Michael Vahlenkamp

Jenseits der Zeit - Historischer Mystery-Thriller


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      »Also: Wir werden das Wasser aus dem See schöpfen. Dazu bauen wir ein Becherwerk. Das sind viele Becher hintereinander, die mit einem Band verbunden sind. An diesem Band laufen sie über Räder. Auf der Oberseite sind sie mit dem geschöpften Wasser aus dem See gefüllt und auf der Unterseite kehren sie leer zum See zurück.«

      Herold zog ein Blatt Papier heran, tunkte die Feder in die Tinte und malte versetzt zueinander zwei Kreise.

      »Das sind die Räder.«

      Die Kreise verband er mit geraden Linien.

      »Das ist das Band, das um die Räder läuft.«

      Oben und unten auf den Linien malte er viele kleine Halbkreise, die mit der runden Seite dem »Band« zugewandt waren.

      »Hier haben wir die Becher ... und das ist das Wasser darin.«

      In die Becher oberhalb des »Bandes« malte er kleine Wellenlinien.

      Selbst Jacob konnte erkennen, dass es eine Art Riementrieb von der Seite darstellen sollte, auf dem rundherum diese Becher befestigt waren. Er konnte sich vorstellen, dass oben das Wasser in den Bechern blieb, während es unten rausfallen musste.

      »Hm, ... aber wie wird das Wasser geschöpft? Muss sich das Ganze nicht irgendwie bewegen, damit es funktioniert?«

      »Genau«, fuhr Herold fort. Er malte eine weitere, größere Wellenlinie oberhalb des unteren Rades. »Die untere Seite des Becherwerks muss im Wasser vom See eingetaucht sein. Die beiden Räder drehen sich. Dadurch werden die Becher vorwärts bewegt, schöpfen unten das Wasser aus dem See und schütten es oben wieder aus.«

      »Aber wodurch drehen sich die Räder? Müssen wir dort kurbeln?«

      »Natürlich nicht. Wir lassen die Räder von der Mühle drehen.«

      »Von der Mühle?«

      »Ja. Wenn wir Wind haben, hat die Mühle doch genug Kraft. Da macht es ihr nichts aus, dieses Becherwerk noch mit anzutreiben.«

      Jacob kratzte sich am Kopf.

      »Das verstehe ich nicht. Wie soll die Mühle die Räder drehen?«

      Herold nahm ein neues Blatt Papier und malte die Mühle von der Seite.

      »Bisher endete die Hauptantriebswelle, die man Königswelle nennt, direkt beim Mahlstein.« Er malte die Königswelle mit zwei senkrechten Strichen in die Mitte der Mühle und darunter den Mahlstein als liegendes Rechteck. »Wir werden den Mahlstein versetzen«, er malte ein Rechteck neben dem vorherigen, »verlängern die Königswelle weiter nach unten durch, sodass wir über Zahnräder den Mahlstein und beliebige andere Dinge antreiben können. Also auch das Becherwerk.« Unten an die verlängerte Königswelle malte er ein flaches, waagerechtes Rechteck und daran ein flaches, senkrechtes Rechteck, die wohl die Zahnräder darstellen sollten. An das senkrechte Rechteck ergänzte er zwei parallele Linien, die nach außerhalb der Mühle führten.

      Herold schwieg, während Jacob eine ganze Weile auf die Zeichnung starren musste, bis er glaubte, alles verstanden zu haben. Die Königswelle reichte bis nach unten, dort wandelten Zahnräder die senkrechte in eine waagerechte Drehbewegung um, die wiederum das Rad vom Becherwerk antrieb.

      »In Ordnung. Soweit habe ich begriffen. Jetzt musst du mir aber noch verraten, wozu es gut sein soll, das Wasser da oben auszuschütten. Willst du einen Gemüsegarten bewässern und zukünftig Kartoffeln und Wurzeln auf dem Markt verkaufen?«

      Herold lachte.

      »Wir haben doch den Hügel bei der Mühle. Dort hinauf bringen wir das Wasser«, sagte er.

      »Willst du dort oben dein Gemüse anbauen?«

      »Nein, dort oben bauen wir ein Becken, in dem wir das Wasser sammeln, wenn wir Wind haben.«

      Jacob sah Herold mit offenem Mund an.

      »Und wozu soll das wieder gut sein? Wenn du schwimmen willst, kannst du es doch auch direkt im See tun, ohne diesen Aufwand zu betreiben.«

      Wieder lachte Herold.

