Michael Vahlenkamp

Jenseits der Zeit - Historischer Mystery-Thriller


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viel Geld anzuhäufen, wie es nur ging. Nicht zuletzt weil die Zuwendung von Barschaften an die richtigen Stellen seinem bisherigen Karriereweg nicht geschadet hatte.

      Gerade wollte er mit dem verdrießlichen Schaffen fortfahren, als es an der Tür klopfte. Zum Glück, jede Ablenkung war ihm jetzt recht. Er klappte die Mappe mit den Listen zu, setzte sich aufrecht hin und machte ein Gesicht wie jemand, der ungern gestört wurde.

      »Ja, bitte«, rief er in einem ebensolchen Tonfall.

      Einer der Rathausdiener trat ein. Wie hieß er noch: Hans, Hannes, Johannes? Sei’s drum, warum sollte er sich die Namen dieser Leute merken? Wichtig war, dass sie den seinen wussten.

      »Bitte verzeihen Sie die Störung, Herr von Zölder«, sagte er kleinlaut.

      »Ja, ich hoffe für dich, dass du einen gewichtigen Grund dafür hast.«

      Dem Rathausdiener war anzusehen, dass ihm nicht wohl war in seiner Haut. Von Zölder musste innerlich grinsen. Es war ja so einfach, diese Leute einzuschüchtern.

      »Der liegt vor, denke ich.« Der Rathausdiener klang, als hätte er einen Kloß im Hals. »Draußen stehen zwei Männer, die einen Amtsmann sprechen möchten.«

      »Wenn sie keinen Termin haben, bring sie zu irgendeinem Schreiber. Das ist doch wohl kein Grund, mich bei der Arbeit zu stören.«

      »Das wollte ich ja. Aber die Schreiber sind nicht zugegen.«

      »Nicht zugegen? Ja, und was soll ich dann daran ändern?«

      Der Rathausdiener betrachtete ausgiebig die Spitzen seiner Schuhe.

      »Nun ja, ich dachte, dass Sie vielleicht ...«

      »Was erlaubst du dir? Ich habe viel zu tun und kann nicht einfach irgendwelche Trottel empfangen, die keinen Termin haben.«

      »Das hat der Wachmann ihnen auch schon erklärt«, beeilte sich der Rathausdiener zu erwidern. »Aber dann erzählten sie von einer Zerstörung der Nordmühle und, dass sie von dem Schaden berichten wollen.«

      »Die Details interessieren mich nicht«, schnauzte von Zölder. »Scher dich aus meiner Amtsstube hinaus.«

      »Jawohl, Herr von Zölder. Ich bitte um Entschuldigung für die Störung.«

      Der Rathausdiener drehte sich um und bewegte sich in Richtung der Tür.

      Die Nordmühle. Irgendetwas assoziierte von Zölder mit der Nordmühle. Was war noch damit? Ach, stimmt ja!

      »Die Nordmühle sagst du?«, rief er dem Rathausdiener hinterher, der gerade die Tür schließen wollte. Er öffnete sie wieder und kam zurück in die Amtsstube.

      »Ganz recht.«

      »Wird die nicht von der Familie Riekhen bewirtschaftet? Und die wurde zerstört?« Ein Grinsen legte sich auf von Zölders Gesicht. »Nun, die Zerstörung vom Eigentum des Herzogtums ist natürlich eine wichtige Angelegenheit. Schicke sie zu mir rein.«

      Der Rathausdiener guckte irritiert, wandte sich aber der Tür zu, um den Befehl auszuführen, als von Zölder etwas ergänzte. »Aber lass sie erst eine Stunde warten.«

      Noch eine ganze Weile nachdem der Rathausdiener gegangen war, grinste von Zölder vor sich hin. Weiterhin grinsend legte er dann die Mappe mit den Listen der Einnahmen in die oberste Schublade des Schreibtisches und lehnte sich in seinen Stuhl zurück.

      Von Zölder schreckte vom Klopfen an der Tür hoch. Er musste kurz eingedöst sein. Mit weit aufgerissenen Augen schüttelte er den Kopf. Jetzt wäre kaltes Wasser nicht schlecht, um munter zu werden. Es klopfte ein zweites Mal.

      »Ja doch, herein bitte«, rief von Zölder ungehalten.

      Bevor die Tür aufschwang, ergriff er hastig den Federkiel und legte vor sich auf den Schreibtisch ein Blatt Papier mit Notizen. Keine Sekunde zu früh, denn im nächsten Moment trat ein hakennasiger Wachmann ein, gefolgt von zwei jungen Männern und einem weiteren Wachmann, der so stark schielte, dass einem vom Anblick schwindelig werden konnte.

