Elke Schwab

Kullmann stolpert über eine Leiche


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sein rötlichblondes Haar war zu einem Bürstenschnitt gestutzt. Er war ein attraktiver Mann.

      »Haben Sie einen Computer?« Mit dieser Frage holte er sie in die Gegenwart zurück.

      »Ja, im Wohnzimmer.«

      »Dann haben Sie sicherlich auch eine E-Mail-Adresse?«

      »Ja, aber ich benutze den Rechner selten.«

      »Sollte es sich wirklich um einen Verfolger handeln, der es auf Sie abgesehen hat – so wie Sie die Sachlage schildern – besteht die Möglichkeit, dass er auch diese Technologie nutzt, um mit Ihnen in Kontakt zu treten. Oftmals geschieht das durch beleidigende E-Mails. Schauen Sie bitte nach, ob in letzter Zeit eine Nachricht bei Ihnen eingegangen ist?«

      Trixi war erleichtert. Damit bewies er ihr einerseits, dass er ihre Situation trotz der fehlenden Spuren ernst nahm. Andererseits legte er es nicht darauf an, so schnell wie möglich zu verschwinden. Hoffnung keimte in ihr auf.

      Sie sagte ihm, wo der Computer stand. Während er vor ihr herging, ließ sie ihren Blick über seine Statur wandern. Seine enganliegende Uniform betonte seine breiten Schultern und seine sportliche Figur. Er hielt sich gerade, seine Bewegungen waren zackig, fast militärisch.

      Wie konnte sie ihn dazu bringen zu bleiben?

      Sie fuhr den Rechner hoch und checkte den Posteingang durch. Nichts.

      »Ein seltsamer Verehrer«, meinte Hollmann. »Solange er nichts hinterlässt, womit sich seine Aktivitäten nachweisen lassen, können wir nichts tun. Ein eigener Straftatbestand zum Schutz gegen Stalking besteht in Deutschland noch nicht. Zwar erfüllen viele Handlungen von Stalkern Kriterien wie Hausfriedensbruch, Körperverletzung oder sexuelle Nötigung, ein eigenständiger Tatbestand ist hingegen nicht Gegenstand des deutschen Strafrechts.«

      »Was heißt das?«

      »Es wird uns nicht gelingen, die Staatsanwaltschaft von strafbaren Handlungen zu überzeugen, wenn wir keine Fakten liefern.«

      »Also sind Sie hier fertig?«

      »Ich werde Ihre Anzeige auf jeden Fall weiterleiten.«

      »Wie wär’s mit Personenschutz?«

      »Wie bitte?«

      Erstaunt drehte Hollmann sich zu ihr um.

      »Sie beschützen mich, bis der Stalker gefasst ist.«

      »Ideen haben Sie! Vermutlich sind Sie übernächtigt. Da ist es nicht auszuschließen, dass die Fantasie mit Ihnen durchgeht. Schlafen Sie sich mal aus, dann sieht die Welt wieder anders aus.«

      Vorbei die Vorstellung von einem aufregenden Stelldichein mit ihrem Beschützer.

      Wortlos ließ sie ihn gehen.

      Als sie wieder allein war, ließ sich Trixi resigniert aufs Sofa fallen. Die Stille wirkte beunruhigend auf sie. Was war nur aus ihrem Leben geworden? Als ihre Eltern noch lebten, war sie von dem Wunsch getrieben, alles zu tun, wonach ihr der Sinn stand. Nun hatte sie die idealen Voraussetzungen, jetzt liefen ihr die Männer davon oder spielten Poltergeist mit ihr. Zuerst Bruno Dold und jetzt Roland Berkes. Lastete ein Fluch auf ihr? Über diesen entmutigenden Gedanken schlief sie nach einer Weile ein. Sie wälzte sich hin und her, Träume vermischten sich mit schrecklichen Fantasien.

      Plötzlich schreckte sie durch Klappern und Quietschen auf. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Der Lärm kam nicht von der Tür, sondern vom Wohnzimmerfenster. Sie löschte die kleine Stehlampe, die neben dem Sofa stand und schaute zum Fenster. Tatsächlich sah sie dort die Silhouette eines Mannes. Wie konnte das sein?

      Sie ließ den Fensterschutz mit Schwung heruntersausen. Diese Prozedur wiederholte sie an jedem anderen Fenster. Hatte sie schlecht geträumt? Wie sollte ein Mann bis zu dieser Höhe gelangen. Das musste ein Hirngespinst gewesen sein.

      Müde legte sie sich ins Bett, lag aber den Rest der Nacht wach.

