Katharina Meinhold

Wilde Zeiten – Wie du deinen Sohn gelassen durch die Pubertät begleitest.


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Wer mit Unterstützung nur halbtags tätig ist, materiell ausgesorgt und viel Zeit hat, kann womöglich perfekt mit der Situation umgehen.

      Doch auch das Materielle allein ist nicht entscheidend, wenn es um ein Zuhause mit einem Pubertierenden geht: Wichtig sind Verständnis, Zuneigung und Regeln, an denen sich ein Heranwachsender orientieren kann.

      Während der Pubertät werden Regeln infrage gestellt und neu ausgehandelt. Der Heranwachsende erfährt durch seine körperliche und geistige Reife neue Möglichkeiten, die er für sich nutzen und ausprobieren will. Dieser plötzlich entgrenzte Raum kann (je nach bisherigem Erfahrungsumfeld) überwältigend sein. Die Erlebnisse müssen erst verarbeitet werden, um sie zu begreifen.

      Das Austesten von Grenzen gehört zur Pubertät. Gerade männliche Jugendliche sind extrem risikofreudig und setzen sich ohne nachzudenken vermehrt Gefahren aus. Diese werden auch in der körperlichen Auseinandersetzung, in Drogenexperimenten und anderen Grenzerfahrungen gesucht. Der Hintergrund wurde lange allein in Hormonschüben, mangelnder Erfahrung und Spontaneität gesehen. Neuere Studien zeigen, dass Jugendliche sehr wohl Vor- und Nachteile von Handlungen abwägen, dies aber eher nach sozialen Maßgaben. So zeigten Untersuchungen, dass Jungen deutlich weniger Risiken eingingen, wenn ihre Mutter anwesend war und eher zu riskanten Handlungen neigten, wenn sie Freunden imponieren konnten. Gleichzeitig gibt es eine hohe Zahl an Jugendlichen, die sich vollkommen unauffällig verhält.

      Es ist also nicht allein eine Frage des Glücks oder purer Zufall, ob ein Junge in der Pubertät gefährdet ist, sondern auch eine Frage des sozialen Umfelds und der Bindungen.

      Gerade darum ist es wichtig, in der Familie an einer Basis zu arbeiten, die Vertrauen schafft. Dazu gehören das Einhalten von Regeln und auch das konsequente Sanktionieren, wenn Regeln verletzt werden.

      Von der Idee, dass ausschließlich die Eltern ihre Kinder erziehen, habt ihr euch bestimmt bereits verabschiedet. Ein langer Weg liegt hinter euch, auf dem ihr gemeinsam mit eurem Sohn gewachsen seid. Auch ihr habt euch verändert und durch euer Kind gelernt. Zumal Erziehung nicht allein durch euch erfolgt. Großeltern, Verwandte und das Umfeld nehmen direkt oder indirekt Einfluss, Kita und Schule wirken in großem Maße auf euren Sohn ein. Mit der Erweiterung des Erlebnisraums wächst der Kreis, der ihn beeinflusst und auf den auch er wirkt. Beziehungen sind immer Wechselbeziehungen.

      Mit dem Heranwachsen eures Sohnes ändert sich auch die Struktur eures Verhältnisses zueinander. Die weisende Haltung kann in dem Maße abnehmen, in dem das Verantwortungsgefühl auf der Seite eures Sohnes wächst. Das bedeutet nicht, dass ihr eure Rolle als Eltern vorzeitig aufgebt und euch selbst aus der Verantwortung entlasst oder nicht mehr für euren Sohn da seid. Allein rechtlich ist das nicht möglich.

      Sehr individuell muss hier austariert und ausdiskutiert werden, was euer Sohn bereits schafft und für sich beanspruchen kann. Mehr Freiheit ist immer auch mit einem Mehr an Verantwortung verbunden und oft mit Pflichten gekoppelt. Ziel sind das verantwortungsbewusste, selbstständige Handeln und die Fähigkeit, alleine Entscheidungen für sich zu treffen und auch die Konsequenzen zu tragen.

      Für uns als Eltern bedeutet das, loslassen zu können. Das sollte nicht abrupt erfolgen, sondern sich als Prozess schrittweise vollziehen, der von vielen Gesprächen und gemeinsamen Erfahrungen begleitet wird. Damit wird die Pubertät zu einer Übergangsphase für Eltern und Kind, die damit abschließt, dass aus dem Jungen ein Mann geworden ist. Aus der Erziehung wird eine Beziehung zwischen Erwachsenen.

      Die Pubertät löst Stress bei Eltern aus. Doch dabei sollte genau hingeschaut werden: Sind die Ängste berechtigt oder macht euch die Idee Angst, dass euer Sohn erwachsen wird? Habt ihr wirklich Grund zur Sorge oder ist es die Angst vor dem, was alles passieren könnte (aber in Wirklichkeit in eurem speziellen Fall gerade gar nicht passiert).

