Susan Carner

Mord am Campus


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der in einem silbernen Sektkühler bereit gestanden hatte.

       »Auf dich!« Es hatte ihm viel bedeutet, dass sie gekommen war. Sie war so herrlich unkompliziert, ein Kumpeltyp, trotzdem extrem weiblich.

       Sie hatte ihr Glas in einem Zug leer getrunken. War sie nervös?, hatte er überlegt. Er war es gewesen. Denn so nah waren sie sich noch nie. Es machte einen Unterschied, ob man eine Frau im Hotel oder bei sich zu Hause empfing. Und diese Frau, das spürte er, bedeutete ihm mehr als seine sonstigen Abenteuer.

       In seinem Sessel zurückgelehnt sah er sie vor sich, wie sie sich zu seinen Füßen gesetzt und ihn mit ihren Lippen fast um den Verstand gebracht hatte. Wie damals Caroline. Als er noch jung und dumm war.

       Aber nun war er nicht mehr so leicht zu beeindrucken, obwohl er zugeben musste, dass es mit Deborah ein wirklicher Genuss war. Sie verstand es, einen Mann zu verwöhnen. Er schätze ihre Hingabe und Leidenschaft.

       Sollte er sie heute Abend erneut einladen? Das gestern war mehr als eine leidenschaftliche Nacht. Er hatte ihr sogar angeboten, in seinem Ehebett zu übernachten.

       »In deinem Ehebett?«, hatte sie überrascht gefragt und ihn dabei eigentümlich schräg mit ihren grünen Augen angesehen. Doch die Einladung angenommen. Und so hatten sie sich noch öfter in dieser Nacht geliebt. In seinem Ehebett. Im Morgengrauen hatte sie sich verabschiedet. »Danke«, hatte sie nur geflüstert und dann war sie verschwunden.

      Gestern hat ihn seine Frau verlassen, dachte er erneut belustigt, diesmal allerdings bereits leicht beschwipst.

       Immer noch saß er mit dem Scotch-Glas in der Hand auf seinem Lieblingssessel in der Bibliothek. Lange hatte er nach diesem Sessel gesucht. Er hatte sich einen typisch englischen Bibliothekssessel eingebildet, der einen alten Ledergeruch an sich haften hatte und in dem man auch als großgewachsener Mann versinken konnte, wenn man seine Zigarre und seinen Scotch darin genoss. Er hatte ihn durch Zufall in London bei einer Auktion gefunden und sich nach Hause schicken lassen. Seine Frau war nicht begeistert gewesen, aber die Bibliothek betrat sie ohnedies so gut wie nie. Das war sein Rückzugsort. Und der Lillys.

       Wie gern kam seine Tochter schon als kleines Mädchen zu ihm in die Bibliothek und ließ sich von ihm vorlesen. Als sie klein war, saß sie auf seinem Schoß, kuschelte sich vertrauensvoll an ihn. Je älter sie wurde und somit größer, kauerte sie sich auf den Boden und lehnte sich an seine Beine. Und er las ihr vor. In letzter Zeit diskutierten sie viel miteinander, denn sie war wie er politisch interessiert und was sich zur Zeit in Amerika abspielte, war zum Fürchten.

       Hat es dieser Trump doch tatsächlich geschafft, zum Präsidentschaftskandidaten für die Republikaner aufgestellt zu werden, überlegte er schaudernd. Noch mehr grauste ihm vor den Gedanken, was Amerika, was der Welt mit einem US-Präsidenten Donald Trump bevorstand.

       Viel mehr würde er Hillary Clinton den Sieg wünschen. Es wäre ein historischer Erfolg, eine Frau auf Amerikas Präsidentenstuhl. Dann würde er eine Zukunft für seine Tochter sehen. Bei Trump dagegen ... was konnten Frauen da erwarten? Wenn er nur an die marionettenhaften Puppen dachte, mit denen sich Trump umgab. Jetzt hatte Ehefrau Nummer drei den Fauxpas begangen, die fast wortwörtlich geklaute Rede der jetzigen First Lady Michelle Obama zu wiederholen, die diese vor acht Jahren auf dem Parteitag der Demokraten zur Nominierung ihres Mannes gehalten hatte.

       In dem Moment hörte er die schwere Eingangstür ins Schloss fallen.

       »Lilly«, rief er. Nichts rührte sich. Aber es konnte nur Lilly sein. Niemand sonst hatte einen Schlüssel. Caroline hatte ihren gestern lässig auf den antiken Tisch in der Vorhalle geworfen, wo die Briefe sortiert von der Haushälterin abgelegt wurden, als sie ihm verkündet hatte, sie werde ausziehen und »dieses Ding nicht mehr brauchen«.

       »Lilly«, rief er erneut. Wieder nichts. Er erhob sich aus seinem Stuhl, leicht schwankend, auf nüchternen Magen spürte er den dritten Scotch.

