plaudert. Und das geht nur, wenn sie aus dem Weg ist.“
„Kannst du mir nicht sagen, worum es geht?“
„Nein, du musst mir vertrauen. Du vertraust mir doch, oder?“
„Selbstverständlich. Du weißt, was du tust.“
„Ich danke dir. In zwei Tagen ist alles über die Bühne und die Gefahr ist vorbei. Dann setzt sie irgendwo in der Pampa aus. Habt ihr darauf geachtet, dass sie euch nicht erkannt hat?“
„Sicher, wir sind keine Anfänger. Trotzdem habe ich Bauchschmerzen bei der Sache. Sie arbeitet bei der Kripo und wird vermisst werden.“
„Lass das mal meine Sorge sein. Ich streue das Gerücht, dass sie in Stadelheim einsitzt. Das wird diejenigen beschäftigen, die nach ihr suchen. Außerdem werde ich die Ulmer Kripo an die kurze Leine legen.“
„Gut. In zwei Tagen melde ich mich wieder.“ Der kurze Moment, in denen die Kollegin ihre Gesichter gesehen hatte, war nicht wichtig. Um eine Beschreibung abgeben zu können, war es zu dunkel gewesen, außerdem ging alles sehr schnell. Und dass die Kollegin telefoniert hat, verschwieg er auch. Was hatte die Frau in der kurzen Zeit schon groß weitergeben können?
2.
Leo Schwartz wurde mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen. Das ständige Läuten seines Handys versuchte er zu ignorieren, schließlich hatte er Urlaub und den hatte er sich redlich verdient. Seit dem letzten Fall war endlich Ruhe eingekehrt, wodurch er und seine Kollegen nicht nur aufgelaufene Überstunden, sondern auch den Resturlaub der letzten Jahre abbauen konnten. Leo hatte sich zuerst gemeldet und kam den anderen zuvor. Das war zwar nicht ganz fair, aber er war fix und fertig. Er freute sich auf die freien Tage, die er nur mit Schlafen, Lesen und ausgedehnten Spaziergängen verbringen wollte. Er zog die Bettdecke über den Kopf. Dieses verdammte Handy läutete fast ununterbrochen. Wütend sah er auf die Uhr: drei Uhr zweiundvierzig. Was sollte der Mist? Alle wussten, dass er Urlaub hatte. Dann stand er auf und suchte nach seinem Handy, das in der Küche neben der Spüle lag.
„Was?“, schrie er wütend.
„Komm sofort her, wir brauchen dich hier.“
„Christine? Was ist passiert?“ Leo hatte die Stimme sofort erkannt.
„Logisch bin ich es, hast du meine Nummer nicht erkannt?“
Sollte Leo zugeben, dass er nun auch eine Brille brauchte, da die Buchstaben und Zahlen immer kleiner wurden und seine Arme nicht mehr ausreichten, um alles entziffern zu können? Nein, das schien nicht der richtige Zeitpunkt zu sein. Es musste etwas Schlimmes passiert sein, sonst würde ihn seine Freundin und frühere Ulmer Kollegin nicht um diese Uhrzeit anrufen. Die dreiundsechzigjährige Pathologin war im Ruhestand und die beiden sahen sich sporadisch, nachdem sie seit seiner Versetzung ins bayerische Mühldorf am Inn rund zweihundertfünfzig Kilometer trennten.
„Wann bist du hier?“ Für Christine war es keine Frage, ob Leo nach Ulm kommen würde, das stand für sie fest.
„Was ist passiert?“ Leo war hellwach.
„Ursula wurde verhaftet, sie sitzt in Stadelheim in U-Haft. Die Ulmer Kollegen und mein Bruder haben alles versucht, sie da rauszuholen, aber das ist nicht gelungen. Es wurde den Kollegen sogar verboten, sich in die Sache einzumischen. Dir wurde nichts verboten und nur du kannst ihr helfen.“
Christine klang verzweifelt. Leo kannte die Frau schon sehr lange und er hatte sie nur selten so reden hören.
