Denise Remisberger

Suche Frosch mit Krone


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mit den Zähnen und warf die Farbe Rot auf ihr Bild.

      Unser Zorro war nun nicht gerade unsensibel, auch wenn er sich immer grosse Mühe gab, wie der Coolste von allen zu wirken. Er bemerkte also Karlas innere Zerrissenheit, aber da er noch keinerlei Erfahrung mit dem Schönen Geschlecht hatte, interpretierte er natürlich alles falsch. „Sie findet mich völlig daneben“, sagte er sich. Sein sinnlicher Mund, der mit grosszügigem Schwung in sein Gesicht gezeichnet war, verzog sich zu einem grimmigen Strich, was seine erotische Ausstrahlung leicht beeinträchtigte. Dann nahm er einen tiefen Schluck „Feldschlösschen“ und einen noch tieferen Zug „Schwarzen“ und atmete tief durch. „Das nützt auch nichts!“, musste er sich nach anfänglicher Umnebelung zynisch eingestehen.

      Inzwischen war Endena mit ihrem Bild, das an eine gleissende Sonne, aus der Unterwasserperspektive betrachtet, erinnerte, fertig geworden und wanderte im Raum umher – im materiellen, versteht sich, denn sie hielt weder was von „Schwarzem“ noch von „Grün Gestreiftem". Sie wollte die Werke der andern inspizieren. Sie fing dann auch gleich mit Remos Gemälde an.

      Remo machte auf „verkannter Yuppie“. Er bemühte sich, mit seinen khakifarbenen Sakkos sportlich-elegant zu wirken, doch da er sich kein wirklich teures Material leisten konnte, wiesen seine Klamotten so viele Knitterfalten auf, dass er eher an jemanden erinnerte, der die abgetragenen Kleider seines grossen Bruders gnädigerweise vermacht bekommen hatte.

      Der nach zwei Jahren Trennung immer noch in seine Ex-Freundin verliebte Arme hatte sich wieder mal herzzerreissend auf dem Papier ausgelassen. Das Bild war in rosa Tönen gefasst und stellte eine langstielige Rose dar – was sonst.

      Endena fragte sich, wieso unglücklich Verliebte immer so fantasielos sein müssen.

      Remo hockte also davor und sinnierte mit verzweifeltem Romeoblick, der zu seinen glatt nach hinten gegelten, schwarz gefärbten Haaren hervorragend passte. Sein angeborener Schleierblick, den euphemistischere Menschen als „verträumt“ bezeichnen würden, wurde durch seine Brille mit dem Metallgestell und den kleinen runden Gläsern auf die Ebene der klaren Wahrnehmung getäuscht. Ohne Brille, also in Wahrheit, sah er die Welt verschwommen und illusorisch.

      Endena grinste bereits, als sie zu sprechen anfing. „Remo, du solltest dir eine neue Flamme zulegen.“ Er zuckte zusammen, doch sie fuhr unbeirrt fort: „Warst du nicht vor einer Woche mit dieser Arbeitskollegin von der Bank im Ausgang?“

      Remo arbeitete nämlich widerwillig als Händler in einer dieser verrufenen Schweizer Grossbanken und trug schon seit mehreren Jahren das Problem des Nicht-loslassen-Könnens mit sich herum.

      Nach Endenas Frage sprang er auf die Füsse, fuchtelte mit den Armen herum und rechtfertigte sich ungerechtfertigt: „Ich habe sie nicht abgeschleppt! Ich bin nicht so einer!“

      „Eben“, war die knappe Antwort.

      Endena liess ihn stehen, wo er war und ging auf die Toilette. Dort begegnete sie Karla, die gerade eine scheussliche Grimasse vor dem Spiegel zog. „Hast du ein Problem?“ „Rotschöpfchen nervt mich!“ „Schon wieder?“ „Immer noch!“

      Karla stürmte in die Küche, um sich einen Kamillentee zur allgemeinen Beruhigung zu brauen und stiess dabei heftig mit Zorro zusammen, dem vor Schreck die Pommes-Chips-Tüte aus der Hand fiel und knisternd auf dem Boden ankam.

      „Hi", grinste er schelmisch, wobei seine spitzen Schneidezähne entblösst wurden. Sein Selbstvertrauen hatte in der Zwischenzeit wieder etwas zugenommen.

      Karla verzog zuerst den Mund zu purer Missbilligung, packte dann ein Büschel roter Haare und küsste ihre Nervensäge heftig auf den Mund, der sich ihrem ohne Widerrede öffnete. Dann riss sie sich los und torkelte völlig verwirrt über ihren Mangel an Selbstkontrolle zu ihrem Bild zurück.

      Zorro war nicht weniger verwirrt – schliesslich hatte er sich vor Kurzem noch eingeredet, dass sie ihn nicht mögen würde. Sein Herz flatterte, seine Hände zitterten und er fühlte eine prickelnde Energie sich in seinem Körper ausbreiten. „Gibt es das wirklich?“, fragte er sich, hilflos seinen Sinnen ausgeliefert, die seiner sonstigen Kopflastigkeit so fremd waren.