       Als er aus der Tür in die geräumige Vorhalle trat, stand dort Lilly. Wie immer machte sein Herz einen Freudensprung, wenn er seine Tochter sah. Sie war das einzig Gute, das dieser Ehe entsprungen war. Ohne sie hätte er Caroline schon vor Jahren verlassen. Sie erst gar nicht geheiratet. Denn nur ihrer Schwangerschaft mit Lilly hatte sie die Hochzeit zu verdanken.

       Er hatte schnell herausgefunden, dass sie ihn nur benutzt hatte. Ein Sohn aus reichem Elternhaus, dem eine wunderbare Karriere als Anwalt bevorstand, schließlich hatte sein Vater bereits eine gut gehende Anwaltskanzlei mit mehreren Partnern. Sie hatte sich ins gemachte Nest gesetzt. Und ihm die Hölle bereitet. Ohne Lilly …

       »Was ist los?«, fragte er erschrocken, als er ihr kreidebleiches Gesicht und ihre aufgerissenen Augen sah, aus denen die Tränen herausschossen.

       »Lilly, Schatz, was ist geschehen?«, fragte er besorgt nach.

       Laut schluchzte sie auf, dann lief sie an ihm vorbei in das obere Stockwerk. Nach kürzerster Zeit hörte er ihre Zimmertür krachend ins Schloss fallen. Nun war er beunruhigt. Das sah Lilly nicht ähnlich. Sie kam mit allen Problemen zu ihm, schüttete ihr Herz nie ihrer Mutter aus, denn die machte ihr stets aufs Neue klar, wie sehr sie es bereute, nicht abgetrieben zu haben. Das hatte Lilly und ihn nur noch enger zusammengeschweißt.

       Er schritt die Treppe in den oberen Stock hinauf, sich festhaltend an dem Geländer. Er hätte dem Scotch nicht so zusprechen sollen, schalt er sich aus. Was wird Lilly von mir denken, wenn sie merkt, dass ich zuviel getrunken habe? Er riss sich zusammen, wenn Lilly zu Hause war. Aber seit sie am Campus wohnte und nur gelegentlich ins elterliche Nest zurückkam …

       Warum ist sie heute vorbei gekommen? Was bewegte sie so sehr, dass sie nach Hause gefahren ist?, überlegte er fieberhaft. Gott sei Dank war sie gestern Abend nicht herein geschneit, als er mit Deborah … wäre das peinlich gewesen!

       »Lilly«, rief er eindringlich, als er an ihre Tür klopfte. »Lilly, komm, mach auf. Erzähl mir, was dich bedrückt.«

       Keine Reaktion. Nur lautes Schluchzen.

       »Lilly«, rief er erneut und klopfte heftiger.

       »Geh weg«, schrie sie hysterisch.

       »Aber Lilly, was ist nur los mit dir? Warum willst du nicht mit mir sprechen?«, fragte er verzweifelt.

       »Frag Mom«, schluchzte sie nur.

       Caroline?, dachte er verblüfft. Was hatte die damit zu tun?

       »Hat sie dir von unserer Trennung erzählt?«, wollte er besorgt wissen. Das würde Caroline ähnlich sehen, Lilly die Schuld in die Schuhe zu schieben.

       »Nein, noch etwas viel Schlimmeres«, brach es aus ihr heraus.

       Sein Herz krampfte sich zusammen. Was hatte sie ihrer Tochter jetzt wieder angetan?

       »Lilly, sag schon, was ist es«, drang er nun heftiger in sie.

       »Nein, ich kann nicht«, und das Schluchzen wurde verzweifelter.

       Mittlerweile war er nüchtern. Die Sorgen um Lilly brachten ihm den klaren Kopf zurück.

       Ich muss Caroline anrufen, vielleicht kann sie mir sagen, was hier vorgefallen ist, überlegte er bestürzt. Falls sie mir überhaupt die Gnade erweist, mit mir zu reden, dachte er sarkastisch, während er in die Küche hinabstieg.

       Dort ließ er sich einen starken Espresso durch seine Luxuskaffeemaschine laufen. Caroline war immens stolz auf diese Rocket R58 aus Stahl. Ihre Freundinnen kamen nur wegen des Kaffees ständig auf einen Schwatz. Wahrscheinlich auch ihre zahlreichen Liebhaber, dachte er spöttisch. Wobei, damit tat er Caroline unrecht. Wenn sie etwas konnte, dann Männer glücklich machen. Allerdings nur, wenn sie Lust verspürte oder es ihren Zwecken dienlich war.

       Sie hatte eine unheimliche Gabe, einen Mann mit der Zunge zu verwöhnen, sodass er davon abhängig werden konnte. Er war als junger Student so gierig danach gewesen, dass er schon während der Vorlesung nur ihren