Katharina Meinhold

Wilde Zeiten – Wie du deinen Sohn gelassen durch die Pubertät begleitest.


Скачать книгу

oder wenn man sich nach einem Unfall temporär auf neue Bewegungsformen einstellen muss. Schon ein Pflaster an der rechten Hand kann einen ablenken und die Stimmung beeinträchtigen.

      Jugendliche fühlen sich in diesem Zwischenstadium verloren, nur dass die Pubertät kein Unfall ist, sondern das Anbrechen des erwachsenen Lebens bezeichnet und mit einem neuen Selbstbewusstsein verknüpft werden muss. Der häufige (oder zu seltene) Blick in den Spiegel ist nichts anderes als diese Selbstvergewisserung, die gebraucht wird, um Ich-Stärke zu entfalten.

      Während bei Mädchen die Eierstöcke vermehrt Östrogen abgeben, sich dadurch die Brust herausbildet, die Gebärmutter sich abschließend entwickelt und das Wachsen der Schamhaare einsetzt, erleben Jungen bereits wesentlich früher angeregt über Sexualhormone einen Anstieg des Testosterons. Einerseits kommt es dadurch zu einem erhöhten Wachstum des Körpers und der Muskeln, aber auch wesentlich früher zu einer Reifung der Geschlechtsorgane und oft schon vor der eigentlichen Pubertät zu einem erstmaligen Samenerguss durch das Hoden- und Peniswachstum zwischen dem 9. und 14. Lebensjahr.

      Meist beginnt die lustvolle Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper bereits früher als bei Mädchen und wird während der gesamten Pubertät beibehalten. Gleichzeitig kann dies aber auch zu inneren und äußeren Konflikten führen. Neben dem Selbstverständnis spielen die Selbstdarstellung und die Bewertung von Sexualität durch das Umfeld eine Rolle.

      Längenwachstum kann eine Herausforderung sein. Ähnlich wie Alice im Wunderland geht es auch Jungen, die plötzlich in die Höhe schießen und überall anecken. Während das Wachstum der Geschlechtsorgane und der Schambehaarung in der Regel mit dem 14. Lebensjahr abgeschlossen ist, kann sich das Längenwachstum bis zum 21. Lebensjahr hinziehen.

      Jugendliche erleben sich daher in einem Zwischenstadium: Sie wirken körperlich noch wie kleine Jungs, haben aber bereits erste regelmäßige sexuelle Erfahrungen mit sich selbst gesammelt. An sie werden stereotypische Forderungen gestellt, mit denen sie sich auseinandersetzen müssen.

      Das Einleben in den neuen Körper sowie das Aushalten von Schwäche und Kraft sind Herausforderungen, bei denen wir Eltern unseren Jungen mit Toleranz, Achtsamkeit und Respekt unterstützen sollten. Denn nicht selten ist man plötzlich der Kleinste oder auch der Längste in der Klasse und muss seinen Platz erst wieder für sich und im Gruppenzusammenhang finden. Familie als sicherer Rückzugsort ist hier wichtig!

      Das Wachsen der Haare im Schambereich beginnt heute oft bereits vor dem 10. Lebensjahr. Später setzt die Achselbehaarung meist parallel mit der Bildung eines Oberlippenflaums ein. Das Sprießen der Haare wird als unangenehm empfunden. Es juckt, die Haut ist gereizt und empfindlich. Erwachsene kennen den Vorgang vom Rasieren der Achsel- oder Beinhaare. Doch während hier der Vorgang bereits bekannt ist, überfällt er Jungen unverhofft und zum ersten Mal.

      Nicht selten tauchen auch zuerst Fragen auf, ob man nicht krank sei oder Ähnliches. Erst mit der Aufklärung des Phänomens können Jungen gelassener damit umgehen und den Vorgang als lästig, aber natürlich hinnehmen. Wird aus dem ersten Flaum sukzessive ein Bart, wird dies sogar oft mit Stolz beobachtet. Ein erstes gemeinsames Rasieren unterstützt das Selbstbewusstsein. Wir Eltern sollten jedoch auch akzeptieren, wenn Jungen das Bartwachstum für sich ablehnen und ihre zugeschriebene Sexualität infrage stellen und hier ebenso mit Enthaarungsmöglichkeiten unterstützen.

      Die Veränderungen des eigenen Körpers durch das Wachstum können verschiedene Reaktionen auslösen, die widersprüchlich sein können. Wie im gesamten Prozess der Pubertät gibt es die Tendenz zum Verharren-Wollen in der Kindheit und zum lang ersehnten Aufbruch. Das Widersprüchliche spiegelt sich auch im Verhältnis zum Wachstum.