„Willst du mir sagen, dass auch dein Bruder als Ulmer Polizeichef nichts tun kann?“
„Ja. Hast du mir nicht zugehört? Die arme Ursula sitzt hinter Gittern und uns sind die Hände gebunden. Du musst herkommen und ihr helfen. Hol sie da raus, Leo, und zwar so schnell wie möglich.“
„Was, zum Henker, hat Ursula angestellt?“
„Das weiß ich nicht, das weiß niemand. Uns ist lediglich bekannt, dass sie verhaftet wurde und in Stadelheim in U-Haft sitzt, mehr nicht.“
„Ihr kennt die Anklage nicht? Was sagt ihr Anwalt?“
„Es darf niemand zu ihr.“
„Bitte? Das ist gesetzwidrig, das geht nicht.“
„Das weiß ich auch. Mach dich auf den Weg, ich erwarte dich.“
Leo zog sich rasch an und rief seinen Kollegen Werner Grössert an, der als junger Familienvater über den nächtlichen Anruf nicht gerade erfreut war. Als Leo ihm erklärte, worum es ging, war der Ärger rasch verflogen. Auch der einundvierzigjährige Werner kannte Ursula Kußmaul und mochte sie.
„Ich rufe sofort meinen Vater an. Halt mich auf dem Laufenden.“
„Danke, Werner.“
Auch Werners Vater, der Mühldorfer Rechtsanwalt Doktor Wilhelm Grössert, war über den Anruf seines Sohnes erbost. Es dauerte sehr lange, bis er den Grund verstand.
„Du willst mir sagen, dass eine Kriminalbeamtin in U-Haft sitzt und niemand zu ihr darf? Noch nicht einmal ein Anwalt, auf den jeder Bürger ein Anrecht hat?“ Doktor Grössert war mit Leib und Seele Anwalt. Er hasste es, wenn Dinge nicht so abliefen, wie sie laufen sollten.
„Ja. Und niemand weiß, was ihr vorgeworfen wird, noch nicht einmal der Ulmer Polizeichef.“
„Das wollen wir doch mal sehen. Sie sitzt in Stadelheim?“
„Ja.“
„Ich kümmere mich darum und melde mich wieder bei dir. Grüße an deine Frau und meine reizende Enkeltochter.“
Leo fuhr durch die frische Augustnacht. Nach vielen Wochen waren die Temperaturen für Leo endlich wieder erträglich. Er mochte Hitze nicht, zumal er sich regelmäßig einen Sonnenbrand holte. Seit gestern hatte er Urlaub und gerade rechtzeitig hatte es angefangen, zu regnen. Dabei sanken die Temperaturen um über zehn Grad, was für ihn eine Wohltat war.
Es war nur wenig Verkehr und Leo kam rasch voran. Was hatte die verrückte Ursula Kußmaul angestellt? Sie war frech und ihr loses Mundwerk war gefürchtet, das wusste jeder. Aber sie war nicht boshaft und würde nie etwas Ungesetzliches machen, dafür liebte sie ihren Beruf als Polizistin viel zu sehr. Er hatte Ursula während seines letzten Falles in Ulm kennengelernt, bevor er strafversetzt und zurückgestuft wurde. Der Versetzung ging eine missglückte Falle voraus, was er als Leiter der Ulmer Mordkommission auf seine Kappe genommen hatte. Anfangs mochte er die laute, schrille und in seinen Augen verrückte Ursula Kußmaul nicht. Es dauerte nicht lange und er änderte seine Meinung, denn sie hatte das Herz auf dem rechten Fleck und er konnte sich voll und ganz auf sie verlassen. Der Gedanke, dass mit ihr etwas geschah, das er vielleicht auch nicht verhindern konnte, gefiel ihm nicht. Es musste etwas Gewichtiges vorgefallen sein, sonst hätte zumindest Zeitler als Ulmer Polizeichef seinen Einfluss geltend machen und sie da rausholen können. Und wenn ihm das nicht gelungen wäre, dann hätte er zumindest die Anklage längst auf dem Tisch.
Sonst freute sich Leo schon Tage vorher, wenn er wieder nach Ulm fahren konnte und Zeit mit Freunden und ehemaligen Kollegen verbringen konnte. Aber heute war es anders. Er registrierte kaum, dass er das Ortsschild Ulm hinter sich gebracht hatte, bei dem er sonst immer einen Freudenschrei ausstoß.
Kurz vor sieben Uhr war Leo vor Christines Haus angekommen. Noch bevor er klingelte, wurde die Tür geöffnet.
„Endlich bist du da“, sagte Christine erleichtert und drückte den zweiundfünfzigjährigen Freund an sich. „Komm rein, die anderen warten bereits.“
„Die anderen?“
„Denkst du, ich bin die einzige, die sich Sorgen macht? Selbstverständlich sind Anna, Stefan und mein Bruder auch hier. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns heimlich bei mir zu treffen. Eine Schande ist das!“
Leo betrat das Wohnzimmer. Dort saßen der Ulmer Polizeichef und Christines Bruder Michael Zeitler, die frühere Kollegin