Susan Carner

Mord am Campus


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der Glasinnenwand festsetzte. Er liebte die Zähigkeit dieses Getränks, die nur erreicht wurde, wenn der Alkoholgehalt zwischen dreiundvierzig und sechsundvierzig Prozent betrug. Seine Vorfahren wussten schon, warum sie sich für diese Sorte entschieden hatten.

       Warum nur hatte er sich vor zweiundzwanzig Jahren für diese Frau entschieden? Weil sie schwanger gewesen war. Ein paar mal nur hatte er mit ihr geschlafen. Sie hatte ihn gereizt. Mit ihren provokanten Aussprüchen und ihrem umwerfenden Dekolleté. Und dann hatte sie ihm aus heiterem Himmel eröffnet, dass sie ein Kind erwartete. Sein Kind.

       Natürlich hatte er um ihre Hand angehalten, sehr zum Leidwesen seiner Eltern, die sich eine gute Partie für ihn gewünscht hatten. Genug Mädchen aus der besten Neu-England Gesellschaft waren Schlange gestanden, den Spross einer alt eingesessenen Familie zu heiraten. Aber nie hätte er eine Frau im Stich gelassen, die sein Kind unter ihrem Herzen trug. Wobei er sich nicht sicher war, ob sie überhaupt ein Herz hatte. So, wie er sie die letzten Jahre kennengelernt hatte.

       Ständig hatte sie ihm vorgeworfen, er schränke ihre Entfaltungsmöglichkeiten ein, weil er sie mit Kind in ein spießiges Wohlstandsleben presste, wo sie die Vorzeige-Ehefrau zu geben hatte. Es allerdings genoss, vor ihren Freundinnen mit dem stilvollen Stadthaus im geschichtsträchtigen Beacon Hill prahlen zu können. Er hatte nach wie vor ihr geschwollenes ›das Haus ist im Federal Style erbaut, es stammt aus der Zeit um 1815‹ im Ohr, wenn ihre Freundinnen das erste Mal zu Besuch kamen. Und wie schätzte sie erst die Dinnerpartys, die er für seine verwöhnte Klientel oder verschiedene Wohltätigkeitsvereine geben musste. Schließlich hatte er als direkter Nachkomme von einem der Unterzeichner des Mayflower Compact, der ersten von Freien formulierten Verfassung Amerikas, seine Verpflichtungen.

       Sie sträubte sich ebenso wenig gegen das hübsche Anwesen in Chilmark auf Martha’s Vineyard. Monate hatte sie an diesem Ort verbracht, als Lilly klein war, während er in Boston seiner Arbeit nachgegangen war und sich vor Sehnsucht nach seiner Tochter verzehrt hatte. Seine Frau hatte er nie vermisst, aber Lilly ...

       Er war überzeugt davon, dass sie deshalb so viel Zeit auf Martha’s Vineyard verbracht hatte, weil sie ihm damit die Tochter entziehen und ihre zahlreichen Liebhaber treffen konnte. Was ihn seit längerem nicht mehr tangierte. Im Gegenteil. Er hatte sich reichlich revanchiert.

       So hatten sie sich beide arrangiert, ohne je darüber zu sprechen. Sie genoss die Vorzüge, eine reiche Frau zu sein und über viel Freizeit zu verfügen. Kindermädchen und Hausangestellte nahmen ihr schließlich alles ab, was lästig gewesen wäre. Und auf den für ihn wichtigen Partys glänzte sie. Sie war nicht nur eine vorzügliche Gastgeberin, sondern auch eine schöne Frau und wusste ihre Reize einzusetzen. Und nutze diese zu ihrem Vorteil. Manchmal nutzten sie ihm ebenfalls.

       Mehr als einmal gewann er einen Klienten, weil Caroline diesem schöne Augen gemacht hatte. Der sich erhoffte, seine Angebetete so öfter zu sehen, wenn er in der seit Generationen berühmten Anwaltskanzlei Warden&Son seine Geschäfte abwickeln würde. Und wenn er Glück hätte, würde Caroline ihn sogar erhören. Sie hatte fast alle erhört. Wollte ihn damit verletzen.

       Doch er nutzte ihr Potenzial. So war sie in seinen Augen wenigstens für etwas zu gebrauchen. Seine Frau wollte sich zwar mit ihren Liebhabern an ihm rächen, aber an ihm prallte dies ab. Wenn sie ihm wieder einmal mit schadenfrohem Lächeln eine ihrer Affären unter die Nase rieb, berührte ihn das nicht.

       Ihr Reiz war ziemlich schnell verflogen, als er erkannt hatte, welche Persönlichkeit in ihr steckte. Sie wollte nur einen reichen Ehemann. Und er war darauf hereingefallen.

       Also vergnügte er sich, wie sie treffend festgestellt hatte, mit den betrogenen Ehefrauen seiner Klienten. Kaum ließ sie ihn wissen, wer ihr derzeitiger Geliebter war, lud er die betreffende Ehefrau ein.

       Gab sich als verständnisvoller Freund, aufmerksamer Gentleman, hörte ihnen zu. Alles Dinge, die sie von ihren Ehemännern nicht mehr kannten. Nicht eine war darunter, die sich nicht über kurz oder lang tröstend von ihm in die Arme nehmen ließ. Dann kam, was kommen musste.

