Elke Schwab

Kullmann stolpert über eine Leiche


Скачать книгу

mal eine Zeit gegeben, da war sie froh, Eigentümerin eines solchen Domizils zu sein. Heute hatte sie nur noch Angst davor.

      Vom Abstellplatz der Autowracks hörte sie das Plätschern des Regens auf die verrosteten Bleche. Alles schien in Ordnung zu sein. Vor der Haustür warf sie einen Blick zur Seite, wo sie den Katzenkäfig abgestellt hatte. Er war weg.

      Sollte sie erleichtert sein? Nun brauchte sie den Tierkadaver nicht zu entsorgen.

      Mit gemischten Gefühlen betrat sie das Haus. Der Duft der Tanne stieg ihr sofort in die Nase und ließ sie den Frust vergessen. Im Wohnzimmer richtete sie sich gemütlich ein, schaltete die Weihnachtsbeleuchtung ein und genoss die Stille. Nach einer Weile schlief sie auf dem Sofa ein.

      Ein heftiges Pochen an der Haustür weckte sie auf.

      Erschrocken eilte sie zum Fenster. Wieder stand ein Kasten vor der Tür. Sie war entsetzt. Wenn das wieder ein junges Kätzchen war, das in dieser Kälte auf keinen Fall im Freien bleiben durfte, musste sie es ins Haus holen. Hastig rannte sie durch den Flur auf die Haustür zu, öffnete sie mit Schwung, trat eilig hinaus. Sie sah, wie ihr etwas entgegenkam, konnte aber nicht mehr reagieren. Ein heftiger Schmerz traf sie unvermittelt am Kopf, dann wurde alles schwarz um sie herum.

      Als sie wieder zu sich kam, zitterte sie vor Kälte. Sie setzte sich auf und versuchte sich zu orientieren. Sie war vor ihrer Haustür und hatte fürchterliche Kopfschmerzen. Ihr Blick fiel auf einen dunklen Fleck. Von Ekel geschüttelt sprang sie auf, aber ihr wurde schwindelig, sodass sie sich wieder setzen musste. Nun sah sie die große Blutlache. Daneben stand der Katzenkäfig mit dem toten Kätzchen. Ein Zettel hing daran.

       Zitternd näherte sie sich dem Papier und las: »Schau dir die Sauerei gut an! Das nächste Mal liegst du in deinem eigenen Blut.«

      Mit einem Aufschrei prallte Trixi zurück, knallte die Tür zu und raste ins Badezimmer. Dort riss sie sich sämtliche Kleider vom Leib, stopfte sie in die Waschmaschine, duschte und versuchte sich zu beruhigen. Sie beschloss, nochmals zur Polizei zu gehen. Die neuen Ereignisse und die Spuren vor ihrer Haustür mussten doch überzeugen.

      Als sie das Haus verließ, war alles verschwunden. Die tote Katze, das Blut, der Zettel – alles. War das ein Grund erleichtert zu sein? Es hatte den Vorteil, dass sie die Sauerei nicht selbst beseitigen musste. Andererseits konnte sie der Polizei nun nicht zeigen, was ihr widerfahren war.

      Aber ihr Entschluss stand fest.

      Sie lief über die Brücke auf den Grumbachtalweg zu, der in die Kaiserstraße mündete. Von dort war es nicht mehr weit bis zur Polizei.

      »Sie schon wieder«, begrüßte Hollmann die verstörte Frau. »Sie sehen mitgenommen aus.«

      Stirnrunzelnd hörte er sich ihre Geschichte an, bevor er sagte: »Es ist Samstagabend, eine Zeit, in der überall in der Stadt etwas los ist.«

      »Was hat das mit mir zu tun?«

      »Wenn ich einem blinden Alarm folge und woanders etwas passiert, hat das schon mit Ihnen zu tun. Ich hoffe, Sie fantasieren nicht.«

      »Sie erinnern sich bestimmt noch an den Artikel über die Frau, die von ihrem Verfolger getötet wurde.«

      »Ich leide noch nicht an Alzheimer. Ich erinnere mich aber auch daran, dass es Zeugen gab, die den aufdringlichen Besucher bestätigen konnten. In Ihrem Fall sehe ich das nicht und habe auch nichts in der Hand, was ihre Aussage bekräftigt. Haben Sie die tote Katze noch? Ist der Blutfleck vor Ihrer Haustür noch zu sehen?«

      »Ich kann nur sagen, dass die Spuren beseitigt worden sind, während ich unter der Dusche war«, gestand Trixi und plötzlich wurde ihr klar, was hier geschah.

      »Haben Sie den Zettel noch?«

      Niedergeschlagen schüttelte sie den Kopf.

