Kerstin Hornung

Die Nähe der Nornen


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      Das allerdings konnte sich Valerian nicht vorstellen. Was Levian von der Kirche hielt, wusste er nur zu gut. Außerdem konnte er kaum auf deren Unterstützung zählen, nachdem er Zauberer ins Land gerufen hatte.

      Als Valerian abends in dem harten Bett lag, wälzte er sich unruhig hin und her. Er hatte genug erfahren, um beunruhigt zu sein, und auch genug, um sich ausmalen zu können, warum Levian ihn auf die Falkenburg bestellt hatte. Zornig warf er sich von einer Seite auf die andere. Wenn Levian nicht in der Lage war, sein Land selbst zu regieren, und nun von ihm erwartete, dass er für ihn die Kohlen aus dem Feuer holte, dann war er eindeutig zu weit gegangen. Valerian war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, sofort umzukehren, und dem, seinem Bruder eine schallende Ohrfeige zu verpassen.

      Spät fiel er schließlich in einen unruhigen Schlaf.

      ***

      »Der Archiepiskopos will was?«, brüllte Levian so laut, dass man ihn zweifellos auch noch im nächsten Gebäudeflügel hören konnte. Dabei lief er unaufhörlich auf und ab.

      »Er hat es bereits getan, Majestät. Eure Gemächer sind durch die kirchliche Garde abgeschottet. Sie kontrollieren jeden, der hinein- und hinausgeht. Der einzige Weg, den sie Euch gestatten, ist der Gang eines reuigen Sünders nach Eberus.« Der Mann, Darentor von Wallhaus, stand mit gesenktem Kopf vor dem König. Er war von niederem Adel und hatte sich König Levian im Monastirium freiwillig in den Dienst gestellt, in der Hoffnung, dadurch mehr Ansehen und auch etwas mehr Reichtum zu erlangen.

      »Ist der vollkommen verrückt? Das übersteigt bei Weitem seine Befugnis. Ich werde ihn zerquetschen wie eine Fliege«, raste Levian. Rote Flecken bedeckten seinen Hals und seine bleichen Wangen oberhalb des ungepflegten Bartes. »Schickt mir sofort einen Schreiber. Ich werde dafür sorgen, dass der Fettwanst seine Entscheidung bereut. Erst wenn Eberus in Schutt und Asche liegt, werde ich ruhen.«

      »Majestät, keines Eurer Schreiben wird dieses Haus verlassen.« Die Miene des Mannes war wie aus Stein, aber er hatte die Schultern ein wenig nach oben gezogen, als erwartete er einen Schlag.

      In den letzten Monaten war er fast so etwas wie ein Berater für den König gewesen. Er hatte dafür gesorgt, dass seine Majestät die gewünschten Bücher aus der Bibliothek bekam, und hatte mit ihm die Inhalte erörtert. Er hatte geglaubt, Levian Zorn und seinen Unmut zu kennen, doch das Verhalten, das dieser jetzt an den Tag legte, jagte ihm Angst ein.

      »Du wirst zu Dosdravan gehen«, sagte der König plötzlich in normaler Lautstärke, aber sein Ton war so eisig, dass er die Luft im Raum abzukühlen schien. »Er soll sofort hierherkommen.«

      Darentor fürchtete sich davor, König Levian zu erklären, dass niemand, der in seinem Dienste stand, dieses Kloster verlassen konnte. Der verhängte Arrest betraf jeden, der sich in Levians Nähe aufhielt. Die königliche Wache war abgeführt worden. Im Kloster wimmelte es nun von Männern der kirchlichen Garde.

      »Ich werde tun, was Ihr befehlt«, hörte er sich sagen.

      »Ihr seid ein eitler Gecke, Wallhaus. Wenn Euch gelingt, was Ihr versprecht, werde ich über eine Belohnung nachdenken … ansonsten«, er machte eine bedeutungsvolle Pause und zog dann langsam und genüsslich seinen Daumen am Hals vorbei.

      Darentor senkte erschrocken den Blick. »Ihr werdet zufrieden sein, Majestät«, versicherte er schnell.

      Darentor suchte Tag und Nacht nach einer Möglichkeit, das Monastirium zu verlassen und verfluchte den Tag, da er sich dem König wie eine Hure angeboten hatte. Er verfluchte seinen Stolz und seine Eitelkeit.

      Zwei bis dreimal täglich bestellte der König ihn nun zu sich und erkundigte sich nach dem Fortgang seiner Bemühungen. Jedes Mal empfing er ihn mit dem Vorwurf: »Ihr seid immer noch hier.« Dann übertrug er Darentor weitere Aufgaben, die meist nichts mit seinem übergeordneten Auftrag zu tun hatten. Am Ende jeder Unterredung sah er ihn aus zusammengekniffenen Augen an, verzog seinen Mund zu einem Lächeln, das nichts Gutes zu bedeuten hatte und deutlich machte, dass es für den König eine willkommene Abwechslung wäre, Darentors Kopf rollen zu sehn.

