Kerstin Hornung

Die Nähe der Nornen


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diesen Fund mit einem anerkennenden Schulterklopfen, denn er bereicherte ihr Nachtmahl. Auch Aribald war zufrieden. Er lag entspannt zwischen den Wurzeln einer großen Eiche und starrte durch ihre jungen Blätter in den Himmel. Zwar hörte er das Hufgetrappel, das einen Kundschafter ankündigte, aber er war viel zu träge und vollgefressen, um sich zu erheben. Was immer der Bote zu berichten hatte, er würde es gewiss noch früh genug erfahren.

      Er lauschte dem Flüstern des Windes und dem Rascheln in den trockenen Blättern des Vorjahrs. Seine Gedanken waren frei und sorglos. Müdigkeit lähmte seine Glieder und die Geräusche aus dem Lager vermischten sich mit den ersten Traumbildern, als ihn plötzlich jemand an der Schulter packte und unsanft schüttelte.

      »Knut will dich sehn!«

      »Was?«, stammelte Aribald verschlafen.

      »Jetzt beweg dich halt, dann wirst du’s schon erfahren.«

      Aribald stand auf, gähnte und klopfte den Staub aus seiner Hose, ehe er zu Knuts Feuer hinüberging.

      Gunar saß dort und unterhielt sich mit einem Mann, dessen Gesicht und Namen Aribald nicht kannte. Zwei weitere Männer, Uribert und Hubert, unterhielten sich ebenfalls. Knut war nicht da.

      Als Aribald in den Lichtkreis des Feuers trat, sahen alle auf, und Gunar winkte ihn sofort herbei.

      »Gut, dass du kommst. Knut wird auch bald hier sein, er holt nur noch Fergal und Dersthorn.«

      Aribald nickte. Die beiden Männer, die Gunar erwähnt hatte, waren Hauptleute wie Uribert und Hubert an den größten Feuern, wo sich hauptsächlich die Krieger aufhielten. Kaum zu glauben, dass alle Männer hier im Heer des Königs als Soldaten eingesetzt gewesen waren, wo doch so viele nur wenig Erfahrung mit Schwert und Bogen hatten.

      Kurz darauf erschien Knuts narbiges Gesicht im Feuerkreis. Ihm folgten der Hüne Dersthorn und der drahtige Fergal. Sie musterten Aribald misstrauisch.

      »Was tut der da?«, fragte Dersthorn.

      »Das erfährst du, wenn es soweit ist«, erwiderte Gunar knapp.

      In dem Krug, der herumgereicht wurde, war nur reines Quellwasser, was Aribald klarmachte, wie ernst dieses Gespräch werden würde.

      »Jetzt erzähl’s noch mal«, forderte Knut den fremden jungen Mann auf.

      »Ich hab sie getroffen«, begann der hastig. Seine Wangen glühten und sein Blick flatterte unruhig hin und her.

      »Fang von vorne an, Erich. Keiner hier versteht, wovon du sprichst«, mahnte Gunar ruhig.

      Erich nickte. »Ich war unterwegs, um herausfinden, was in jener Nacht geschehen ist, als dieses Licht im Wald war. Ich wollte so nahe wie möglich an Dosdravans Lager herankommen, aber das ist nicht mehr möglich. Es war richtig unheimlich, ich kann das nicht beschreiben. Eigenartig. Und dann habe ich sie gesehen.« Gunar warf ihm einen aufmunternden Blick zu und Erich fügte hinzu: »Die Elben!«

      Die Männer am Feuer sahen sich erstaunt, erschrocken und fragend an, aber ehe der Erste eine Frage stellen konnte, machte ihm Gunar auch schon ein Zeichen, zu schweigen.

      »Erst dachte ich, ich könnte mich vor ihnen verstecken«, fuhr Erich fort. »Aber einer kam direkt auf mich zu und brachte mich in ihr Lager. Es war ganz nah, aber ich konnte es nicht sehen, bis ich es betrat. Es war wie hinter einem Spinnwebvorhang. Nein, nicht ganz. Es war da und doch nicht da …« Er sah die verständnislosen Blicke der anderen und ließ die Schultern hängen. »Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll«, sagte er zu Gunar.

      Aribald wusste, was er meinte. Er erinnerte sich noch an den Ort, der plötzlich da war, ohne dass man ihn vorher sehen konnte, und auch an das Gefühl, durch etwas Spinnwebfeines hindurchzugehen.

      »Red ruhig weiter. Wir werden nie alles verstehen, was mit den Elben im Zusammenhang steht.«

      Erich holte tief Luft und fuhr dann fort. »Sie haben mich ausgefragt und ich habe ihnen geantwortet …«

      »Du hast uns verraten?!«, brüllte Fergal und sprang auf.

