Irene Dorfner

GEFANGEN


Скачать книгу

ließ sich nochmals ausführlich die aktuelle Situation schildern, wobei er nichts Neues erfuhr.

      „Die Staatsanwaltschaft hat der Polizei jegliche Einmischung und den Kontakt zu Ursula verboten?“

      „Ja, das Innenministerium hat das abgesegnet. Und das ist es, was mir nicht gefällt. Ich zermartere mir das Hirn, was passiert sein könnte, komme aber auf keinen Nenner. Wir wissen alle, dass die Kollegin Kußmaul nicht gerade zurückhaltend ist, aber sie arbeitet immer korrekt.“ Michael Zeitler war am Ende. „Alle Stellen mauern. Offenbar wurde eine Informations- und Kontaktsperre verhängt, die ebenfalls direkt von der Staatsanwaltschaft Ulm kommen muss. Ich kenne den Oberstaatsanwalt Doktor Beilinger persönlich und habe ihn sofort angerufen, leider vergeblich. Er hat einen Termin in Frankreich und ist nicht zu sprechen, ich habe alles versucht.“

      „Hat der Mann keine Vertretung?“

      „Selbstverständlich. Ich habe mehrmals um ein persönliches Gespräch gebeten, wurde aber nur vertröstet. Man versprach mir, genauere Erkundigungen einzuziehen und sich wieder bei mir zu melden. Ich bin mir sicher, dass ich auf einen Rückruf ewig warten kann. In drei Tagen wird Doktor Beilinger zurückerwartet, dann knöpfe ich mir den Mann persönlich vor. Bis dahin sind wir auf uns allein gestellt.“

      „Wie kann ich helfen? Was habt ihr euch vorgestellt?“

      „Uns sind die Hände gebunden, wir dürfen in der Sache nichts unternehmen. Man hat mir deutlich mitgeteilt, dass man der Ulmer Polizei auf die Finger schaut und jeden unserer Schritte beobachtet. Ich befürchte sogar, dass unsere Telefone abgehört werden.“

      „Das glaube ich nicht, das kann ich mir nicht vorstellen“, rief Leo.

      „Als ich die Anweisung bekam, konnte ich das auch nicht fassen. Und wenn ich ehrlich bin, kann ich das immer noch nicht glauben und werde wütend, wenn ich daran denke. Wir sollten diese Anweisung ernst nehmen. Wir müssen höllisch aufpassen, wenn wir uns unterhalten. Wir werden uns außerhalb des Polizeipräsidiums nur heimlich treffen können, was nur bei Christine möglich ist. Ich als ihr Bruder falle nicht auf, wenn ich meine Schwester besuche. Ich fahre meinen Wagen in die Garage und die Kollegen können erst dort aussteigen, so weit sind wir schon!“ Der Ärger war Zeitler anzumerken, er schäumte fast vor Wut. „Ich komme mir wie ein Schwerverbrecher vor, der sich vor der Polizei verstecken muss, dabei gehören wir selbst dazu. Wie krank ist das denn? Aber momentan bleibt uns nichts anderes übrig, als uns so zu verhalten, weshalb ich Christine bat, Sie anzurufen und um Hilfe zu bitten. Wir können nicht tätig werden, Sie aber schon. Wenn ich nur wüsste, in welchen Schlamassel die Kollegin Kußmaul geraten ist, was solch eine Reaktion verursacht.“

      „Warum Stadelheim?“

      „Keine Ahnung, das verstehen wir auch nicht. Die Staatsanwaltschaft hat uns das ebenfalls nicht erklären können.“

      „An welchem Fall arbeitet Ursula momentan?“

      „Ich habe alle Fälle der letzten Jahre zusammengepackt und mitgebracht. Der Chef hat dafür gesorgt, dass niemand davon erfährt.“ Anna Ravelli zeigte auf einen Stapel Unterlagen, die auf der Anrichte lagen. Leo kamen diese bekannt vor. Die Farben und die Art der Einbände hatte er vor Jahren selbst eingeführt.

      „Gut, die Unterlagen nehmen wir uns gleich vor. Wann habt ihr Ursula zuletzt gesehen?“

      „Wir haben gestern einen Mordfall abgeschlossen, der wie im Lehrbuch ablief. Ein Mord aus Eifersucht, der Täter war geständig. Nach dem gestrigen Verhör haben wir den Schriftkram erledigt, gegen dreiundzwanzig Uhr war Feierabend. Ursula wollte noch auf eine Party, dort blieb sie bis kurz nach zwei. Sie hat mich angerufen und mir mitgeteilt, dass man sie verhaftet hat. Das Gespräch brach abrupt ab. Sie bat mich, den Chef zu informieren, was ich natürlich sofort gemacht habe.“

      „Ich habe meine Kontakte spielen lassen und habe nach Stunden lediglich die Information bekommen, dass sie nach Stadelheim gebracht wurde und in U-Haft sitzt. Den Rest wissen Sie bereits.“