      »Weißt du denn immer noch nicht, was ich vorhabe? Wir hatten doch bisher oft Zeiten, in denen kein Wind wehte und die Mühle still stand. Das ist in Zukunft vorbei, zumindest so lange wir Wasser in dem Becken haben. Denn wenn wir nicht genug Wind haben, lassen wir einfach das gesammelte Wasser wieder den Hügel herunterlaufen und treiben damit die Mühle an.«

      »Mit dem Wasser? Aber wir haben doch eine Windmühle.«

      »Ja, das wird der schwierigste Teil. Dazu brauchen wir zusätzlich ein Wasserrad. Auf der einen Seite der Mühle holen wir das Wasser mit dem Becherwerk aus dem See und auf der anderen Seite führen wir es dem See wieder zu und treiben damit das Wasserrad an, welches den Mühlstein bewegt.«

      Einen Moment herrschte Schweigen. Jacob brauchte wieder eine Weile, bis er alles begriffen hatte.

      »Verstehst du denn nicht?« Herold wurde langsam ungeduldig. »In Zukunft können wir bei Flaute mahlen, was bedeutet, dass wir unseren Ertrag erhöhen können.«

      Jetzt war es Jacob, der lachen musste, als er den gesamten Umfang von Herolds Idee endlich verstand.

      »Das ist ja grandios«, überschlug er sich. »Herold, du bist ein Genie.«

      »Na ja, mal langsam. Diese Umbauten dauern leider viel länger als die einfache Reparatur. Wenn wir nebenbei noch einer Tagelöhnerarbeit nachgehen müssen, haben wir keine Kunden mehr, wenn wir damit fertig sind. Die sind dann zu anderen Mühlen abgewandert.«

      Jacob musterte Herold. Er war noch nicht fertig mit seinen Ideen, das sah man ihm an. Irgendetwas hatte er noch auf Lager.

      »In Ordnung, raus damit. Wie können wir dieses Problem lösen.«

      »Also gut«, fuhr Herold fort. »Ich sagte eingangs, dass diese Idee der Ausweg aus unserer momentanen Situation sein könnte. Es sieht doch so aus, dass wir gerade keine Einnahmen durch die Mühle haben. Ein paar Tage halten wir es noch aus, aber dann müssen wir uns eine andere Arbeit suchen. Und wir müssen nicht nur unseren Lebensunterhalt bestreiten, sondern zusätzlich die Mühlenpacht zahlen und Ersatzteile zur Reparatur kaufen. Das bedeutet, dass wir sehr viel bezahlt arbeiten müssen und nur wenig Zeit für die Reparatur haben. Also wird das alles sehr lange dauern, sodass uns wohl tatsächlich irgendwann die Kunden abwandern.«

      Herold machte eine Pause, damit Jacob das Gesagte verarbeiten konnte.

      »Na gut«, meinte Jacob. »Wie kommen wir nun aus dieser Situation heraus?«

      »Wenn wir die Mühle auf die Art umbauen, wie ich gerade beschrieben habe, werden wir danach mehr Einnahmen haben als bisher. Und diese Mehreinnahmen müssen wir beleihen. Wir müssen jemanden finden, der uns einen Kredit gibt, den wir später mit Zinsen zurückzahlen. Der Kredit muss so hoch sein, dass wir nicht gezwungen sind, eine andere Arbeit anzunehmen und zugleich noch zwei oder drei Hilfskräfte bezahlen können, die uns bei den Umbauten helfen. Auf diese Weise, denke ich, werden wir schneller fertig sein, als ohne Umbauten.«

      »Das hört sich doch prima an«, begeisterte sich Jacob, der erleichtert war, keine Knochenarbeit bei den Gerbern verrichten zu müssen. Dann fiel ihm jedoch etwas ein. »Aber, die Mühle gehört uns doch nicht. Wir dürfen sie nicht einfach umbauen.«

      »Auch darüber habe ich schon nachgedacht«, erwiderte Herold. »Jacob, was genau hat der Ratsherr von Zölder gesagt und geschrieben, wie wir die Mühle wieder aufbauen sollen?«

      »Was meinst du?«

      »Hier, das Schreiben.« Herold reichte ihm den Brief der Stadt über den Tisch. »Sieh es dir noch mal an. Was steht dort?«

      Jacob las sich den Text erneut durch und dann ging ihm ein Licht auf.

      »Dort steht, dass es egal ist, wie wir es machen.«

      »Genau, der Stadt Oldenburg ist es egal, wie die Mühle aufgebaut wird. Und da nehmen wir den Ratsherrn beim Wort und bauen die Mühle nach unserem Ermessen wieder auf.« Nun