Susan Carner

Mord am Campus


Скачать книгу

Gefühlen für Lilly endlich ihren Lauf lassen«, spie sie gehässig hervor.

       »Was willst du damit sagen?«, fragte er betroffen nach.

       »Na, du liebst sie ja schon eine ganze Weile«, keifte sie.

       »Was erlaubst du dir. Ja, ich liebe sie. Als Vater. Du weißt genau, dass ich ihr nie mehr als väterliche Gefühle entgegengebracht habe«, erwiderte er entrüstet.

       »Ja, ja, ich weiß mein Moralapostel. Nichtsdestotrotz liebst du sie. Aber mir ist es sowieso einerlei. Ich will von euch beiden meine Ruhe. Deshalb hab ich Lilly heute die Wahrheit gesagt. Sie ist erwachsen und muss sich ihren Dämonen stellen. Und du deinen«, kam es erneut gehässig.

       »Wer ist ihr Vater?«, fragte er kühl.

       »Dr. Sommersby«, antwortete sie ebenso kühl.

       Nein, dieser Schlag in die Magengrube. Sie hatte also doch was mit Sommersby, der sie noch dazu geschwängert hatte. Und ihm hatte sie es angehängt. Deshalb dieser Ritt damals am Straßenrand. Schön langsam ging ihm ein Licht auf. Was für ein abgefeimtes Luder.

       »Da staunst du, was? Alle wussten, dass ich ein Verhältnis mit dem guten Professor hatte, nur du nicht. Er konnte nicht zu dem Kind stehen, das hätte ihn seine Karriere gekostet. Also haben wir dich als Daddy auserwählt. War doch optimal, oder?«, grinste sie hämisch.

       »Hast du Lilly erzählt, dass ihr vergötterter Professor ihr Vater ist?« Denn zu allem Überfluss studierte seine Tochter – nein, Carolines Tochter – an derselben Universität wie sie beide damals.

       Wie hatte sie sich gefreut, als sie die Zulassung erhielt, denn nur zwischen fünf und sechs Prozent der Bewerber wurden jährlich akzeptiert. Die Vorfahren seiner Familie waren an der Gründung der Harvard University in Cambridge auf der Nordseite des Charles Rivers, gegenüber von Boston, beteiligt. Die Eliteeuniversität war die älteste des Landes und wurde im Jahr 1636 vom General Court der Massachussetts Bay Colony ins Leben gerufen. Seinen Namen erhielt die Universität von dem puritanischen Theologen John Harvard, der 1638 sein Vermögen dem College vermacht hatte. Seit mehr als dreieinhalb Jahrhunderten wurde an den mittlerweile zehn verschiedenen Fakultäten gelehrt und geforscht. Hier erhielt Amerikas akademische, wirtschaftliche und politische Elite ihren letzten Schliff. Acht ihrer Präsidenten, von John Adams bis Barack Obama, studierten hier, über vierzig Nobelpreisträger forschten an dieser Universität. Und selbst diejenigen, die ihr Studium nicht in Harvard beendeten, waren erfolgreich – wie Bill Gates, der hier ebenfalls einmal inskribiert war. Wie sagte der ehemalige »Außenminister« von Harvard, Richard Hunt, so schön: ›Aus eckigen Charakteren runde Klassen bilden, das ist eine unserer Maximen.‹

       Es war Familientradition, in der dortigen School of Law den Abschluss zu machen. Es war nicht selbstverständlich, aufgenommen zu werden, auch wenn man über eine einflussreiche Familie verfügte und einen ausgezeichneten Notendurchschnitt aufweisen konnte. Vielmehr zählten bei der Auswahl der Studenten auch Eigenschaften wie Führungsqualitäten, Charakterstärke, soziales Engagement, intellektuelle Neugier, Integrität und Reife. Dr. Sommersby unterrichtete nach wie vor englisches Recht und war Lillys absoluter Favorit. Er sei immer so nett zu ihr, so zuvorkommend, behandle sie wie eine Tochter, schwärmte sie jedes Mal von ihm. Kein Wunder!

       »Nein, das überlass ich dir. Kannst ja besser mit ihr umgehen. Sie vertraut ihrem Daddy«, grinste sie erneut hämisch. »Übrigens, ich hab dir grad eine Mail mit meiner neuen Kontonummer und Adresse geschickt. Dahin kannst du deine Unterhaltszahlungen an mich in Zukunft überweisen«, und legte auf.

       Du wirst dich wundern, da wird nichts eintreffen, freute er sich schon diebisch auf ihr enttäuschtes Gesicht, wenn keine Zahlungen erfolgen würden. Sie hatte seine Karriere mit der Trennung ohnedies bereits zerstört, was machte es noch aus, wenn er die Zahlungen verweigerte und sie in der Öffentlichkeit Schmutzwäsche wusch? Bei dem, was sie ihm und Lilly angetan hatte, verdiente sie es nicht besser. Ihm wurde übel, wenn er an die Pressekampagne dachte, die diese Eröffnung nach sich ziehen würde. Aber jetzt musste er sich um Lilly kümmern.