       Er goss sich einen weiteren Scotch ein. Leise lächelnd dachte er daran, wie er jedes Mal zum Zug gekommen war.

       Eigentlich lief es bei allen gleich ab. Er traf die Damen in einem verschwiegenen kleinen Restaurant außerhalb von Boston, brachte sie danach gentlemanlike bis vor ihre Haustür. Alle luden ihn auf einen Kaffee oder einen Digestif ein. Einige schüchtern, andere herausfordender. Die ihn zum Kaffee einluden, waren die Schüchternen. Da wusste er, dass er viel Geduld brauchen würde, und so manche Tränenausbrüche über sich ergehen lassen musste.

       Doch irgendwann lagen sie alle schluchzend in seinen Armen, ihre Körper bebten, als sie ihm gestanden, dass ihre Männer vermutlich eine Affäre hätten. Klammerten sich hilfesuchend an ihn. Er strich beruhigend über ihren Rücken, über ihre Haare, über ihr Gesicht.

       Legte einen Finger unter ihr Kinn, hob ihren Kopf, schaute sie mitfühlend an und meinte leise: »Kein Mann ist es wert, dass man sich wegen ihm Kummer macht«, und ließ seine Lippen sanft auf die gegenüberliegenden treffen. Einige wenige reagierten überrascht, die meisten erwarteten diesen Kuss bereits.

       Waren sie überrascht, strich er zärtlich über ihre Wangen, schaute tief in ihre Augen. »Es ist nur ein Kuss, um dir zu zeigen, wie attraktiv du bist und dass dein Mann dich nicht verdient, wenn er dich hintergeht. Wo er doch eine so bezaubernde Frau zu Hause hat.«

       Dann schimmerten meist Tränen in ihren Augen, bevor sie diese schlossen und ihren Mund für weitere Küsse darboten. Es folgten sanftes Streicheln und liebevolle Worte. Über kurz oder lang ergab sich jede seinem Werben.

       Mit manchen schlief er nur einmal. Entweder, weil diese Damen sofort ein schlechtes Gewissen bekamen oder er spürte, das könnte gefährlich werden und sie könnten mehr von ihm wollen als tröstenden Beistand. Manche langweilten ihn sofort. Wobei das selten vorkam. Die meisten unbeachteten Ehefrauen waren einem Abenteuer nicht abgeneigt. Und sehr freizügig mit ihrer Gunst. Wenn er nur an Deborah dachte …

       Für ihn war seine Ehe somit ein perfektes Arrangement, sein Leben allerdings hatte er sich so nicht vorgestellt. Der einzige Grund, warum er sich nicht scheiden ließ, war seine Tochter Lilly.

       Er liebte Lilly abgöttisch. Und sie ihn. Dafür war er sicher, dass sie ihre Mutter hasste. Denn Caroline hackte ständig auf ihr herum. Ließ sie wissen, dass sie sich in dieser Ehe gefangen fühlte, weil er – und damit deutete sie jedes Mal mit dem Zeigefinger anklagend auf ihn – sie geschwängert hatte. Es wäre besser gewesen, abzutreiben, als diesen spießbürgerlichen Moralapostel zu heiraten, polterte sie stets.

       Lilly lief dann weinend nach oben in ihr Zimmer. Es kostete ihn immer viel Überredungskunst, bis sie ihr Zimmer aufschloss und er sie trösten konnte. Er wiegte sie in seinen Armen, liebkoste ihr goldenes Haar, sprach beruhigend auf sie ein.

       »Warum hasst sie mich so?«, hatte sie vor kurzem nach einem heftigen Streit mit ihrer Mutter zornig ausgerufen. »Was nur habe ich ihr getan?«

       Er konnte nur hilflos die Schultern zucken. Seit mehr als zwanzig Jahren bereute er jeden Tag, mit dieser Frau geschlafen zu haben. Er bereute aber nicht das Produkt dieser Tat. Lilly war so liebreizend, klug und von schneller Auffassungsgabe, dass es ihm eine Freude war, sie aufwachsen zu sehen.

       Jetzt wird er sie bald verlieren, ging ihm bekümmert durch den Kopf. Sie setzte die Familientradition fort und studierte ebenfalls an der Harvard University. Schon seit sie das Harvard College besucht hatte, an dem sie letztes Semester ihren Bachelor in Soziologie erworben hatte, wohnte sie am Campus in einem der schönen Wohnheime, die den Studenten zur Verfügung standen. Nur mehr an den Wochenenden war sie zu Hause, wenn überhaupt. Um den ständigen Streitereien mit ihrer Mutter zu entgehen.

       Kam sie nicht nach Hause, traf er sich Samstag Mittag mit ihr in Boston, an der Faneuil Hall, einem der ältesten Gebäude Bostons, in dem bereits ihre Vorfahren Hummer gegessen hatten, während sie über die Unabhängigkeit von England debattierten. Lilly liebte das geschäftige Treiben rund um die Hall und den anschließenden Quincy Market. Schon als Kind war