Irene Dorfner

GEFANGEN


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Kontakte. „Ich sehe zu, was ich machen kann und melde mich wieder bei dir. Übrigens: Tatjana ist seit gestern wieder zurück. Sie sieht blendend aus, die Kur hat ihr sehr gutgetan.“

      Hans war vorsichtig mit seiner Formulierung. Die Wiederkehr der genesenen Tatjana Struck bedeutete auch, dass die Vertretung durch Viktoria Untermaier überflüssig geworden war und sie nun wieder gehen konnte.

      Leo schluckte. Seine frühere Kollegin und Lebensgefährtin hatte die Vertretung übernommen, wovon er nicht begeistert gewesen war. Erst in den letzten Wochen verstanden sie sich besser und näherten sich langsam wieder an.

      „Viktoria ist wieder in Berlin?“, flüsterte er.

      „Noch nicht. Der Chef gibt heute Abend einen aus, wozu er auch dich einladen wollte. Wir wussten nicht, dass du in Ulm bist.“

      Werner Grössert wusste es, aber der hatte offenbar nichts gesagt. Warum sollte er?

      „Ich würde gerne dabei sein, aber ich kann hier nicht weg.“

      „Kann ich verstehen. Soll ich Viktoria etwas ausrichten?“

      „Nein, danke. Was die Sache mit dem Sportwagen betrifft, bitte ich um absolute Diskretion. Sollten wir hier richtig liegen, hat Ursulas Verhaftung eventuell damit zu tun. Kein Wort zu irgendjemandem.“

      „Du kannst dich auf mich verlassen.“

      Leo rief all seine Kontakte in Deutschland und im benachbarten Ausland an, denen er vertraute. Dasselbe machte Hans parallel. Die beiden waren keine Anfänger und hatten über die Jahre viele Kontakte knüpfen können. Die Gespräche waren mühsam, denn beide mussten vorsichtig vorgehen. Kein Detail, das Ursula und der Suche nach ihr schaden könnte, durfte an die Oberfläche kommen.

      Leo hatte bei dem Schweizer Polizisten Lukas Jäger endlich Glück. Der junge Polizist aus Appenzell war sehr ehrgeizig und Leo konnte sich noch gut an die problemlose Zusammenarbeit mit ihm während eines komplizierten Falles in den Schweizer Bergen erinnern, bei dem er selbst körperlich in Mitleidenschaft gezogen wurde.

      „Wenn Sie möchten, kann ich für Sie Informationen einholen“, bot Lukas Jäger an.

      „Sie haben verstanden, dass es sich um ein Fahrzeug mit Diplomatenkennzeichen handelt?“

      „Ja, das habe ich verstanden. Wir Schweizer sehen diesen Status nicht ganz so eng. Wenn man in unser schönes Land kommt, muss man sich an unsere Gesetze halten, ob nun Diplomat oder nicht. Ihr Deutschen seid in dieser Beziehung viel zu ängstlich. Ich werde mich gerne für Sie umhören, Kollege Schwartz, zumal ich immer noch sehr in Ihrer Schuld stehe. Meine damalige Mitarbeit zusammen mit der Verhaftung haben mir eine Beförderung eingebracht, an der Sie maßgeblich beteiligt sind.“ Lukas Jäger konnte kaum glauben, dass ihn Leo Schwartz persönlich anrief. Er war ein regelrechter Fan des riesigen Schwaben, der sich mit einer Bitte an ihn wandte. Nie im Leben hätte er ihn abgewimmelt, auch wenn er momentan kaum Zeit hatte und die Sache nicht ganz so einfach war, wie er vorgab. Es war klar, dass er sich umgehend um die Angelegenheit kümmern wollte.

      Leo musste schmunzeln, als er auflegte. Der Schweizer war eine Frohnatur, von denen es in dem Beruf nicht viele gab. Hatte er den Mann in Schwierigkeiten gebracht, indem er ihn bat, ihm zu helfen?

      Hans hatte sich noch nicht gemeldet, aber Lukas Jäger hatte nach drei Stunden ein Ergebnis auf dem Tisch liegen.

      „Der Wagen gehört zum Fuhrpark der Botschaft der Republik Kongo, die in der deutschen Hauptstadt Berlin ansässig ist. Dass Neacel Magoro der aktuelle Botschafter ist, dürfte Ihnen bekannt sein. Der Wagen, nach dem Sie suchen, wird hauptsächlich von einem Mann namens Temuera Achebe gefahren. Ich habe mich umgehört, auch bei uns in der Schweiz ist Achebe kein Unbekannter. Er fiel mehrfach wegen diverser Verkehrsdelikte auf. Offenbar denkt der Mann, dass man auch die Schweizer Autobahnen als Rennstrecke verwenden darf, wie es in Deutschland der Fall ist. Wir haben Geschwindigkeitsbeschränkungen, Ihr Land nicht, was diverse Raser-Spinner auf den Plan ruft. Aber das führt jetzt zu weit, zurück zu Achebe. Nach den Protokollen zu urteilen pochte Achebe bei Kontrollen auf seinen Diplomatenstatus, zu Anhörungen ist er nicht einmal erschienen. Sollte er in der Schweiz nochmals auffällig werden, blüht ihm die volle Härte der strafrechtlichen Verfolgung, denn bei uns ist das Maß schneller voll, als in Deutschland. Vielleicht sollte ich erwähnen, dass Achebe offensichtlich im Rotlicht-Milieu kein Unbekannter ist. Dafür habe ich keine Beweise vorliegen, ich bekam hierzu lediglich einen Hinweis eines Kollegen. Ich schicke Ihnen die Unterlagen zu. Wie hätten Sie es denn gerne? Fax? Email?“