      4

      Währenddessen hockte Roberto zuhause in seiner Zwei-Zimmer-Wohnung vom Sozialamt (als Beamter der Stadt kam er schneller als andere zu einer billigen Wohnung, trotz seines höheren Einkommens) vor der Glotze und liess ein langweiliges Programm über sich ergehen. Dabei träumte der inzwischen immerhin schon 25-Jährige von der Liebe, und zwar von der körperlichen, und das, ohne sich dabei wirklich zu berühren. Er konnte, was seine Unberührtheit betraf, Zorro durchaus das Wasser reichen. Letzte Woche liess er sich die dichten strohblonden Haare bis auf 5 cm abschneiden, wobei er eine Strähne irgendwo über dem rechten Ohr doppelt so lang beliess. Er war dem New-Wave-Zeitalter, das in seiner Pubertät aktuell gewesen war, noch nicht ganz entwachsen. Dafür steckten seine wohlgeformten Beine in einem Paar abgewetzter Blue Jeans, das eher an den Wilden Westen erinnerte. Vielleicht hatte er ja eines seiner vergangenen Leben dort verbracht und es noch nicht verarbeitet. Sein schlabberiges T-Shirt mit den halblangen Ärmeln entbehrte jeglicher Farbe.

      Gerade raffte er sich zum vierten Male zur Küche auf, um seinem Bierharass eine volle Flasche mehr zu entwenden, und schon hatte ihn das konkrete Leben wieder eingeholt. „Wie war noch ihr Name? Endena, genau, so hiess sie. Sie wurde verlegen, als er sie ansprach und doch hing ein Grinsen an ihren vollen Lippen. Lachte sie ihn aus?“ Er fragte sich das mit ernster Miene und trank.

      5

      Später, um vier Uhr morgens, als unser Roberto schon ins schwarz bezogene Bett gefunden hatte, läutete es an der Tür. Schlaftrunken stolperte er in Richtung des schrillen Tons und fand dort, nach mehrmaligem Drehen des Schlüssels in beide Richtungen, Ronald vor. Ronald überragte Roberto um einen halben Kopf, obwohl jener seine 1.80 vorzuweisen hatte. Vielleicht war die Ursache des Grössenunterschiedes aber auch die ewig gebückte Haltung Robertos, die ihn kleiner erscheinen liess. Ronalds kurz geschnittenes dunkelbraunes Haar mit der grünen langen Strähne, an der ein silbernes Glöckchen baumelte, hing ihm tropfend in die Stirn, da er seinen Weg zu Robertos Heim zu Fuss bewältigt hatte, obwohl es in Strömen regnete. Auch die braune Lederjacke mit dem kaputten Reissverschluss tropfte. Das einzige Stück, das der Regen verschont hatte, war seine mit einem Lederdeckel versehene Uhr. Das Ganze sah aus wie ein riesiges braunes Armband. Er war sehr stolz darauf. Ronalds Wangen glühten in einem feuerroten Ton und er miefte nach Fahne. Er hielt noch den Becher Bier in der Hand, den er sich am „Bunten Abend“ von Karla geben liess. Diese war offensichtlich sehr erpicht darauf gewesen, ihn fortgehen zu sehen. Er trampte also in Robertos Wohnung und wartete, bis dieser ihm ein Lager im Wohnzimmer vorbereitet hatte. Dieser Raum vermittelte einen etwas kargen Eindruck, denn ausser dem Fernseher und einem bequemen Sessel davor, beherbergte er nur noch eine Matratze, die mit einem alten karierten Tischtuch bedeckt war.

      Ronald wohnte in einer anderen Stadt, da er dort eine Stelle als Grafiker in einem Atelier ergattern konnte, und der letzte Zug war schon lange weg.

      „Wieso bist du nicht auch gekommen?“, lallte Ronald. „Ich musste zu meinen Eltern nachhause, sie haben mich eingeladen“, war die lahme Antwort. „Wie alt bist du?“, kam es prompt zurück. Nach dem hervorgepressten „Fuck off“ marschierte Roberto zurück ins nicht mehr ganz so warme Bett.

      Kaum aber war er wieder eingeschlafen, schreckte er auf, da jemand nach ihm tastete. „Ronald, spinnst du jetzt vollends?! Verpiss dich!“ Der Eindringling, der sich bei sich zuhause wähnte, wurde unsanft zurück ins Wohnzimmer geschoben, wo er sich auf sein Lager legte, allerdings nur mit dem Kopf; der restliche Körper kuschelte sich auf dem Parkettboden in eine imaginäre Decke. Roberto stapfte kopfschüttelnd zurück in sein Schlafzimmer und schloss die Türe sicherheitshalber ab.

      Am nächsten Morgen fand er Ronald auf dem hellblau gekachelten Badezimmerfussboden schnarchend, was seine allgemeine Empörung noch ins Besondere steigerte. Als er ihn beim Frühstück zur Rede stellen wollte, wusste der inzwischen Ausgenüchterte nichts mehr.