      »Mein Gott, du bist ja noch hitzköpfiger als Knut«, fauchte Gunar ihn an. »Setz dich sofort hin und hör zu.«

      Widerstrebend setzte sich Fergal auf den Boden, aber er sah Erich drohend an.

      »Sie wussten, dass wir hier im Wald leben und es schien sie nicht weiter zu stören. Sie wollten wissen, ob ich eine Frau gesehen habe.«

      Dersthorn grinste breit. »Schön wär’s«, flüsterte er Hubert zu, der direkt neben ihm saß.

      »Und dann baten sie mich, euch zu fragen, ob wir ihnen helfen könnten, diese Frau zu suchen. Es schien ihnen sehr wichtig zu sein.«

      »Wie sollen wir eine Elbenfrau suchen?«, fragte Uribert skeptisch.

      »Es ist keine Elbenfrau. Ich glaube, sie ist ein Mensch. Der Zauberer hat sie verschleppt.«

      »Genau, und nur um dem nicht zu begegnen, sind wir hier im Wald«, knurrte Fergal. »Warum sollten wir uns wegen einem Weib in Gefahr bringen.«

      »Mann, du bist so ein Trottel«, zischte Knut. »Verstehst du denn überhaupt nichts? Die Elben wollen sich mit uns verbünden, der Grund kann dir egal sein. Erzähl mal, wie das Lager der Elben aussah«, forderte er Erich auf. »Aber beschreib’s ihm so, wie du es mir vorhin beschrieben hast.«

      »Sie hatten Zelte aus weichem Stoff, aber darin war es warm und still wie in einer guten Stube.«

      »Wir verbünden uns doch nicht mit den Feen, nur weil ihr Lager besser ist als unseres«, knurrte Hubert.

      »Schluss jetzt. Erst erzählt Erich zu Ende, dann könnt ihr sprechen«, beendete Gunar die Diskussion.

      Erich sah verwirrt von einem zum anderen und wusste offensichtlich nicht mehr, an welcher Stelle er unterbrochen wurde.

      »Wir sollen ihnen helfen, eine Frau zu suchen, die der Zauberer verschleppt hat«, half ihm Aribald auf die Sprünge.

      Das scheue Lächeln ließ Erich noch jünger erscheinen. »Genau«, sagte er. »Und dann waren da noch vier Menschen. Männer aus dem Westen, nahe den Bergen. Ihr Herr – Hohenwart war sein Name – sucht Verbündete, die sich mit ihm gegen den König auflehnen. Als ich alles gehört hatte, haben sie mich zurückgeschickt und haben gesagt, dass ich sie benachrichtigen soll, wie wir … wie ihr euch entscheidet.«

      »Ich bin dagegen«, sagte Fergal prompt. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er beleidigt war, weil Knut ihm über den Mund gefahren war.

      »Wogegen?«, fragte Gunar gelassen.

      Fergal sah ihn böse an und antwortete nicht.

      Plötzlich spürte Aribald Gunars Blick auf sich ruhen. Er wusste, dass es an der Zeit war, seine Geschichte zu erzählen, aber er spürte Widerwillen, seine Erfahrung, die er wie einen Schatz hütete und an dem er seine Seele wärmte, diesen Männern vor die Füße zu werfen.

      »Auch ich habe Elben gesehen«, hörte er sich dennoch sagen.

      Erichs Augen leuchteten auf und ein zaghaftes Lächeln erschien in seinem Gesicht.

      »Sie retteten mein Leben, als dies schon längst nichts mehr wert war. Wenn sie jemanden brauchen, der ihnen bei der Suche behilflich ist, dann werde ich ihnen helfen, selbst wenn ich dafür durch den Thronsaal des Königs gehen muss oder durch den tiefsten Höllenschlund.«

      »Dann geh doch«, brummte Fergal. »Wir sind hier bisher auch ohne dich ganz gut zurechtgekommen. Und ohne die Elben auch.«

      »Ein paar Verbündete könnten wir schon brauchen«, bemerkte Uribert nachdenklich. »Und wenn wir ihnen helfen, helfen sie uns vielleicht auch.«

      »Das sind Feen«, gab Dersthorn zu bedenken. »Wie sollen wir ihnen helfen, wenn sie es selbst nicht können. Außerdem weiß jeder, wie gefährlich sie sind.«

      »Weiß das wirklich jeder? Oder sind wir vielleicht alle für dumm verkauft worden? Wie viele hier haben ihre