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lächelte dabei. „Wo soll das noch hinführen“, seufzte sie, während sie die Spitzen ihres aschblonden Schopfes nach Spliss absuchte, wobei sie ein einziges beschädigtes Haar fand, was ihr beinahe die gute Laune verdarb. „Übrigens, wie kommst du auf ‚Drache‘, die spucken doch Feuer, tut er das?“ Karla, noch grimmiger: „Nein, eben nicht!“

      Karla und Endena hockten in einer üblen Spelunke in einem üblen Viertel in einer miesen Stadt. Was sie noch hier behielt, wussten sie beide nicht. „Machen wir ein Café auf?“, sprudelte es aus Endena hervor, bereits zum dritten Mal in diesem Jahr. „Kein Geld!“, brummte Karla missmutig. „Wir könnten natürlich diese Bande hier rausschmeissen und das Teil besetzen!“ Jetzt sprudelte Karla und ihre braungrünen Augen mit dem komischen gelben Kranz, der sich um die Pupillen schmiegte, blitzten leicht. Wenn sie lachte, lachten ihre Augen immer zuerst. Endena zog die rechte Augenbraue in die Höhe und fragte sich wieder mal; dann aber kam auch ihr ein Gedanke: „Und wir stellen ein paar Eunuchen als Rausschmeisser an.“ Die beiden lachten laut und lange, und da sie nicht gerade leise gesprochen hatten, versenkten die Typen am Nebentisch ihre Blicke in ihren Biergläsern.

      2

      Endena bewohnte das Zimmer zwischen der Haustür und dem Wohnraum, Karla das andere – es gab nur noch dieses. „Klein, aber unser", prangte in grossen, schwungvoll gemalten Lettern über der abblätternden und eher kurzen Badewanne, vor allem dazu da, um nach angeschlagenem Ellenbogen gelesen zu werden. „Heute woll’n wir nicht traurig sein …“, tönte es aus dem eben erwähnten Behältnis, nicht ohne eine gewisse Ironie in der Stimme, denn Karla neigte zum Weltschmerz. Als sie fertig gebadet und fertig gesungen hatte, war es zehn Uhr, Zeit, den Tag zu beginnen, wenigstens versuchsweise.

      „Endenaaaaa …“, krächzte die eben aus der Wanne Entstiegene – ihre Stimme hatte etwas unter dem Gesang gelitten, „heute ist ja der Neunundzwanzigste, da steigt ja unser ‚Bunter Abend‘ in unserem Wohnzimmer!“

      Sie meinte einen hellen Raum mit Parkettfussboden, auf dem die vielfarbigen Kerzenwachsreste von einem Hang für mystische Atmosphäre zeugten. Das Sofa, welches sich an die linke Wand drückte, war ein unbequemes Stück aus der Jugendstilzeit, welches Karla, anlässlich des Umzuges ihrer Eltern in ein kleineres Haus, bekommen hatte. Dafür kam die Stehlampe mit dem grossen Schirm, die neben dem Sofa prangte, aus der IKEA. Es passte trotzdem.

      „Ja, ja, so sei es“, war die nicht nur durch die Küchenwand verzerrte Antwort. Endena hatte bereits ein Vögelchen ins Ohr geflüstert, dass Roberto nicht kommen würde. Was war er auch immer so zurückhaltend. Oder eher sprechgestört? War sein überhebliches Schweigen nur eine kleine Verklemmung, die sie leicht beheben konnte, oder setzte er es berechnend ein, um geheimnisvoll zu wirken? Endena sonnte sich in dem Ruf, wahnsinnig intellektuell zu sein. Sie diskutierte selbst mit hoffnungslos sturen Fällen, wobei sie sich zwar sinnlos verausgabte, aber nichtsdestotrotz ein gewisses bösartiges Vergnügen darin fand. Schliesslich wurden manche Gegenüber wütend, womit sie ihr Ziel, ernst genommen zu werden, erreicht hatte.

      „Meinst du, der kleine Drache kommt auch?“, unterbrach Karla ihre Gedanken über Roberto. Der Hoffnungsschimmer war nicht aus Karlas Stimme zu tilgen. „Ich dachte, er gehe dir auf den Wecker?“, gurgelte es hämisch – diesmal aus dem Korridor. Karla murrte kurz, dann lachte sie. Sie fand sich ja selber ganz schön paradox. Verliebte sie sich denn nie in jemanden, über den sie nichts zu fluchen hatte?

      3

      Der verhängnisvolle Abend stand vor der nicht mehr ganz so sicher scheinenden Tür, und schon riefen die ersten Klingeltöne zum Gefühleverstecken auf.

      Karla setzte die coole Miene auf, welche hervorragend zu ihrem langen schwarzen Trägerkleid aus dicker Baumwolle passte und gab sich einen Ruck. Sie schaute noch mal schnell in den barocken Wandspiegel, kam sich vor wie eine Schlossbesitzerin ohne Bargeld und zerzauste ihr kastanienbraunes gerades Haar, das ihr fast bis zu den Schultern reichte. Sie war ungeschminkt, genau wie ihre Redeweise. Ausgenommen natürlich die eigenen Herzensangelegenheiten, über die sie nie sprach. Die lagen unter einer dicken Make-up-Paste verborgen und warteten geduldig auf ihr Coming-out.

