internetseite über eine Hotelanlage in einem ehemaligen Kloster, die sich in der Nähe dieses Gewässers befand. Auch heute waren Teile der Anlage immer noch ein Kloster, das von dem Orden der Brüder des heiligen Hieronymus bewirtschaftet wurde und sich zu einem regelrechten Geschäftsbetrieb mit Klosterbrauerei, Gemüse- und Kräutergärten und einem Hotelbetrieb entwickelt hatte.

      Als sie die Internetseite hinunter scrollte, stieß sie auch auf einen Abschnitt, der sich mit der Geschichte der Klosteranlage und ihrer Lage am See beschäftigte.

      Die riesige Klosteranlage mit ihrem wunderschönen Kirchenbau war im Jahre 1165 gegründet worden. Das Wasser des großen Sees versprach eine gute Versorgung mit Fischen und mit Wasser für die Gemüse- und Kräutergärten.

      Allerdings fand Lisa keinerlei Hinweise auf die dunkle Legende, die sich um den See rankte oder gar einen Bericht über die geheimnisvollen Vorgänge, die sich dort angeblich zugetragen hatten. Auch ein Hinweis auf die Gedenkstätte fehlte.

      Es kam Lisa fast so vor, als ob man die Legende möglichst totschweigen wollte. Vielleicht waren diese Vorkommnisse der Vergangenheit der heutigen Bewirtschaftung des Klosters abträglich. Immerhin wurde das Hotel als ruhe Oase für unter „Burn out“ und „Stress“ leidende Menschen beworben. Auf der Website wurde absolute Ruhe und Abgeschiedenheit versprochen. Angeboten wurden Entspannungskurse, Meditationskurse sowie Töpfer- und Malkurse. Alles klang irgendwie ruhig und beschaulich. Sie vermutete, dass man bei soviel angepriesener Entspannung sicherlich keine Gruselgeschichten über verschwundene Dorfbewohner gebrauchen konnte, auch wenn sich die Vorfälle bereits vor Ewigkeiten abgespielt hatten.

      Lisa fand die Übernachtungspreise allerdings keineswegs beschaulich. Vor lauter Arbeit und angehäuften Überstunden, hatte sie aber kaum Zeit zum Geldausgeben gefunden. Aus diesem Grund hatte sich, trotz ihres bescheidenen Gehalts, auf ihrem Konto ein ansehnliches Sümmchen Geld angehäuft.

      Sie beschloss spontan, mehrere Tage Urlaub zu nehmen und sich in diesem Kloster einige Übernachtungen zu gönnen. Im Hinterkopf spukte ihr dabei auch der Gedanke herum, dass sie so die Gelegenheit beim Schopf ergreifen konnte, das Versprechen, das sie ihrer Großmutter auf dem Totenbett gegeben hatte, einzulösen.

      Überschrift 1

      7. Kapitel

      Bereits eine Woche später saß Lisa im Zug, der sie in die, dem Kloster am Nächsten gelegenen, Kleinstadt fahren sollte. Von hier aus musste sie mit dem Bus weiter reisen. Auch das hatte die Internetseite dem interessierten Leser nicht verschwiegen, dass nämlich die Anreise etwas umständlich und beschwerlich sei. Aber dieser Umstand garantiere die Ruhe und Abgeschiedenheit des Reiseziels.

      Lisa schaute verträumt aus dem Fenster des Zuges auf die schnell vorbei fliegende Landschaft, die sich stetig veränderte. Erst allmählich gelang es ihr, die Gedanken an die Arbeit abzuschütteln und sich auf die kommenden Urlaubstage zu freuen. Um sich auf andere Gedanken zu bringen, nahm sie ihre Ohrstöpsel und hörte ihre Lieblingsmusik, die sie auf ihrem Handy gespeichert hatte.

      Als ihr absoluter Lieblingssong gespielt wurde, der sich als Ohrwurm geradezu in ihr Gehirn gefressen hatte, riss sie die Ohrstöpsel abrupt heraus. Durch diesen Song wurden ihre Gedanken unweigerlich in eine andere schmerzhafte Richtung gelenkt. Der Song erinnerte sie zu stark an ihre verflossene Liebe zu ihrem Exfreund David und überflutete sie mit trübseligen Gedanken. Lisa war immer noch verletzt und wütend zugleich über die Geschichte, wie ihr Exfreund sie mit ihrer Freundin betrogen hatte. Letztendlich hatte sie gehandelt und ihm den Laufpass gegeben. Aber sie war, was diese Angelegenheit betraf, wahnsinnig empfindlich, obwohl die Trennung jetzt schon sechs Monate hinter ihr lag.