      „Was schlagt ihr vor?“

      „Die Party fand in der Goethestraße statt. Ursula ist direkt vom Polizeipräsidium aus dort hingefahren und blieb bis kurz nach zwei, das bestätigen die Handydaten und die Gespräche mit einigen Partygästen. Nach zwei Uhr war Ursulas Handy hier, hier und hier eingeloggt, woraus wir schließen können, dass sie direkt nach Hause wollte.“ Stefan Feldmann zeigte auf der Karte die markanten Punkte. „Sie fuhr auf der Neuen Straße. Zwischen Gänslände und Gideon-Bacher-Straße wurde das letzte Signal aufgenommen, danach nicht mehr. Der Anruf an Anna kam von hier. Vermutlich wurde ihr Handy dann ausgeschaltet.“

      „Du meinst, dort muss sie verhaftet worden sein?“

      „Keine Ahnung. Ich kann dir nur sagen, wo ihr Handy zuletzt eingeloggt war.“

      „Sonst noch etwas? Wenn nicht, fahre ich jetzt in die JVA Stadelheim und spreche mit Ursula.“

      „Denken Sie, dass das so einfach geht? Die lassen niemanden zu ihr, vor allem keine Polizisten. Wenn selbst die Familie und ein Anwalt nicht zugelassen werden, dann stehen Ihre Chancen, mit ihr zu sprechen, denkbar schlecht.“ Zeitler schüttelte enttäuscht den Kopf. Hatte der Mann nicht zugehört?

      „Warum sollten sie mich nicht zu ihr lassen? Ich arbeite nicht mehr bei der Kripo Ulm.“

      „Trotzdem bist du ein Polizist, dein Name ist doch bekannt.“ Auch Christine war über die naive Art ihres Freundes enttäuscht.

      „Sie hätten sich früher nicht so viele Eskapaden leisten dürfen, der vermeintliche Ruhm ist jetzt die Quittung dafür“, brummte Zeitler. „Wir haben Sie kontaktiert, damit Sie so diskret wie möglich die Ermittlungen aufnehmen. Es steht außer Frage, dass wir Sie darin tatkräftig unterstützen. Dabei müssen wir selbstverständlich sehr vorsichtig vorgehen. Und damit meine ich vor allem Sie, Schwartz. Sie haben mich früher den letzten Nerv gekostet und ich hoffe, dass Ihnen die bayerischen Kollegen wenigstens etwas die Flügel stutzen konnten. Scherz beiseite. Wenn von Seiten der Justiz so gemauert wird, ist die Sache mit der Kollegin Kußmaul sehr heikel. Ich finde Ihren Vorschlag, mit ihr zu sprechen zu wollen, unter den gegebenen Umständen äußerst dämlich. Dadurch erfährt man doch sofort, dass Sie in die Sache involviert sind und geraten auch auf die Liste derer, die für den Schlamassel verantwortlich sind. Ich vermute, dass an der Sache sehr viel mehr dran ist, wir müssen vorsichtig sein.“

      „Gut, dann kein Gespräch mit Ursula. Ich verspreche, dass ich es nicht versuchen werde. Warten wir ab, was der Anwalt erreicht, den ich engagiert habe. Doktor Grössert ist ein harter Hund. Außerdem hat er sehr gute Beziehungen. Ich bin mir sicher, dass er etwas herausfinden wird.“

      „Ich verlasse mich auf Sie. Wenn Sie sich nicht daran halten, garantiere ich für nichts. Wir dürfen Frau Kußmaul nicht gefährden. Ich schlage vor, dass wir private Handynummern austauschen und nur darüber kommunizieren. Verfügen alle über ein solches?“

      „Ich habe nur ein Diensthandy“, sagte Stefan, der kein Freund der ständigen Erreichbarkeit war. Zeitler griff in die Tasche und übergab ihm ein Smartphone und die dazugehörige Nummer. Alle tauschten die Nummern aus.

      „Nur Gespräche und Informationen ausschließlich über diese Nummern. Treffen und Gespräche den Fall betreffend nur unter strengster Geheimhaltung. Außerdem versteht es sich von selbst, dass außer uns niemand eingeweiht wird. Die Sache mit dem Anwalt lasse ich gerade noch durchgehen“, Zeitler sah Leo strafend an. „Wir müssen nach außen den Eindruck erwecken, dass wir uns alle an die Anweisungen halten und uns nicht um die Kollegin Kußmaul kümmern.“

      „Ist diese ganze Geheimhaltung nicht völlig übertrieben?“, sagte Leo, woraufhin ihn alle anstarrten.

      „Mag sein, dass das so ist. Solange wir nicht wissen, wo Ursula ist und was ihr vorgeworfen wird, werden wir alles tun, was von uns verlangt wird. Hast du verstanden?“ Christine sprach ruhig und sah Leo dabei an.

      „Alles klar, ich habe verstanden. Ich mache mich sofort an die Arbeit. Eine Frage habe ich noch: Von wem bekamen Sie Ihre Informationen, Herr Zeitler?“