      Das waren also Riekhens Söhne. Der Ältere hatte eine wahrlich hünenhafte Gestalt. Bestimmt zwei Meter groß, breit wie ein Schrank, Arme wie Baumstämme mit bratpfannengroßen Händen, doch der Gesichtsausdruck war sanft und besonnen. Er sah seinem Vater ganz und gar nicht ähnlich. Anders der jüngere Sohn, der ein Abbild seines alten Herrn war: klein, eher schmächtig und mit einem wilden, temperamentvollen Blick. Sogar die Haare ragten ihm lang und lockig ins Gesicht, ebenso wie es die seines Vaters früher taten.

      Na, dachte von Zölder, dann kann der Spaß ja beginnen.

      Er bemühte sich, so streng zu gucken, wie es ihm nur möglich war.

      Eine und eine halbe Stunde hatten Jacob und Herold gewartet. Davon hatten sie eine Stunde in einer muffigen, kleinen Kammer ohne Fenster gestanden, bis Hakennase sie schließlich wieder abholte. Jacobs Kehle war ausgedörrt und seine Geduld längst aufgebraucht. Langes Warten war nichts für ihn.

      Als sie ihnen durch die Flure folgten, konnte er das Gespräch der Wachmänner hören, obwohl sie nur flüsterten.

      »Dieses Mal gehst du zuerst zu diesem Ekelpaket in die Amtsstube«, raunte Hakennase.

      »Das könnte dir wohl gefallen«, erwiderte der Schielende ebenso leise. »Aber das kannst du gleich wieder vergessen.«

      »Warum soll ich immer derjenige sein, der sich von ihm zusammenscheißen lassen muss?«

      »Von ‚immer‘ kann gar nicht die Rede sein. Als wir die Nachricht über den Fund der dritten Leiche überbringen sollten, war ich es, der sich von ihm ausschimpfen lassen musste, weil er angeblich erst so spät davon erfuhr. Nein, nein, du hast in dieser Angelegenheit angefangen und du führst es auch zu Ende.«

      Hakennase schimpfte leise vor sich hin.

      »Was ist eigentlich mit dieser Leiche? Weiß man darüber schon etwas Neues?«, fragte Schielauge.

      Hakennase unterbrach sein Schimpfen.

      »Woher soll ich das wissen?«, gab er muffelig zurück.

      »Dein Schwager ist doch bei den Polizei-Dragonern. Hat der noch nichts davon mitbekommen?«

      »Ja, doch. Er sagt, dass man völlig im Dunkeln tappt. Genau wie bei den ersten beiden Leichen. Man weiß nur, dass es keine Unfälle waren.«

      »Woher?«

      »Das kann man wohl feststellen. Die ersten beiden wurden erschlagen und der letzte erwürgt, bevor sie in den Graben geworfen wurden. Das soll der Bader jedenfalls gesagt haben.«

      Interessant, dachte Jacob. Wie man das wohl feststellen konnte? Wahrscheinlich hinterließ das Erwürgen Verletzungen am Hals. Wenn das so war, dann mussten sie kaum sichtbar sein, denn Jacob konnte sich nicht an irgendetwas Auffälliges am Hals des Toten erinnern.

      Die Wachmänner blieben vor einer Tür stehen. Hakennase atmete einmal tief durch und klopfte an. Als nach einer Weile immer noch keine Antwort kam, klopfte er erneut an, woraufhin eine unwirsche Stimme von drinnen die Erlaubnis zum Eintreten erteilte.

      Als sie die Amtsstube betraten, war der Ratsherr dabei, etwas zu schreiben. Er hob den Blick und musterte sie. Gewiss arbeitete er bereits seit Stunden, so müde und verquollen wie seine Augen aussahen. Trotzdem wirkte sein Blick herrisch, als er zuerst auf Herold und dann auf Jacob ruhte. Jacob wandte den seinen nicht ab. Der Ratsherr sollte nicht glauben, dass er sich ihm unterlegen fühlte, nur weil er ein einfacher Müllergehilfe war.

      Hakennase stellte sich an die rechte Seite und starrte die gegenüberliegende Wand an, der andere Wachmann blieb hinter ihnen stehen.

      »Was höre ich da?«, sagte der Ratsherr, sich wieder an Herold wendend. »Ihr habt die Nordmühle zerstört, die euch vom Herzogtum und insbesondere der Stadt Oldenburg zur Bewirtschaftung zur Verfügung gestellt wurde?«

      Jacobs Puls beschleunigte sich sofort. Welche Anschuldigung! Sie sollten sie zerstört haben? Was hatte dieser