      „Am liebsten wäre es mir, wenn Sie mir alles an meine private Email-Adresse senden. Ist das möglich?“

      „Normalerweise nicht, aber bei Ihnen mache ich eine Ausnahme.“ Lukas Jäger war zufrieden, als er die Unterlagen an Leos private Mailadresse sandte. Er hatte helfen können und war auch stolz auf das, was er in der kurzen Zeit herausgefunden hatte. Jäger lehnte sich zurück. Auf was hatte sich der Kollege Schwartz jetzt schon wieder eingelassen? Der Diplomatenstatus an sich war schon nicht ohne, dazu noch Achebe, der ihm auf einem Polizeifoto entgegengrinste. Ein arroganter, unangenehmer Zeitgenosse, mit dem Jäger nichts zu tun haben wollte. Die Tatsache, dass Leo Schwartz die Unterlagen an seine private Mailadresse geschickt haben wollte, unterstrich Jägers Vermutung: Das war eine ganz üble Sache, mit der sich der Schwabe beschäftigte. Aber das war zum Glück nicht mehr sein Problem, seine Arbeit war erledigt.

      Leo war aufgeregt. Hatte Jäger das Rotlichtmilieu erwähnt? Wenn dieser Achebe damit zu tun hatte, würde er es herausfinden. Dazu brauchte er sich nur mit Tatjana Struck in Verbindung setzen, deren Vater kein Unbekannter im Rotlichtmilieu war.

      Noch bevor er Tatjana kontaktierte, bekam er die Unterlagen von Jäger zugesandt. Auf dem Display lächelte ihm das Gesicht eines Mannes entgegen: So sieht er also aus, Temuera Achebe.

      6.

      Michael Zeitler und Anna Ravelli fuhren zu dem Halter eines cremefarbenen Sportwagens. Das Auto stand nicht vor dem Einfamilienhaus am Rande Ulms, eventuell parkte es in der geschlossenen Garage.

      Sie klingelten an der Tür und ein Mann Ende fünfzig öffnete ohne Gruß. Es war offensichtlich, dass er schlecht gelaunt war.

      „Kriminalpolizei Ulm. Mein Name ist Zeitler, das ist meine Kollegin Ravelli. Sie sind Ingo Sax?“

      „Steht auf meinem Klingelschild. Was wollen Sie? Eine Spende für den Polizeiball? Ich muss Sie enttäuschen, bei mir ist nichts zu holen. Ich bin seit Jahren berufsunfähig und bekomme eine staatliche Zuwendung, mit der ich mir keine Extratouren leisten kann.“ Sax war drauf und dran, einfach die Tür wieder zu schließen.

      „Haben Sie nicht verstanden, dass wir von der Kriminalpolizei sind?“, blaffte ihn Zeitler an.

      „Und wenn Sie der Kaiser von China wären, wäre mir das auch wurscht. Ich habe mir nichts vorzuwerfen und möchte meine Ruhe haben, das wird mir im Grundgesetz garantiert.“

      „Gut, wie Sie wollen. Wir können uns auch auf dem Polizeipräsidium unterhalten, wobei Sie davon ausgehen können, dass das sehr lange dauern wird.“ Zeitler war kurz davor, die Geduld zu verlieren. Wann hatte es eigentlich damit angefangen, dass Bürger jeglichen Respekt vor der Polizei verloren hatten?

      „Sie haben gewonnen. Was wollen Sie?“ Sax verschränkte die Arme vor der Brust und machte keine Anstalten, die Beamten ins Haus zu bitten.

      „Sie wurden letzte Nacht geblitzt. Sie waren bei erlaubten fünfzig km/h dreiundzwanzig zu schnell. Das ist doch Ihr Fahrzeug?“ Zeitler zeigte ihm das Foto, das zugegebenermaßen bezüglich des Fahrers unscharf war. Aber das Kennzeichen war deutlich zu erkennen.

      „Ja, das ist mein Wagen. Deshalb kommt die Kriminalpolizei persönlich zu mir? Haben Sie nichts Besseres zu tun? Warum stellen Sie mir den Strafzettel nicht einfach per Post zu, wie sonst auch? Moment“, sagte Sax und besah sich das Foto genauer, „darauf bin ich ja überhaupt nicht zu erkennen. Der Fahrer bin nicht ich. Wissen Sie was? Schicken Sie mir das alles schriftlich zu, damit ich etwas in der Hand habe. Heutzutage