Irene Dorfner

GEFANGEN


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Sie das überhaupt? Brauchen Sie dafür nicht irgendetwas Schriftliches? Ich glaube, ich sollte meinen Anwalt anrufen. Man muss sich als unbescholtener Bürger vor jeder Art von Beamtenwillkür schützen.“

      „Gerne, wie Sie wollen. Rufen Sie Ihren Anwalt an und wir besorgen uns einen Beschluss, womit wir nicht nur Ihren Wagen, sondern auch Ihre Privaträume durchsuchen dürfen.“

      Ingo Sax war erschrocken. Mit dieser heftigen Reaktion der Kriminalbeamten hatte er nicht gerechnet. Was war hier los? Hier ging es sicher nicht nur um die Geschwindigkeitsübertretung. Sax entschied, mit der Polizei zu kooperieren.

      „Beruhigen Sie sich. Sie brauchen mir nicht gleich zu drohen, ich füge mich der Gewalt. Kommen Sie mit.“ Sax zog die Tür hinter sich zu und ging in den Garten des kleinen, alten Einfamilienhauses, das nicht Sax gehörte, sondern seiner Mutter, die ebenfalls hier gemeldet war. Der Weg führte nicht zur Garage, sondern ans Ende des Grundstückes, wo sie hinter einer hohen Hecke einen nagelneuen Carport vorfanden, in dem ein blitzsauberer Sportwagen stand. Sax kratzte sich verlegen am Kopf.

      „Das ist mein Wagen.“

      „Donnerwetter! Dass Sie sich den leisten können, grenzt an ein Wunder.“

      „Meine Mutter bezahlt die Unterhaltskosten, sonst könnte ich mir den Spaß nicht leisten. Eine Freude braucht der Mensch, und meine ist mein Wagen.“

      „Warum steht der Wagen hier und nicht in der Garage?“

      „Wegen der Nachbarn. Was denken Sie, wie schnell das Neider auf den Plan ruft. Die Welt ist schlecht, das können Sie mir glauben.“

      „Und Sie sind eine ganz ehrliche Haut“, lachte Anna sarkastisch.

      „Natürlich bin ich ehrlich, das bin ich schon immer gewesen.“

      „Dann stellen Sie das unter Beweis. Wer hat heute Nacht den Wagen gefahren?“

      „Ich kann mich einfach nicht daran erinnern. Ich war mit einem Freund unterwegs und wir fuhren abwechselnd. Wenn einer von uns gemerkt hätte, dass wir geblitzt wurden, hätten wir sicher darüber gesprochen. Aber wir haben es nicht bemerkt. Ich kann Ihnen nicht sagen, wer von uns gefahren ist, ehrlich.“

      „Name und Adresse Ihres Freundes?“

      „Da muss ich passen, so gut kennen wir uns nicht.“

      „Telefonnummer?“

      „Sorry, die weiß ich nicht. Wir haben uns gestern erst kennengelernt und sind gemeinsam durch die Bars gezogen. Dabei haben wir selbstverständlich keinen Alkohol getrunken, ich schwöre.“

      „Sie lernen einen Mann kennen und lassen ihn sofort mit Ihrem Wagen fahren? Sie verarschen uns doch!“

      „Nein, das würde ich nie im Leben machen. Wenn Sie mich besser kennen würden, wüssten Sie, dass ich immer die Wahrheit sage.“ Ingo Sax lächelte Anna an, aber die ließ sich nicht beirren. Sie war davon überzeugt, dass der Mann log, sobald er den Mund aufmachte.

      Zeitler sah sich um. Nicht nur im Garten, sondern auch außerhalb des Grundstücks.

      „Sie fahren mit Ihrem Wagen hier raus? Ist das erlaubt?“ Zeitler wusste aus eigener Erfahrung, dass man solche Zufahrten genehmigen lassen musste, was sehr viel Zeit und Geld kostete.

      Ingo Sax druckste herum.

      „Es könnte sein, dass man das nicht darf. Aber ich störe niemanden und es hat sich bis heute auch keiner darüber beklagt. Bekomme ich jetzt Ärger oder haben Sie ein Einsehen mit einem armen, vom Leben gezeichneten Mann, der sich diesen kleinen Luxus gönnt, da er sonst nichts hat?“

      Zeitler zögerte. Was hätte er davon, wenn er den Mann anzeigte? Anna dachte anders. Der Typ war vorhin sehr unhöflich gewesen und machte ihrer Auffassung nach eine falsche Angabe nach der anderen. Und jetzt, da man sein Geheimnis kannte, wurde er charmant und freundlich. Sie mochte solche Charaktere nicht und schmollte, da sie bemerkte, dass Zeitler nicht abgeneigt war, Gnade vor Recht walten zu lassen.

