Alex Mann

Coronagangster


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fragte Frank hinter der Theke hervor.

      „Nein, Mann.“

      Der Kühlschrank wurde mit mehr Wucht, als notwendig war, wieder zugestoßen. Ein Zischen, als der Kronkorken von der Flasche gehebelt wurde und eine kleine Tüte Erdnüsse flog durch den Raum, klatsche vor Sebastian Hilbert auf den Tisch, rutschte über die lackierte Tischplatte und fiel ihm direkt in den Schoß.

      „Bedien` dich“, sagte Frank Becker und kam mit zwei Radlerflaschen an den Tisch zurück. „Geht auf´s Haus.“

      „Du bist zu großzügig.“

      „Na an ´ner Scheißtüte mit Erdnüssen geh ich jetzt auch nicht pleite.“

      „Dir geht´s dreckig, was?“

      „Bist du gekommen, um mir was zu erzählen, was ich schon weiß?“, fragte Frank Becker genervt und leerte den Rest seiner ersten Flasche. „Der Laden lief richtig gut. Ich hatte schon einen Großteil meiner Küche abbezahlt, ich hatte ein Team zusammen, das brauchbar war und dann kam die verfickte Kung-Flu-Seuche.“

      „Kung-Flu-Seuche?“

      Frank Becker grinste breit. „Ja. Is´n Wortspiel. Kapierst du?“

      Sebastian Hilbert überlegte einen Moment. „Ach so. Verstehe. Flu ist englisch für Grippe und Kung Flu, weil´s aus China kommt. Passt in den Laden. Guter Gag.“

      „Ne. Scheißgag. Ich war schon oft pleite im Leben, aber gerade dachte ich, ich hab´s geschafft und könn´t mir ´ne schöne Rente aufbauen, da passiert so´n Scheiß. Ich hab ´n Arsch voll Schulden, die von Tag zu Tag wachsen, weil ich nicht einen Cent mehr einnehme und der Laden Kohle frisst und frisst.“

      „Verkauf ihn doch.“

      Frank seufzte schwer und nahm einen tiefen Schluck aus seiner neuen Flasche. „Ganz ehrlich? Ich hab` schon drüber nachgedacht. Das Problem ist, dass jetzt keiner ein Restaurant kauft und wenn, dann nur zu Dumpingpreisen. Statt großer hätt´ ich dann nur kleine Schulden. Aber wenn man nicht zahlen kann, ist´s letztlich scheißegal, ob man mit 200 oder 200.000 in der Kreide steht. Die Bank hat einen an den Eiern.“

      „Was ist denn mit diesen ganzen staatlichen Hilfsprogrammen?“

      „Die garantieren mir, dass ich nicht unter der Brücke leben oder verhungern muss, aber sie nützen mir einen Scheiß mit dem Laden.“

      „Ehrlich? Ich hab´ mal gelesen, dass das gar nicht so wenig Geld ist, dass viele nur nicht die richtigen Summen abrufen, die ihnen zustehen.“

      „Kann sein und weißt du, woran dass liegt? Weil´s hunderte Formulare gibt und keiner auf so einem Scheißamt, der einen eigentlich beraten soll, einem erklärt, was man machen muss. Sie erklären einem nur, dass man in die Zeile, wo Name steht, seinen Namen eintragen muss, als wäre man zu blöd zum Lesen. Aber wo, wann und wie ich vielleicht noch einen anderen Antrag besorgen kann, von dem ich nichts weiß, der mir aber helfen würde, dass wissen die Pfeifen nicht. Interessiert die ja auch nicht. Beamte werden ja schön weiter bezahlt.“

      „Ja, die Welt ist ungerecht.“ Sebastian riss die Tüte auf, streute ein paar Erdnüsse auf den Tisch und fing an, sie zu essen.

      „Und wie zum Hohn muss mir mein Nachbar das dumme Arschloch immer vorschwärmen, was für eine Chance ihm Corona doch bietet, weil er Zeit für die Kinder hat. Seine Frau ist Lehrerin im Elternurlaub, er ist freischaffender Künstler – also defacto schon immer arbeitslos – und jetzt machen sie sich jeden Tag einen Bunten, weil Sie für´s Nichtstun bezahlt wird. Sie fahren ins Gebirge, sie fahren in die Lausitz zum Baden oder nach Leipzig. Sie machen all das, was man noch machen darf, was – so schwärmt mir der Wichser immer vor – gar nicht mal so wenig ist. Er hat gerade ein tolles Leben, der Honk, und das Einzige, was bei mir weiterläuft, ist die Scheiß-Schuldenuhr. Jede Sekunde, die ich hier mit dir quatsche, nehmen meine Schulden zu. Ist wie mit dieser Scheiß-Anzeige, die dir zeigt, wie die Staatsschulden wachsen.“