      Sie kamen alle aufs Mal – auch Zorro, der Drache. Die Horde, die im Treppenhaus, das dringend einer Renovation bedurfte, laut grölte, hatte sich zuerst in der üblen Stammknelle, die in einer Einbahnstrasse im ältesten Teil Zürichs vor sich hin roch, getroffen und trug jetzt den weltoffenen Duft von Philip Morris in die heimelige Küche, wo er gar nichts verloren hatte, denn Endena und Karla waren Nichtraucherinnen. Wo gab es das noch.

      Karla sah allen in die glasigen Augen ausser einem – ihre Begrüssung für jenen nuschelte sie vor sich hin und starrte dabei auf sein stets um zwei Knöpfe geöffnetes Hemd. Als sie bemerkte, dass er ihr seine Hand hinhielt, ergriff sie diese und verlagerte ihren Blick auf seinen Mund. Die Berührung ihrer Hände war zwar nicht das, was sie erwartet hatte, doch sein spöttisches Lächeln auf dem erotischen Mund liess ihre gespielte Coolness beinahe abblättern. Sie besann sich deshalb in ihrer Not auf ihren stets griffbereiten Sarkasmus, der sich ihrem Zugriff immer dann besonders schmeichlerisch anbot, wenn sie eigentlich ihre Gefühle zeigen sollte: „Hast du das, was du ausspucken solltest, zuhause gelassen?“ Er wusste selbstverständlich nicht, was sie meinte, und sein Spott ging augenblicklich in Verärgerung über. Karla lächelte befriedigt. Sie hätte am liebsten in seinen roten Haaren herumgewütet und ihn in den Hals gebissen, doch sie behielt ihre vampirischen Neigungen für sich. Irgendwann einmal …

      Dann gab sie sich genussvoll der Begrüssung der weniger aufwühlenden Figuren hin.

      Am „Bunten Abend“ wurde Kreatives erzeugt. Endena, in einem dunkelvioletten Minikleid mit grünen Punkten darauf und mit dicken schwarzen Woll-Leggins darunter, war gerade dabei, sich auf die Farbe Gelb zu konzentrieren, als Gustav ihr etwas ins Ohr flüsterte. Er besass eine frappierende Ähnlichkeit mit Dalí in jungen Jahren und in seinem Blick schimmerte manchmal etwas Morbides. Sein Ziegenbärtchen kräuselte sich an den Enden und passte zu seinen schwarzen Überwasserhosen, die von grauen Hosenträgern gehalten wurden. An den Füssen trug er robuste Stiefel, die bei seiner dünnen Figur für die richtige Ausgewogenheit sorgten. Als er noch jünger war, nannten ihn seine Bekannten „die kleine Fledermaus". Kurz nach der Fledermauszeit, vor Jahren, waren er und Karla „das“ Paar. Sie stritten zwar täglich, doch alle anderen hielten ihre Beziehung für ideal.

      Endena hörte ihn trotz seines exzentrischen Äusseren erst beim zweiten Anlauf. Ihr Gesicht verzog sich zu einem „Spinnst du?!", und er zog sich daraufhin hüstelnd zurück. Sie tat zwar so, wie wenn sie sich wieder auf die Farbe Gelb konzentrieren würde, doch dieses schüchterne, aber äusserst direkte „Du übst eine starke Anziehungskraft auf mich aus, weisst du“ liess sie nicht mehr los.

      Der Erfinder dieser nicht sonderlich originellen Phrase betrieb das Spiel mit den Farben etwas professioneller – er besuchte die medizinisch-technische Abteilung der Kunstgewerbeschule. Dort durfte er Autopsien zeichnen und andere nette Sachen. Ihm gefielen Endenas Werke, von denen ein paar im Gang aufgehängt waren, so gut wie sie selber, auch wenn die Bilder eher von Feinheit und Sensibilität denn von Mord und Totschlag zeugten. Sie konnte mit den hellen Farben eine klingende Elfenwelt aufs Papier zaubern. Gustav fühlte sich äusserst geknickt. Doch im Grunde seines Herzens liebte er störrische Frauen. Er wusste allerdings nicht, dass der Hauptgrund für ihre distanzierte Haltung ihm gegenüber ihre Zuneigung zu Roberto war.

      Karla hatte ihr Malpapier auf den Boden gelegt und kniete zwischen ihren ausgebreiteten Farben, ohne Rücksicht auf zukünftige Flecken. Sie sass in dem einen Winkel, von dem aus sie einerseits Zorro unbemerkt beobachten konnte, und wo sie sich andererseits in seinem Blickfeld befand – schliesslich wollte sie auch von ihm gesehen werden.

      Zorro trug eine selbst gemachte Hose mit aufgenähten Blumenmuster-Pads und ein oranges langes Batikhemd – gekauft. Er lehnte sitzend an der Wand und schien sich zu langweilen. Er war nicht der Typ, der Kreativität in der Öffentlichkeit produzieren konnte. Die Angst, damit nicht anzukommen, war zu gross. Da tat er lieber nichts.

      Karla spähte