      Dann ging ein Fenster im Erdgeschoss des Hauses auf und eine alte Frau streckte den Kopf heraus.

      „Ingoooooo“, rief sie laut, „der Richard ist am Telefon. Er fragt, wann du gedenkst, zur Arbeit zu kommen.“

      „Arbeit? Sagten Sie nicht, dass Sie keine Arbeit haben?“ Zeitler wurde wütend.

      „Ich verdiene mir gelegentlich ein paar Mark dazu. Allerdings nur sehr selten, ich schwöre.“

      Anna hatte genug gehört, sie suchte das Gespräch mit der alten Frau, die sich als Mutter von Ingo Sax vorstellte. Sie plauderte munter darauf los und hatte kein Problem damit, von ihrem fleißigen Sohn zu schwärmen, der ihr immer wieder teure Geschenke machte. Sie selbst hatte nur eine kleine Rente und war auf ihren Sohn angewiesen.

      „Das gibt eine fette Anzeige“, sagte Anna wütend, als sie wieder zu Sax und Zeitler ging.

      Sax wollte sich rechtfertigen, aber darauf hatten die beiden Kriminalbeamten keine Lust. Sollte er sich doch äußern, wenn ihm die betreffende Post ins Haus flatterte.

      Die Verabschiedung fiel weniger freundlich aus, denn nun kam sich Zeitler so richtig verarscht vor, was er auf den Tod nicht ausstehen konnte.

      Der nächste Weg führte sie ans andere Ende von Ulm. Der zitronengelbe Sportwagen stach sofort ins Auge, als sie in die Straße einbogen. Er parkte vor einem frisch renovierten, modernen Mehrfamilienhaus, das von einem gepflegten Grundstück umgeben war. Alles war sehr sauber, sogar die verschiedenen Mülltonnen hatten einen eigenen Unterstellplatz und standen ordentlich aufgereiht nebeneinander.

      Anna klingelte bei Gerhard Urban.

      „Ja bitte?“, tönte es aus der Gegensprechanlage.

      „Kriminalpolizei!“, rief Zeitler nur und sofort summte der Türöffner.

      Das Treppenhaus war sauber, hell und freundlich. Für Annas Begriffe alles viel zu steril, Zeitler interessierte sich nicht dafür. Ein Mann Anfang vierzig stand vor der Wohnungstür im zweiten Obergeschoss. Er begrüßte die Kriminalbeamten mit Handschlag und bat sie ohne weitere Erklärung in die Wohnung. Anna war überrascht, denn das kam nicht oft vor.

      „Bitte setzen Sie sich“, sagte Gerhard Urban freundlich, als er sie ins Wohnzimmer führte.

      Anna sah sich in dem riesigen, teuer eingerichteten Raum um. Hier sah es aus wie in einem Möbelhaus. Alles stand auf seinem angestammten Platz und nirgends war ein Staubkörnchen zu sehen. Ton in Ton wurde alles perfekt aufeinander abgestimmt, sogar Gerhard Urban passte in seinem hellen Anzug und dem rosafarbenen Hemd genau dazu. Anna mochte es nicht, wenn alles perfekt war, das war ihr suspekt. Oder war es nur der Ärger darüber, dass sie es nie auch nur annähernd so weit bringen würde? Abgesehen von der fehlenden Kohle sah es in ihrer Wohnung immer chaotisch aus, was auch an Stefan lag, der, wie sie selbst, alles herumliegen ließ.

      Zeitler waren die Wohnverhältnisse anderer völlig egal. Er registrierte sie zwar, bewertete sie aber nicht.

      „Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches? Darf ich Ihnen einen Cappuccino anbieten, oder einen Espresso?“

      „Nein, danke. Sie wurden heute Nacht mit überhöhter Geschwindigkeit geblitzt“, sagte Zeitler und legte Urban das Foto vor. „Das sind doch Sie und das ist Ihr Wagen?“

      „Ja sicher. War ich so schnell unterwegs, dass dafür sogar die Kriminalpolizei kommen muss?“ Urban wirkte erschrocken, aber das war nur aufgesetzt. Die Kriminalbeamten spürten, dass sie es mit einem sehr selbstsicheren Menschen zu tun hatten, der sich im Griff hatte.

      „Was haben Sie heute Nacht gemacht? Wo kamen Sie her und wo wollten Sie hin?“

      Es entstand eine längere Pause, für Zeitlers Gefühl zu lange.

      „Ich bin einfach nur durch die Gegend gefahren. Ohne Grund und ohne Ziel. Ich liebe die Nacht, in der alles entschleunigt ist. Wenn ich herumfahre, kann ich so richtig abschalten. Die einen gehen zum Wellness,