      Darentor Wallhaus hing an seinem Kopf und wollte ihn keinesfalls verlieren. Immer hektischer suchte er nach einer Fluchtmöglichkeit. Er wollte möglichst viel Abstand zwischen sich und dem König schaffen, und er nahm sich vor, niemals wieder in dessen Nähe zurückzukehren, insofern sich dies irgendwie vermeiden ließ. Nach einigen Tagen kam ihm der Zufall zu Hilfe. An einer Wäscheleine entdeckte er früh am Morgen die Kutte eines Mönchs. Hastig zog er sie herunter und versteckte sie. Die Mönche verließen ab und an das Kloster, um die Gärten jenseits der Mauern zu pflegen, und Darentor hatte tatsächlich noch ein zweites Mal Glück. Es gelang ihm, sich unbemerkt einer dieser Gruppen anzuschließen. Mit gesenktem Kopf und heftig pochendem Herzen folgte er den Mönchen durch das Haupttor den gewundenen Pfad hinunter. Als das Tor außer Sichtweite war, ließ sich Darentor zurückfallen, und in einem Moment, der ihm am günstigsten erschien, lief er, so schnell er konnte, in den Schutz eines Pinienwaldes. Er hielt sich nicht damit auf, falsche Fährten zu legen. Falls jemand von der archiepiskopoischen Garde merkte, dass er nicht mehr da war, wüsste jeder, wo er ihn suchen musste. Darum rannte er geradewegs nach Norden. Seine Lungen brannten, seine Beine zitterten und sein Hals war trocken, aber er gönnte sich keine Pause. Für ihn galt es nur noch, so schnell wie möglich den Auftrag des Königs zu erledigen und dann noch schneller zu verschwinden. Eine Belohnung würde es für ihn nicht geben. Die größte und einzige Belohnung, die er erwartete, war die, aus dem Dunstkreis des Königs entlassen zu sein und ihn nie wieder betreten zu müssen. Ab und zu blieb Darentor stehen und lauschte, ob ihm schon jemand auf den Fersen war, dann lief er weiter.

      ***

      Aribald Langwasser saß mit sieben Männern an einem kleinen Feuer und war zufrieden. Es war eines von etwa fünfzehn Feuern und an jedem von ihnen wärmten sich etliche grimmig aussehende Rebellen. Nach all den Jahren, die Aribald sinnlos vergeudet hatte und die aus ihm weniger als den Schatten seiner selbst gemacht hatten, merkte er nun zunehmend, dass er lebte.

      Einst nannte er sich Baron und besaß ein nicht unerhebliches Stück Land in den Quellenbergen. Ein schönes Herrenhaus und ein gut gefüllter Weinkeller gehörten auch dazu, aber in seinem jugendlichen Leichtsinn hatte er zu viele ausschweifende Feste gefeiert und nächtelang Freunde, die er heute nicht mehr kannte, beim Würfeln freigehalten.

      Wann er begonnen hatte, schon vor dem Frühstück einen Krug Wein zu leeren, konnte er heute nicht mehr sagen. Genau so wenig, wie ihm die Jahre im Gedächtnis geblieben waren, die er in einem Nebel aus Alkohol zugebracht hatte. Nur verschwommen erinnerte er sich heute an den Fremden, der in sein Haus gekommen war und der ihm, trotz seiner herrischen und unfreundlichen Art, immer willkommen gewesen war, weil er stets einige Krüge guten Rotwein mit sich führte. Aribald Langwasser wusste nicht mehr, was für einen Handel er mit dem Mann eingegangen war, aber nach einem dieser Besuche erwachte er in seinen eigenen Verliesen, an Armen und Beinen gefesselt. Der Nebel, in dem er lebte, bekam damals zum ersten Mal einen Riss und er spürte seinen Körper wieder. Doch nur zu seiner Qual. Tagelang zerrte er an seinen Ketten und brüllte dabei wie ein Tier, bis ihn die Erschöpfung niederzwang und er besinnungslos in seinen eigenen Exkrementen liegen blieb.

      Dieser verzweifelten Raserei folgte stille Resignation. Die blutenden Wunden an Armen und Beinen vernarbten und Aribald begnügte sich mit dem abgestandenen Wasser und dem trockenen Brot, das ihm ab und zu hingestellt wurde. Sein vom jahrelangen Alkoholmissbrauch abgestumpfter Verstand ließ ihn nicht einmal mit seinem Schicksal hadern. Regungslos lag er Tage und Wochen da und starrte in das Dämmerlicht. Genauso dämmerig waren auch seine Gedanken. Er schlief, er wachte, aber er nahm nichts von all dem wahr, bis er eines Nachts brutal aufgerüttelt und dann niedergeschlagen wurde. Als er erwachte, war die Luft leichter und es gab Geräusche von fließendem Wasser. Seine Ketten hingen nicht länger an der Wand, sondern waren an einer Schiene am Boden befestigt. Schwerfällig ging er einige Schritte und staunte über die weitläufige Halle, in der er sich befand. Doch plötzlich wimmelte es in der Halle von gebeugten Kreaturen.

      Aribald war sich damals sicher, in der Hölle angekommen zu sein, aber auch dies nahm er nur zu Kenntnis, es bewegte ihn nicht. In gewisser Weise war er wirklich