Isabella Kniest

Lavanda


Скачать книгу

Gesellschaft geworden ist und wie viel Wert ein einzelnes Menschenleben besitzt.

      Nämlich gar keines.

      Ein Mensch hat ausnahmslos zu funktionieren und dem Staat so wenig Geld wie möglich zu kosten. Darum erhalten gebrechliche Menschen keine anständige Pflege, darum werden andauern Symptome anstatt die Krankheit selbst bekämpft, darum muss der Mensch konsumieren und sich verschulden sowie Kinder gebären.

      Alles für die Ökonomie.

      Alles für den Profit.

      Zu dieser asozialen Mentalität passt der sich vor einigen Jahren manifestierte, völlig sinnfreie wie weltfremde Leitsatz ›allein du selbst hast es in der Hand, deine Träume zu verwirklichen‹.

      Fakt ist, es bedarf weit mehr als Fleiß und Wille, um seine Träume zu verwirklichen. Insbesondere Erfolg hängt zumeist von Zufall und Glück ab. Geld und Beziehungen stellen einen weiteren zwingenden Faktor dar.

      Jeder ist sich dessen mehr oder weniger bewusst, dennoch wird stur das Gegenteil behauptet.

      Die Medien – in welcher Form auch immer – sowie Politik und Lehranstalten tun ihr Übriges, um diese manipulierende Mär am Leben zu erhalten.

      Wenn man etwas genauer darüber nachdenkt, stellt diese scheinbar positive Lebenseinstellung das perfekte Druckmittel dar, um den kleinen Bürger mundtot zu machen, und ihn in weiterer Folge in ein perfides psychologisches Hamsterrad zu stecken.

      Gutgläubige Personen verfallen diesem hirnrissigen Irrsinn und kämpfen unentwegt für ihre Ziele. Sie nehmen es in Kauf, unzählige Überstunden zu schieben und sich von Vorgesetzten und Kollegen schikanieren zu lassen. Sie opfern ihre Freizeit und lassen sich ihre persönliche Freiheit durch vermeintlich gute Ratschläge und Erfolgsrezepte beschneiden. Sie studieren, sie ackern, sie geben sich selbst auf – all dies für Materialismus, Erfolg und Reichtum. Bis sie dann – irgendwann im gehobeneren Alter, mit unzähligen gesundheitlichen Einschränkungen und versunken in Einsamkeit – auf ihr Leben zurückblicken und die Wahrheit erkennen: Trotz Selbstaufgabe, trotz gesundheitsschädlichen Lebensstils, trotz Zurücksteckens und Zufriedenseins niemals ihr tatsächliches Ziel erreicht zu haben.

      Manipulation geschieht jedoch auch auf anderen Ebenen. Beispielsweise durch das Einreden eines schlechten Gewissens.

      Wie oft wird uns nicht suggeriert, zu wenig Sport zu betreiben, uns nicht gesund genug zu ernähren, uns nicht – da hätten wir es ein weiteres Mal – genügend bemüht zu haben …

      Lehnt man dagegen auf, bedeutet es, hysterisch, überempfindlich, faul, dumm oder undankbar zu sein.

      Ein wenig erinnern mich solche Methoden und die daraus entstehenden Auswirkungen an kommunistische Regime und deren Leitsätze.

      Vielleicht mag es etwas hart klingen, Völkermord mit psychologischer Unterdrückung gleichzusetzen. Aber dann frage ich mich: Wiegt die systematische Unterdrückung der menschlichen Einzigartigkeit ernsthaft weniger, als die Vertreibung oder Unterdrückung einer kulturellen Gruppe?

      Wenn man auf die sich explosionsartig anzeigenden Zahlen der psychischen Erkrankungen blickt – zählen all diese leidenden Personen gar nichts? Seelen zerstört durch die Öffentlichkeit, durch Schulen, durch Betriebsstätten oder familiäre Gewalt? Seelen, welche sich früher oder später das Leben nehmen? Sind sämtliche an Burn-out oder Depressionen erkrankte Menschen tatsächlich vollumfänglich persönlich verantwortlich für ihren Gesundheitszustand? Betrifft dies ausschließlich ihre Empfindsamkeit – oder unzureichend entwickelte Zähigkeit? Ist es in Ordnung, Menschen aufgrund ihres Harmoniebedürfnisses oder ihres Wunsches nach Liebe und Geborgenheit empfindlich, unfähig und überhaupt entbehrlich zu nennen?

      Wenn dem so ist, hat sich der Mensch bestenfalls zurückentwickelt.

      Solche genannten Argumente versucht man gern zu entkräften, indem man meint, in der Vergangenheit seien Menschen weniger verweichlicht gewesen. Da habe man länger durchgehalten und sich nicht sofort gekränkt gefühlt – und dabei habe es noch nicht einmal therapeutische Hilfestellungen gegeben.