      *

      Täglich freute sich Trixi mehr auf die Mittagspausen. In der angrenzenden Kammer konnte sie bei einer Tasse Kaffee mit ihrer Freundin Käthe plaudern und die Welt um sich herum vergessen. Sie genoss es, mit Käthe zu lachen und Pläne zu schmieden, von denen beide wussten, dass sie sie niemals umsetzen würden. In dieser Zeit herrschte angenehme Stille im Salon, die sie sich nicht gerne nehmen ließen.

      Und ausgerechnet zur Mittagszeit klopfte an diesem Tag ein Kunde an die Tür. Trixi erhob sich nur unter Protest und schwor sich, es demjenigen zu sagen. Doch der junge Mann, den sie zu sehen bekam kaum, dass sie die Tür geöffnet hatte, ließ sie ihren Ärger vergessen.

      »Was darf es sein?«, fragte sie honigsüß.

      Er lachte mit perfekten, weißen Zähnen und antwortete: »Meine Haare sind zu lang. Können Sie etwas dagegen tun.«

      »Klar«, antwortete Trixi. Sie bot ihm einen Stuhl an und begann mit flinken Händen zu schneiden. Der junge Mann ließ sie dabei nicht aus den Augen.

      »Haben Sie kein Vertrauen?«, fragte Trixi deshalb neckend.

      »Oh doch«, versicherte er. »Ich schaue Sie einfach nur gern an.«

      Diese Antwort brachte sie ein wenig aus dem Konzept, aber sie riss sich zusammen.

      »Das ging aber schnell«, bemerkte er hinterher.

      Leider, dachte Trixi und machte die Rechnung fertig.

      »Ich werde mir Ihren Salon merken.«

      »Wie soll ich das verstehen? Positiv oder negativ?«

      »Positiv natürlich.«

      »Dann möchte ich gern Ihren Namen notieren«, reagierte Trixi prompt. »Ich lege eine Kundenkarteikarte für Sie an.«

      »Ob das eine gute Idee ist? Mein Name klingt nicht gut.«

      »Meiner auch nicht. Ich heiße Trixi, hört sich albern an.«

      »Nein, das klingt schön. Ich heiße Fritz.«

      »Ist doch ein interessanter Name. Da kann sich alles Mögliche dahinter verbergen.«

      »Sie haben viel Fantasie, wenn Ihnen dazu etwas einfällt.«

      »Wie heißen Sie noch?«

      »Lörsch«, gab er an und ging grüßend davon.

      Käthe kam aus dem Kämmerchen und lachte: »Mann oh Mann, du kennst wirklich alle Tricks. Welche Kundenkartei soll das denn sein?«

      *

      Der Tag verflog. Die Menschen unterbrachen ihre Einkäufe im Salon, wärmten sich unter den Trockenhauben auf, bevor sie sich wieder hinaus in die Kälte und die Hektik begaben. Trixi sah in diesen Tagen zum ersten Mal einen Vorteil darin, an Weihnachten allein zu sein. Sie musste sich nicht in das Gewühl der Einkaufshäuser stürzen, denn sie hatte niemanden zu beschenken.

      Nach Feierabend sperrte sie den Salon ab und merkte erst jetzt, dass Roland Berkes an diesem Tag nicht gekommen war. Aber leider sollte ihre gute Laune ein schnelles Ende finden. Neben ihrer Haustür hing ein großer Nikolaus, eine Dekoration, wie sie sie an vielen Häusern in der Stadt gesehen hatte. Normalerweise gefiel ihr dieses weihnachtliche Beiwerk. Allerdings nicht, wenn es ohne ihre Zustimmung angebracht wurde. Es gab keinen Zweifel, wem sie das zu verdanken hatte.

      Es war ein schöner Nikolaus, der von einer Lichterkette angeleuchtet wurde. Eine Weile überlegte Trixi, was sie tun sollte. Die Figur machte sich gut an ihrem Haus, was ihre Wut über die Unverfrorenheit dämpfte. Gegen jede Vernunft beschloss sie, alles so zu lassen wie es war, und ging hinein. Als das Telefon klingelte, hob sie nicht ab. Sie ahnte, was Roland Berkes wissen wollte. Da sie nicht die geringste Lust verspürte, ihm das Gefühl zu geben, er hätte ihr einen Gefallen getan, ließ sie es einfach klingeln.

      So begann der nächste Arbeitstag mit Roland Berkes als erstem Besucher.

      »Ich habe mehrmals versucht, dich anzurufen. Ich dachte schon, es sei etwas passiert.«