Es sah aus, als fühle sich der Bräutigam höchst behaglich bei der Schultheißenfamilie. Der Kaffeetisch war abgeräumt, aber er blieb noch eine ganze Weile in eifriger Unterhaltung sitzen. Nicht allein der Schultheiß und seine Frau, sondern auch die beiden Töchter mischten sich in das Gespräch. Anna meinte, sie nähmen ihr den Bräutigam vollständig weg, und mit jeder Minute wurde ihr trauriger und sonderbarer zumut.
Ja, zu denen g'hört er, dachte sie. Aus mir macht er sich nix mehr. Jetzt sieht und merkt er, daß ich nit für ihn pass'. Jetzt bin ich für ihn und für die andern gar nicht mehr vorhanden.
Doch ja, jetzt drehte er sich zu ihr um. Er schlug die Augen auf und warf ihr einen Blick zu, den sie genauso empfand, wie wenn die Sonne plötzlich hinter einer Wolke hervorbricht. Er sagte, er möchte jetzt gern ins Pfarrhaus gehen, ob es nicht sehr weit entfernt sei? – Nein, weit sei es gerade nicht; er müsse nur die Dorfstraße entlang gehen und sich dann links wenden. Es liege eine kleine Strecke nördlich von der Kirche entfernt.
Anna sagte das ziemlich unfreundlich; alle Anwesenden merkten es und sahen sie verwundert und mißbilligend an. Aber sie konnte nicht anders antworten, obgleich sie ganz genau wußte, daß es dem Bräutigam vollkommen ernst war; denn eigentlich hätte er doch, anstatt ins Pfarrhaus zu gehen, ihre Mutter und andere Verwandte aufsuchen sollen.
»Ich dachte, du werdest mir den Weg zeigen«, sagte er.
»O ja, das kann ich woll«, versetzte sie.
Sie wollte sich nicht weigern, denn jetzt wollte er offenbar allein mit ihr reden, um Schluß zu machen. Aber sie konnte nicht freundlich und glücklich aussehen; das Herz lag ihr wie ein toter Klumpen in der Brust, denn er war ja in allem so ganz anders geworden. Die andern, die ihn früher nicht gesehen hatten, konnten freilich nicht merken, wie verändert er war.
Aber es wurde noch schlimmer. Als er schon im Begriff war, hinauszugehen, um seinen Pelzmantel anzuziehen, fiel ihm plötzlich etwas ein. Und da bat er den Schultheiß und seine Frau, ein paar Worte allein mit ihnen reden zu dürfen. Jawohl, sie seien bereit dazu. Sie nahmen ihn in die Amtsstube, während Anna und die Töchter im Eßzimmer zurückblieben. Keines von ihnen sprach ein Wort, aber Anna schien es, als sähen sie sie recht mitleidig an. Sie hätte ihnen gerne gesagt, sie wisse wohl, um was es sich handle, und sie werde es schon verwinden. Es sei gar nicht so schlimm für sie, denn sie könne ja wieder ihren Ranzen auf den Rücken nehmen, falls nichts aus der Heirat werde.
Schultheißens sahen ganz bekümmert und ernst drein, als sie wieder ins Eßzimmer zurückkamen, und das konnte Anna wohl verstehen. Nun hatten sie sie hier im Hause gehabt und sich alle Mühe gegeben, ihr gute Manieren beizubringen, und nun hatten sie erfahren, wie unnötig das alles miteinander gewesen war.
Als Anna und ihr Bräutigam auf die Landstraße hinausgekommen waren, gingen sie so weit wie möglich voneinander entfernt; aber es war erst Ende Februar, und so hatte die Sonne den hohen Schneewällen noch nichts anhaben können; diese lagen noch unberührt an beiden Seiten des Weges da. Der Fahrweg dazwischen war sehr schmal, und es fiel Anna schwer, sich so weit von ihrem Bräutigam entfernt zu halten, wie sie wünschte.
Die Tage waren indes schon recht lang geworden, und es herrschte jetzt noch helles Tageslicht. Eine schmale Mondsichel schaute vom bleichen Himmelsgewölbe herab. Anna meinte, die Sichel dort droben sehe gefährlich scharf und feingeschliffen aus. Ach, das ist wohl die Sichel, mit der mein Glück abgemäht werden soll!
Anna war an Kälte gewöhnt und machte sich sonst nichts daraus, ob es auch noch so kalt war. Aber so bitterkaltes Wetter wie an diesem Abend hatte sie noch nicht erlebt. Bei jedem ihrer Schritte knirschte der Schnee laut unter ihren Füßen, 's ist nit verwunderlich, daß d'r Schnee jammert, dachte sie. 's tut ihm weh, weil alle die Schritt', die auf ihm 'rumtret'n, so kummervoll sind.
Schließlich erreichten sie den Pfarrhof, und da erst brach Karl Artur das Schweigen. »Nun erwarte ich von dir, Anna, daß du dich dem nicht widersetzt, um was ich den Pfarrer bitten will. Du wirst wohl begreifen, daß ich es so einzurichten versuche, wie es für uns beide am besten ist.«
Nein, sie werde gewiß keinen Widerstand leisten, darüber könne er ganz beruhigt sein. Er solle es ganz nach seinem eigenen Wunsche einrichten.