      Die Pubertät kann zu einer Phase der Herausforderung werden, in der es vermehrt zu Verletzungen, Rechtsstreitigkeiten und Auseinandersetzungen mit Grenzerfahrungen im Bereich von Alkohol und Drogen kommt, sie muss jedoch keine solche sein.

      Setzt euren Sohn (und euch selbst) also nicht unter Druck, indem ihr ihn von vornherein unter Generalverdacht stellt und ihm damit das Leben schwer macht, sondern seht die Zeit als eine Phase des Abschlusses, in der etwas wunderbares Neues beginnt.

      Unbenommen können aber auch extreme Ereignisse eintreten, mit denen wir als Eltern umgehen müssen. Ein eigenes Versinken in Aggression, Trauer oder Apathie hilft dann nicht. Steht die Polizei vor der Tür, müssen wir als Erwachsene handeln. Sich positiv zu verhalten bedeutet dann nicht, lächelnd alle Probleme zu negieren, sondern situationsspezifisch zu reagieren und gemeinsam mit eurem Sohn Lösungen zu finden. Schwänzt euer Kind die Schule, muss geschaut werden, was wirklich dahintersteckt und welche Alternativen es gibt. Prügelt sich euer Sohn, hilft es nichts, zu brüllen, sondern es müssen die Zusammenhänge aufgedeckt und Regularien gefunden werden.

      Atmet auch immer einmal tief durch und nehmt euch Zeit für euch, um wieder Kraft zu tanken. Tretet innerlich einen Schritt zurück, um neue Möglichkeiten sehen zu können und auch das Positive nicht aus den Augen zu verlieren.

      Steht euch die Phase noch bevor, bewahrt Ruhe und bleibt gelassen: Die Pubertät kann, aber sie muss nicht zwangsläufig mit Extremerfahrungen verbunden sein. Schürt keine Ängste in euch, die ihr auf euren Sohn übertragt: Er steht an der Schwelle zum Erwachsenwerden, spürt die Veränderung, hat mit Herausforderungen auf vielen verschiedenen Gebieten zu kämpfen und möchte aber auch das Leben und die Welt kennenlernen.

      Um ihn zu unterstützen, hilft eine Familie, die zu ihm steht, ihn akzeptiert und ohne Bedingungen liebt. Damit Familie als Basislager für junge, hinausstrebende Forscher funktionieren kann, braucht ihr Familienregeln, die von allen akzeptiert und eingehalten werden. Setzt euch mit eurer eigenen Geschichte und dem Prozess der Pubertät auseinander, erhöht sich die Chance zu einer toleranten und dennoch konsequenten Haltung, an der sich euer Sohn orientieren kann.

      In den folgenden Kapiteln wird es um Schule, Sexualität, Medienkonsum und Drogen gehen. Mit diesen Themen kann man angstbesetzt, offensiv oder beobachtend steuernd umgehen, es sollte uns Erwachsene jedoch nicht davon abhalten, den Selbstständigkeitsdrang unserer Kinder als etwas Positives zu erleben.

      Der letzte Abschnitt der Kindheit beschäftigt Menschen seit Langem. Das hat evolutionäre Gründe, denn der Nachwuchs sichert den Erhalt der Gruppe und in dieser letzten Phase vor dem Erwachsensein beweist sich, ob die Nachkommen dazu fähig sein werden. Schon immer wurde dabei männlichen Nachkommen neben der Fortpflanzung der Part zwischen Wehrhaftigkeit und Tätigkeit zum Unterhalt der Gruppe zugewiesen. Diesem Anspruch in modifizierter Form müssen sich Jungen heute auch stellen. Zunächst geht es jedoch um physische Veränderungen, die zwischen dem 12. und 18. Lebensjahr auftreten und in der Geschlechtsreife (der pubertas) gipfeln.

      Während der Pubertät verändert sich der Körper genetisch gesteuert unter dem Einfluss von Hormonen. Entscheidend sind nicht nur Längenwachstum und Gewichtszunahme, sondern das Eintreten der Geschlechtsreife. Gleichzeitig kommt es zu einem Umbau im Gehirn, der mit Stimmungsschwankungen, verstärktem Bewegungsdrang und einem vermehrt das Risiko suchenden Verhalten einhergehen kann.

      Körperliche Veränderungen können mit Schmerzen einhergehen oder psychisch belasten. Diese Beunruhigung spiegelt sich im Verhalten. Jungen wirken verunsichert, ziehen sich zurück oder treten bewusst herausfordernd auf. Nicht selten tritt beides ein. Als Erwachsene können wir uns nur noch bedingt