       Schweren Herzens stieg er die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf. Ihr Weinen war leiser geworden. Wie nur sollte er ihr begegnen? Sie war eine junge, attraktive Frau. Vor ein paar Tagen hatte sie sich noch vertrauensvoll an ihn geschmiegt. »Daddy«, hatte sie gesagt, »warum können die Jungs nicht so sein wie du? Diese albernen Sprüche, ihr dummes Gehabe. Glauben die wirklich, sie können ein Mädchen damit beeindrucken?«

       Er wusste, dass sie keinen festen Freund hatte, nur flüchtige Bekanntschaften oder Studienfreunde, mit denen sie hin und wieder ausging. Wenn er sie fragte, wie das Date verlaufen war, kam stets die gleiche Antwort.

       »Langweilig. Sie wollten nur mit mir ins Bett. Und ihre Anmachsprüche waren nicht einmal originell. Unterhalten kann man sich ebenfalls über nichts. Außer ihren Smartphones und den diversen Apps darauf haben sie nichts im Sinn. Was soll ich mit so einem anfangen?«

       Ja, er hatte seine Tochter – hatte Lilly zu einem interessierten Menschen erzogen. Von klein auf hatte er mit ihr über Politik diskutiert.

       Zuerst über die, die sie unmittelbar betraf, wie ihren Kindergarten oder die Primary School. Später, als sie die High School besuchte, haben sie über Massachusetts und die Zustände in ihrem Umkreis gesprochen. Die Themen ständig erweitert, bis sie über die Welt im allgemein zu diskutieren anfingen. Lilly war klug, studierte neben Jura noch Politikwissenschaften in Harvard, weil sie in seine Fußstapfen treten wollte. Wie sie das jetzt wohl sah?

       Siedendheiß fiel ihm ein, dass sie auch mit einem der Söhne von Sommersby aus gewesen war. Hoffentlich war da nicht mehr passiert als ein schüchterner Wangenkuss. Wie konnte Sommersby das zulassen? Er wusste doch Bescheid ... was nur ging in dem Mann vor?

       Ben stand vor Lillys Tür. Sein Herz klopfte laut. Hatte Caroline recht, dass er nicht nur väterliche Gefühle für Lilly empfand? Blödsinn, schimpfte er. Das ist wieder einmal nur einer ihrer gehässigen Sprüche, um Unruhe zu schüren. Trotzdem war ihm mulmig zumute, wenn er daran dachte, dass er einem jungen, aufgelösten Mädchen gegenüber trat, das wusste, dass er nicht sein Vater war. Diese unbeschwerte Vertrautheit wird wohl vorbei sein, überlegte er bekümmert.

       »Lilly«, flüsterte er mit einem Kloß im Hals. Er räusperte sich. »Lilly«, versuchte er es erneut und klopfte an ihre Tür.

       »Es ist offen«, erklang ihre sonst so fröhliche Stimme tief bekümmert. Er trat ein. Seine wunderhübsche Tochter – Lilly saß auf dem Bett, völlig aufgelöst, das dunkelblonde, normalerweise seidig glänzende Haar hing ihr wirr und nass um den Kopf. Tränen schimmerten nicht nur in ihren wasserblauen Augen, die je nach Stimmung extrem hell oder sehr dunkelgründig sein konnten, sondern liefen ihr nach wie vor über ihr zartes Gesicht.

       Sie blickte scheu zu ihm auf. Der Blick tat ihm weh. Und die Gewissheit stellte sich ein, dass es mit der väterlichen Vertrautheit vorbei war. Es würde nie wieder so sein wie früher. Sie müssen sich erst eine neue Basis erarbeiten, dachte er traurig. Lilly blickte ihn an wie einen Fremden.

       »Sie hat es dir gesagt, ja?«, flüsterte sie kaum hörbar.

       Er nickte nur.

       »Wie konnte sie uns das antun? Uns so hassen?«, presste sie verzweifelt hervor.

       »Ich habe keine Ahnung«, konnte er nur bekümmert antworten.

       »Hast du nie etwas geahnt? Oder vermutet?« Ihr verzweifelter Blick schnürte ihm die Kehle zu, also schüttelte er nur den Kopf.

       »Nein«, sagte er schließlich mit fester Stimme. »Nein. Ich bin überhaupt nie auf die Idee gekommen, dass sie mir ein Kind unterschieben könnte. Ich habe ein einziges Mal mit ihr ohne Kondom geschlafen. Und da konnte es ohne Weiteres passiert sein. Heute weiß ich, dass dieses eine Mal ein ausgeklügeltes Spiel von ihr war, um mir die Vaterschaft anzuhängen. Du weißt ja, wie ich erzogen worden bin. Mir kam so etwas Ungeheuerliches nicht in den Sinn, obwohl ich als Anwalt doch einiges gewöhnt sein müsste«, schüttelte er resigniert den Kopf.

       Wie