»Ich danke dir für dieses Versprechen«, sagte er.
Hierauf gingen sie in das Studierzimmer des Pfarrers und fanden ihn da an seinem Schreibtisch sitzen. Es war ja Samstagabend, und er war wohl bei seiner Predigt. Er warf auch den beiden, die eben hereinkamen und ihn störten, durchaus keine freundlichen Blicke zu. Der Bräutigam stellte sich vor, und als der Pfarrer hörte, daß es ein Amtsbruder war, der ihn zu besuchen kam, da setzte er gleich ein anderes Gesicht auf.
Anna Svärd war an der Tür stehengeblieben und verhielt sich ganz still, während die beiden Pfarrer die üblichen Reden austauschten. Aber nach einer kleinen Weile trat der Bräutigam zu ihr, nahm sie bei der Hand und stellte sich mit ihr vor dem Pfarrer auf.
»Herr Oberpfarrer«, sagte er, »ich weiß, Ihre Zeit ist sehr besetzt, und ich will daher nicht zögern, Ihnen das vielleicht etwas eigentümliche Anliegen vorzutragen, weswegen ich hierhergereist bin. Es wird Ihnen gewiß nicht schwerfallen, Herr Oberpfarrer, sich in die Gefühle der Liebe und Sehnsucht eines jungen Mannes hineinzuversetzen. Erst am Tage vor meiner Abreise kam mir der Gedanke, welch ein Glück es wäre, wenn ich nicht allein nach Korskyrka zurückkehren müßte, und dieser Gedanke entzückte mich. Aber war eine Möglichkeit vorhanden, ihn in die Tat umzusetzen? Das kleine Heim, das ich für mich und meine Gattin ausersehen hatte, war fast fertig. Gute Freunde versprachen mir, die Maler und Schreiner anzutreiben, damit wir Ende nächster Woche einziehen könnten. Diese Sache braucht also kein Hindernis zu sein.«
Anna Svärd sah, daß des Pfarrers Gesicht einen ganz abweisenden Ausdruck angenommen hatte. Er war gewiß fest entschlossen, Einwendungen zu machen, allein der Bräutigam ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Am letzten Dienstag fuhr ich ab und hätte eigentlich schon am Donnerstag oder Freitag in Medstuby eintreffen sollen, doch ein widriges Schicksal warf alle meine Berechnungen über den Haufen. Ermattete Pferde, dem Trunk verfallene Wagenführer, Eisgang auf den Flüssen haben mein Eintreffen hier bis zu diesem Nachmittag unmöglich gemacht. Aber, Herr Oberpfarrer, soll all dies wirklich diese mir so lieb gewordenen Hoffnungen vernichten können? Der hauptsächlichste Einwand wäre gewesen, daß meine Braut sich schon auf die große Hochzeit gefreut habe, die der Oheim auszurichten versprochen hat. Ich kann diese ihre Freude wohl verstehen. Aber nicht einen Augenblick habe ich daran gezweifelt, daß sie auf ein Gastmahl verzichten will und sofort mit mir ziehen wird. Und so frage ich Sie nun, Herr Oberpfarrer, ob Sie uns morgen nach Schluß des Gottesdienstes in der Kirche trauen wollen?«
Der Pfarrer zögerte ein paar Augenblicke mit der Antwort. Er kannte seine Gemeinde und wußte wohl, wie viele sich schon auf das große Gastmahl freuten, und so fürchtete er, man werde ihn tadeln, wenn er die Änderung billige.
»Meine lieben jungen Freunde!« sagte er. »Wollt ihr nicht den Rat eines alten Mannes befolgen und von dieser Anordnung abstehen? Sie, Herr Magister, werden verstehen, daß hier bei uns von dieser Heirat sehr viel geredet worden ist. Man erwartet nicht, sie werde so ganz unbemerkt und überstürzt vor sich gehen. Man hofft auf ein großartiges Fest.«
Der Bräutigam machte eine abwehrende Bewegung. »Lassen Sie mich vollkommen aufrichtig sein, Herr Oberpfarrer. Sie wissen wohl ebensogut wie ich, was eine großartige Hochzeit heißen will. Völlerei, Schwelgerei, Schlägerei, Unzucht. Die ursprüngliche Veranlassung zu meiner Reise war, dem Gedanken an eine solche Art Fest von Anfang an Einhalt zu gebieten, und ich sehe keinen anderen Ausweg, dieses Ziel auf beste und passendste Weise zu erreichen, als durch den Plan, den ich Ihnen zu entwickeln eben die Ehre gehabt habe.«
Der Pfarrer sah zur Zimmerdecke empor und in der Stube umher, wie wenn er nach einem Ausweg suchte, um diesem eigensinnigen jungen Amtsbruder zu entrinnen. Schließlich fiel sein Blick auf Anna Svärd. Da hellte sich sein Gesicht auf, er meinte offenbar, nun den Ausweg gefunden zu haben.
»Herr Magister Ekenstedt, Sie haben mich noch nicht wissen lassen, wie sich Ihre Braut zu diesen