      „Wie groß sind denn deine Schulden?“

      „Ich war mal runter auf vierzigtausend. Ein Klacks. In spätestens zwei Jahren wäre ich schuldenfrei gewesen und hätte noch jemanden eingestellt. Dann wäre ich nur noch zum Essen in meinen eigenen Laden gekommen. Jetzt haben sie sich mehr als verdreifacht. Müssten jetzt gute hundertfünfzigtausend sein. Aber wie gesagt, es wird sekündlich mehr. Am Ende des Quartals werden es um die hundertachtzigtausend sein. Aber das ist scheiß egal, weil ich keine Einnahmen hab`, weder für vierzig, noch für hundertachtzigtausend.“

      „Wie lange hälst du noch durch?“, fragte Sebastian, holte eine angerissene Schachtel Zigaretten unter seinem Jackett hervor und ließ eine davon in seine linke Hand gleiten.

      „Keine Ahnung. Schätze mein einziges Glück ist im Moment, dass die Scheiß-Banken nicht wissen, welchen ihrer vielen Gläubiger sie zuerst ins Grab bringen sollen. Theoretisch bin ich mit drei Raten im Rückstand, mein Dispo ist aufgebraucht und seit zwei Wochen bezahle ich meine Einkäufe durch meine Plattensammlung, die ich bei Ebay verhökere.“ Frank hielt inne und runzelte die Stirn, als Sebastian sich die Zigarette zwischen die Lippen schob und ein Feuerzeug hervorholte. „Ey, das ist ein Nichtraucherladen.“

      „Ist doch eh grad´ keine Sau da“, sagte Sebastian und breitete die Arme aus, um die Leere des Raumes zu betonen.

      „Ist mir scheißegal, ob jemand da ist, oder nicht, das ist mein Laden und hier wird nicht geraucht.“

      „Ich will dir helfen Mann, da kannst du mich auch eine rauchen lassen.“

      „Bisher trinkst du nur mein Bier, frisst meine Erdnüsse und klaust mir die Zeit.“

      „Ach, hast du Termindruck?“

      „Das geht dich ´n Scheiß an und jetzt pack die verdammte Fluppe weg. Ich bin kurz vor´m Explodieren und du bist grad dabei, mir ´n Grund zu liefern, meine Scheiß-Wut an dir auszulassen.“

      „Okay, okay.“ Sebastian hob beschwichtigend die Hände, nahm die Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger der Rechten, hielt sie Frank vor das Gesicht und ließ sie demonstrativ in der Brusttasche seines Jacketts verschwinden. „Also wie gesagt, ich will dir helfen. Ich hab` da ´nen Freund, der bereit wäre, dir etwas Geld zu leihen.“

      „Und was soll mir das bringen?“

      „Naja, du könntest erst mal deine Raten bei der Bank abbezahlen und wärst bei denen aus dem Schneider. Könntest deine Miete bezahlen, den Strom und den ganzen Quatsch.“

      Franks linkes Auge verzog sich zu einem schmalen Schlitz als er Sebastian Hilbert musterte. Sie waren keine guten Freunde. Sebastian war nicht der Typ guter Freund. Er war der Typ, der sich an andere ranhing, sie irgendwie kannte und ab und zu von seinen Bekanntschaften profitierte. Aber er war sicherlich kein selbstloser Freund und Helfer und diese Erkenntnis machte Frank misstrauisch.

      „Und was soll das bitte für ein Freund sein? Ich hab` keinen Bock auf irgendwelchen illegalen Scheiß. Mit so was bin ich durch.“

      „Ich denke, du brauchst dir da keine Sorgen machen. Mein Freund will etwas Geld anlegen. Gut, du zahlst ein bisschen mehr Zinsen, als bei ´ner Bank, aber du verschaffst dir Zeit. Ich meine, wie lang soll der ganze Coronakack noch gehen? Einen Monat, zwei?“

      „Ich hab` das Gefühl, das hört nie wieder auf. Besonders für uns kleine Restaurantbesitzer. Erst erzählen sie uns, tut dies, tut das, kauft Wegwerfbesteck und schiebt die Tische auseinander, halbiert eure Kapazitäten und dann, wenn alles läuft und man alles arrangiert hat, um wenigstens ein bisschen Geschäft zu machen, heißt es, ´Sorry, die verfickten Zahlen gehen gerade wieder hoch, ihr müsst leider doch zu machen.` Zweihundert Arbeitsstunden musste ich bezahlen, um alles vorzubereiten, ich habe zwei Säcke voller Scheiß-Plastebesteck, ´nen beschissenen Luftfilter hab` ich gekauft, weil alle sagten, so was hilft und dann kommt so ‘n Scheißer vom Gesundheitsamt und sagt, ´Zumachen`.“

      „Ja, ich kann mir vorstellen, dass das nervig ist.“

      „´n Scheiß kannst du!“, sagte Frank genervt