      Lisa schob alle düsteren Gedanken von sich und konzentrierte sich wieder auf die am Zugfenster vorbeiziehende Landschaft.

      Erst fuhr der Fernzug durch Felder und Wiesen, dann wurde es langsam hügeliger und waldiger. Als sie auf der letzten Etappe ihrer Zugreise in einen Regionalzug umsteigen musste, zockelte der Triebwagen beschaulich durch eine felsige, romantische Waldlandschaft. In der Ferne konnte Lisa bereits das in der Sonne glitzernde Wasser des schwarzen Vulkansees erahnen. Die ganze Szenerie wirkte friedlich und Lisa konnte sich schlicht nicht vorstellen, dass hier jemals etwas Schreckliches passiert war.

      Als der Zug mit quietschenden Rädern in den kleinen, verlassen daliegenden Kleinstadtbahnhof einfuhr, schulterte sie erwartungsvoll ihren Wanderrucksack und kletterte auf den Bahnsteig. Auf dem Bahnhofsvorplatz trat sie in die warme Sonne des Spätsommers hinaus. Genießerisch atmete sie die würzige Landluft ein, die bereits den Hauch des Frühherbstes in sich trug.

      Falls es ihr nicht gelang, irgendetwas Wichtiges heraus zu finden, konnte sie sich wenigstens auf einige ruhige Wandertage freuen. Dieser Gedanke zog ihr durch den Kopf, als sie bereits auf dem Bahnhofsgelände die ersten Wegweiser für die zahlreichen ausgewiesenen Wanderwege erblickte, die hier in der Gegend zu finden waren. Das reinste Wanderparadies versprachen die Wanderbücher.

      Sie erspähte die Busstation auf dem verlassen wirkenden Bahnhofsvorplatz und hielt nach dem Fahrzeug Ausschau, das sie direkt zum Kloster bringen sollte.

      Endlich fand sie den richtigen Bus und wechselte mit dem Fahrer einige Worte, der offensichtlich gelangweilt hinter dem Steuer hockte und sich über ein Gespräch freute. Sie erzählte ihm, dass sie zum Kloster unterwegs sei, weil sie dort einen Wanderurlaub verbringen wolle.

      Er lachte gutmütig und meinte:

      „Ja, hier kommen viele erschöpfte Touristen zum Wandern her. Sind alle ganz begeistert von dem Kloster und den Kursen dort. Lauter seltsame Sachen bieten die dort an. Yoga, Töpfern, Meditation und all so ein Zeugs.“

      Als sich der Bus nach und nach mit anderen Reisenden gefüllt hatte, brach er das Gespräch ab, legte energisch den Gang ein und fuhr los.

      Nach einer Weile kam das mittelalterliche Kloster in Sicht und Lisa reckte ungeduldig den Hals, um einen Blick zu erhaschen. Das düster anmutende Ensemble der mächtigen Bauten lag eingebettet in die wild romantische Landschaft, deren bewaldete Hügelketten sich bis an den fernen Horizont erstreckten. In der Nähe glitzerte eine Wasserfläche durch das dichte Laub der Bäume.

      Direkt vor der Klostermauer, auf einem gepflasterten Platz mit einer riesigen Eiche in der Mitte, umgeben von einer schmiedeeisernen Bank zum Rasten, lud der Bus seine menschliche Fracht aus.

      Lisa und noch einige andere Passagiere standen plötzlich etwas verloren auf dem Vorplatz herum und wussten erstmal nicht wohin mit sich und dem Gepäck.

      Zum allerersten Mal streifte Lisa der Gedanke, dass es vielleicht doch keine so gute Idee gewesen war, sich vollkommen allein und schutzlos auf die Spurensuche der unerklärlichen Todesfälle zu begeben. Ganz in den Tiefen ihres Magens machte sich ein Gefühl dumpfer Angst breit, das langsam von ihr Besitz ergriff. Ehe sie sich diesem Gefühl ganz und gar auslieferte, riss sie sich zusammen und beschloss, sich auf die Umgebung zu konzentrieren.

      Aus den Augenwinkeln