      Ich sage dann: Wie viele Personen gingen »ins Wasser«? Wie viele Menschen brachten sich durch Gift um? Wie viele Menschen vegetierten bis zum Ende ihres Lebens apathisch vor sich hin, wurden von Angehörigen gepflegt – und deren Geisteszustand wurde einfach hingenommen? Es wurde nicht nachgefragt, weshalb Personen solcherweise reagierten, sich zurückzogen, ihre Kinder von sich wegstießen, niemals mehr lachten oder feierten.

      Bloß weil eine Krankheit bis zu einem gewissen Zeitpunkt noch unbekannt war, bedeutet es nicht automatisch, sie habe zuvor nicht existiert.

      Die Weiterentwicklung des Menschen und der fortschrittlichen, zivilisierten Gesellschaft wird ständig in den Vordergrund gerückt. Es wird erklärt, wie wichtig Zusammenhalt und Verständnis sein soll. Es wird gepredigt, wie stark wir sind und wie viel wir seit Beendigung des Krieges erreicht hätten.

      Ich will nicht desillusionieren. Ich will nicht der Spielverderber sein … aber: Darf man in Hinblick auf marode Krankenkassen, in Heimen misshandelte Senioren und Behinderte sowie steigende Obdachlosenzahlen und Selbstmorde ernsthaft von Fortschritt sprechen?

      Für Homosexuelle und Ausländer wird Verständnis und Toleranz erwartet – psychisch Kranke dagegen werden von Kassenärzten wie der letzte Dreck behandelt. Ich weiß aus eigener Erfahrung, würde ich mich nicht zu Privatärzten bemühen und hunderte Euro im Jahr dahingehend ausgeben, wäre ich längst nicht mehr am Leben.

      Eine solche Tatsache stellt für mich keinen Fortschritt dar.

      Im Gegenteil.

      Es ist ein Armutszeugnis für den Staat Österreich. Ein Staat, in welchem keine zeitnahen kostenlosen Gesprächstherapieplätze angeboten werden (unter zeitnah verstehe ich ein oder zwei Wochen – und nicht fünf oder neun Monate, wie es bislang üblich ist). Ein Staat, in welchem insbesondere chronisch kranke Menschen zumeist durch das grobmaschige Auffangnetz der Sozialträger fallen.

      Aber letztendlich bedeutet das wunderbare Geld alles. Letztendlich besteht das Leben ausnahmslos aus unbedeutenden Gesetzen, welche im Härtefall ständig die Unschuldigen treffen.

      Wann werden Menschen verstehen, dass Ökonomie eine einzige Erfindung darstellt … Aktien keinen reellen Wert besitzen … Geld selbst gar nichts Wert ist?

      Aber wir lassen uns munter weiter unterdrücken von einem System, das sich vor tausenden von Jahren entwickelte und unaufhaltsam gruseligere Ausmaße annimmt. Ein System, das durch ›Eliten‹ (jeder soll sich selbst ausdenken, was er darunter verstehen möchte) geleitet wird. Ein System, das darauf aufbaut, die arbeitende Masse kleinzuhalten. Ein System, das Wohlhabende pusht und Bedürftige abschiebt.

      Sicherlich werden nun viele aufschreien und meinen, man solle nicht undankbar sein. Andere hätten es weitaus schlechter. Wir in Österreich und Deutschland leben in einer Wohlstandsgesellschaft.

      Teilweise mag das wohl stimmen.

      Doch wohin wird unsere Situation sich in den nächsten Jahren entwickelt haben?

      Ins Bessere, ins Schlechtere?

      Man muss wachsam bleiben. Man muss kritisch bleiben. Wer die Augen verschließt, sich in eine Traumwelt flüchtet und niemals hinterfragt, nährt Böden der Korruption, des Ausbeutens und der Unterjochung.

      Man muss sich in die Situation eines anderen versetzen, sich nicht andauernd mit weniger bis gar nichts zufriedengeben, wenn es die Grundbedürfnisse betrifft.

      Von solchen Grundbedürfnissen ausgeschlossen sind selbstredend teure Markenartikel, neue Kraftfahrzeuge, lebensunwichtige Highendgeräte oder der tägliche Gang ins Fünfsternerestaurant.

      Ich fantasiere nicht von einem Schlaraffenland.

      Ich wünsche mir eine Gesellschaftsstruktur, in welcher Leistung anerkannt und diese anständig und fair entlohnt wird. Eine Gesellschaft, die nicht Youtube-Stars produziert, sondern selbstständige, aber vor allem selbstkritische, reflektierende Persönlichkeiten hervorbringt, die sich ihrer Talente bewusst sind. Eine Gesellschaft, in