      »Verstehen Sie jetzt, warum ich nichts unternehmen kann?« Hollmann schaute Trixi eindringlich an. »Habe ich Ihnen nicht ausführlich erklärt, wie schwierig es ist, die Staatsanwaltschaft von einem Stalking-Fall zu überzeugen?«

      Unter seinem Blick fühlte Trixi sich wie ertappt, weil ihr genau in dem Augenblick der geschmückte Tannenbaum einfiel. Womöglich wäre das ein Beweis gewesen. Aber durch ihre Inkonsequenz hatte sie die Chance verspielt, diesen noch vorzubringen, obwohl Hollmann auf etwas Entscheidendes wartete. Jetzt würde sie sich damit nur noch lächerlich machen, weil sie zugeben müsste, dass sie diese Aktivität ihres hartnäckigen Verfolgers einfach akzeptiert hatte.

      »Soll ich mich in Ihr Haus setzen und warten, bis der imaginäre Bösewicht sich etwas Neues einfallen lässt?« Mit diesen Worten unterbrach der Polizeibeamte Trixis Gedanken. Da saß sie vor dem Mann, der sie vor ihrem Verfolger beschützen könnte, wenn es ihr nur gelingen würde, ihn zu überzeugen.

      Sie spürte, dass sie dieser Situation nicht gewachsen war. Ihre Fehler erkannte sie erst, wenn es zu spät war. Aber das nützte nichts. Mit dem Nikolaus hatte es angefangen. Ihn einfach zu dulden war ihr erster entscheidender Fehler, denn diese Puppe wäre auch ein unwiederbringlicher Beweis gewesen. Dann der Tannenbaum. Auch da hatte sie sich einfach von Gefühlen hinreißen lassen, hatte sich prinzipienlos verhalten, was ihrer Situation nur schaden konnte. Die Quittung dafür kassierte sie jetzt.

      Die schmerzliche Einsicht zermürbte sie. Wie gerne hätte sie Hollmann gebeten ihr künftig beizustehen. Aber das konnte sie vergessen – so wie er sie anschaute. Stumm erwiderte sie seinen Blick, in der Hoffnung, dass er es sein würde, der das Schweigen brach.

      Aber den Gefallen tat er ihr nicht.

      »Ich habe Angst, wieder allein durch die Dunkelheit in mein Haus zurückzugehen«, gab sie zerknirscht zu.

      »Kann es sein, dass Sie sich in psychischem Stress befinden?«

      Trixi schaute den Beamten erschrocken an. Sein kantiges Gesicht drückte Misstrauen aus; seine grünen Augen wirkten wachsam. Diese Frage fehlte noch.

      »Ich glaube, dass der Stress, in dem ich mich befinde, für die Situation ganz normal ist«, murrte sie. Dabei bemühte sie sich, mit fester Stimme zu sprechen. Er durfte auf keinen Fall merken, wie sehr er sie damit getroffen hatte.

      Hollmann runzelte die Stirn, rieb sich über die Schläfen, bevor er fragte: »Können Sie nicht bei einer Freundin schlafen? Oder eine Freundin bei Ihnen?«

      Eine Weile überlegte Trixi, bis ihr Käthe einfiel.

      »Rufen Sie sie am besten gleich von hier aus an. Ich fahre Sie dann«, schlug Hollmann vor und reichte Trixi den Telefonhörer.

      Nach einem kurzen Gespräch einigten sich die beiden Frauen, dass Käthe bei Trixi schlafen würde. Hollmann hielt sein Versprechen und übernahm den Fahrdienst.

      *

      Die Anwesenheit der Freundin ließ Trixi ihre Sorgen tatsächlich vergessen. Sie führte Käthe durch sämtliche Zimmer des Erdgeschosses, sperrte sogar die Tür zum Treppenhaus auf, um ihr die obere Etage zu zeigen. Zum Abschluss präsentierte sie ihrer Freundin voller Stolz ihr kleines Pflanzenparadies. Mit staunenden Blicken schlenderte Käthe zwischen dem großen Tisch, den Stühlen, den Sideboards und den Holzschemeln hindurch. Vor den ausgefallenen Sorten blieb sie stehen und ließ sich von Trixi die Namen und besonderen Eigenschaften erklären. Als Käthe eine der exotischen Pflanzen anfassen wollte, hielt Trixi ihre Hand fest.

      »Vorsicht! Die ist giftig! Oder du musst dir hinterher gründlich die Hände waschen.«

      »Oh! Du hegst hier nicht nur Pflanzen, sondern ein gut getarntes Waffenarsenal.« Käthe lachte.

      »Nur die eine ist giftig, da kann man noch nicht von einem Arsenal sprechen.«

      Anschließend machten sie es sich im Wohnzimmer gemütlich. Trixi schaltete die Beleuchtung des Weihnachtsbaums ein. Vor Begeisterung stieß Käthe einen Freudenschrei aus. Sie tranken Wein und plauderten bis tief in die Nacht hinein.

      Trixi erwachte am nächsten Morgen als erste. Ihr Blick fiel auf das Gesicht ihrer schlafenden Freundin. Der Anblick stimmte sie so froh wie schon lange nicht