      Einige Jungen wollen heute noch Kind sein und morgen schon ganz erwachsen. Einige geben sich großspurig gereift und sehen sich bereits im Bereich der Erwachsenen.

      Das Selbstbewusstsein hält nicht unbedingt mit dem Wachsen des Körpers mit. Oft ist die scheinbare Selbstsicherheit gespielt. Wird unbeabsichtigt am Lack gekratzt, reagiert der Heranwachsende mit Trauer oder Zorn.

      Wichtig ist es, den eigenen Sohn in diesem Prozess sensibel zu begleiten und die eigenen Erwartungen zurückzustellen. Mancher sportliche Vater wünscht sich einen dynamischen Recken an seiner Seite und schaut unbewusst auf seinen schmalbrüstigen Vierzehnjährigen herab. Das sollte nicht sein. Findet als Erwachsene eine tolerante, unterstützende Haltung eurem Sohn gegenüber. Sport kann stabilisierend wirken, ist aber auch nicht immer die optimale Lösung. Man sollte immer besonders achtsam und rücksichtsvoll mit einem heranwachsenden jungen Mann umgehen, um ihn nicht zu verletzten. Das Burschikose, mit dem das Bild eines Jungen oft verbunden wird, ist nicht immer geeignet, um in Phasen der Neufindung wirklich zu unterstützen.

      Durch die hormonelle Umstellung kommt es vermehrt zur Bildung von Fetten und einer Veränderung des Körpergeruchs. Pickel, Pusteln und Akne sind typisch für die Pubertät. Nicht nur Mädchen leiden unter fettigen Haaren und unreiner Haut. Auch Jungen empfinden diese Veränderungen als unschön und entwickeln Schamgefühle. Immer noch wird das äußere Erscheinungsbild von jungen Männern mit anderen Kriterien bewertet als das Bild junger heranwachsender Frauen.

      Während hier eine ganze Kosmetikindustrie Mädchen mit Pflegeprodukten überschüttet (und unter Druck setzt), gibt es bei Jungen oft Vorbehalte. Um hier das richtige Maß und den richtigen Weg zu finden, solltet ihr euren Sohn genau im Blick haben und euch fragen, was er möchte. Das gilt auch beim Kauf von Pflegepräparaten. Wir können unser Kind unterstützen, eine solide Basis zur Gesundheitspflege und zum achtsamen Umgang mit sich selbst zu entwickeln, wenn wir die Zusammenhänge zwischen Ernährung, Umstellung des Körpers und Hygiene darlegen und unserem Sohn helfen, ein positives Selbstbild zu entwickeln.

      Der Stimmbruch erfolgt bei manchen Jungen fast unmerklich, andere erleben ihn als deutliche Herausforderung. Das Wegbrechen der Stimme kann bereits ab dem 11. Lebensjahr einsetzen. Die Stimme wird mit dem Hervortreten des Adamsapfels, dem Wachstum der Stimmlippen und der Verknorpelung um etwa eine Oktave tiefer.

      Während der Absenkung kann es immer wieder zu einem spontanen Wegbrechen der Stimme kommen. Auch die Lautstärke kann sich dem bewussten Einsatz entziehen. Jungen empfinden es oft als peinlich, wenn dies im Gespräch oder auch bei Vorträgen in der Schule passiert.

      Manche Jungen haben diese Phase in wenigen Monaten hinter sich gelassen, andere kämpfen etwa ein Jahr lang mit dem Stimmwechsel.

      Auch hier ist Unterstützung gefragt. Keinesfalls sollte man die Situation ins Lächerliche ziehen, sondern sensibel auf die individuelle Situation eingehen.

      Der erste Samenerguss kann einen Jungen erschrecken. Meist erfolgt er bereits vor dem 13. Lebensjahr nach dem Beginn der Pubertät. Der spontane Erguss resultiert aus dem Hodenwachstum und der beginnenden Spermienproduktion. Oft passiert es nachts und wird schamhaft mit spontanem Urinabgang gleichgesetzt.

      Je informierter ein Junge ist, desto besser kann er mit der Situation umgehen. Herausforderungen entstehen nur, wenn die Ejakulation fälschlich als mögliches Symptom einer Krankheit gewertet oder mit einer falschen Scham als unmoralisch eingestuft wird.

      Aufklärung schafft die Grundlage für ein Verständnis der natürlichen Vorgänge.

      Um einen Jungen nicht zu bedrängen, sollte man ihm Fragen beantworten, doch keine Diskussionen aufzwingen. Herrscht ein offenes, verständnisvolles Klima