Selma Lagerlöf

Anna das Mädchen aus Dalarne


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die Frau des Schultheißen war überaus hochgeachtet in Medstuby. Die Leute richteten sich in allem nach ihr. Wenn sie sah, daß ein Bursche und ein Mädchen füreinander paßten, dann verheiratete sie sie einfach miteinander, und damit war die Sache erledigt. Und wenn die Männer auf zwei benachbarten Höfen in Streit gewesen waren und darum prozessieren wollten, flugs war die Schultheißin da und zwang sie zu einem Vergleich.

      Eigentlich hatte es ja gar nichts zu bedeuten. Frau Ryen hatte weder über Anna noch über deren Mutter Gewalt, jedenfalls aber meinte Anna jetzt, wenn die Frau Schultheiß nicht wolle, daß sie einen vornehmen Herrn heirate, dann sei auch die ganze Sache abgetan und erledigt.

      All die Schwermut, die Anna durch ihre harten Kinderjahre im Gemüt saß, wollte aufs neue über sie herfallen; aber sie mußte doch bald genug wieder zurückweichen, denn am selben Tage noch bekam Anna einen Brief. Sie konnte ihn zwar nicht lesen, aber sie wußte ja, von wem er war. Sie trug ihn uneröffnet in der Tasche und dachte an ihn, der ihn geschrieben hatte.

      Seine eigenen Eltern hatten ja auch gemeint, sie sei nicht gut genug für ihn, aber er hatte ihnen männlich widerstanden, und er würde es wohl auch mit der Frau Schultheiß in Ordnung bringen.

      Am andern Morgen tat sie ganz dasselbe, was andere in Medstuby taten, wenn sie mit Briefen belästigt wurden: sie ging zum Kantor Medberg und bat ihn, ihr den Brief vorzulesen.

      Der Kantor hielt sich eben im Schulzimmer neben der Küche auf. Da hatte er einen überaus großen Tisch, der die halbe Stube einnahm, und rings um den Tisch herum saßen kleine Burschen, die lesen lernten, ja geradezu Gedrucktes in Büchern!

      Der Kantor nahm den Brief, schnitt vorsichtig das Siegel auf und warf einen Blick auf die Unterschrift. Diese war deutlich und klar, da war nichts dagegen zu sagen, und mit lauter Stimme las er alles vor, was in dem Briefe stand.

      Es fiel ihm nicht ein, die Kinder hinauszuschicken; diese blieben sitzen und lauschten den schönen Liebesworten, die der Bräutigam schrieb. Es ist nicht unmöglich, daß der Kantor dachte, es sei nützlich für die Jungen, wenn sie hörten, wie leicht er über einen geschriebenen Text Herr wurde. Es hätte sich nicht gelohnt, wenn Anna ihn gebeten hätte, er solle warten und ihr den Brief ein andermal vorlesen, denn er hätte sie dann womöglich gleich aufgefordert, ihres Weges zu gehen und ihren Brief selbst zu lesen.

      Während der Kantor vorlas, wollte Anna nur an das denken, was in dem Briefe stand; sie konnte es aber doch nicht lassen, dabei die Jungen zu beobachten. Selbstverständlich hatten diese ihren Spaß dabei. Mit feuerroten Gesichtern und aufgeblasenen Wangen saßen sie da auf ihren Stühlen und kämpften mit der Lachlust.

      Seit dem Besuch auf dem Schulzenhof war Anna innerlich beunruhigt. Mit der früheren Freude und Sicherheit war es vorbei. Warum sollte sie sich verwundern, wenn die Jungen lachten? Sie war es ja nicht wert, daß der Bräutigam so an sie schrieb.

      Ein paar Tage lang wartete sie und fragte sich nur, was sie antworten solle. Sie wollte ihm sagen, sie sei zu der Überzeugung gekommen, daß sie nicht für ihn passe und daß seine Eltern sehr recht gehabt hätten, er dürfe nicht mehr an sie denken.

      Als sie fertig war und in Gedanken einen langen Brief aufgesetzt hatte, ging sie wieder zum Kantor Medberg. Sie war diesmal vorsichtig und kam am Nachmittag, wo die Jungen nicht da waren. Sofort ließ sich der Kantor an dem großen Tisch nieder, um nach ihrem Diktat zu schreiben, und es schien auch ganz gut zu gehen. Er ließ sie sagen, was sie wollte, und unterbrach sie nicht. Der gute Kantor führte die Feder mit Kraft und Nachdruck, und der Brief war im Handumdrehen fertig.

      Danach las er ihr ihn vor; aber da mußte sie sich doch ein wenig verwundern. Seht, Kantor Medberg hatte in seinem Leben viele Liebesbriefe geschrieben, und was ein solcher eigentlich enthalten sollte, das wußte er besser als so ein Mädel, das noch nicht weiter gekommen war als bis zu dem ersten Brief. Und er kümmerte sich beim Schreiben nicht darum, was so ein armes, unerfahrenes Wurm ihm diktierte. Er hatte also so angefangen:

      Es freue die Briefschreiberin zu hören, daß sich der Bräutigam bei guter Gesundheit befinde, was das Allerbeste von allem Guten sei, und darüber verbreitete er sich die ganze erste Seite lang. Alsdann sprach er davon, wie unsäglich sie sich nach ihm sehne, jeder Tag sei so lang wie ein Monat, jeder Monat wie ein Jahr. Und auch dieses schmückte er noch lang und breit aus. Zum Schluß versicherte er, der Bräutigam könne sich auf Treue verlassen, und ermahnte ihn zugleich, sie nicht im Stich zu lassen, denn dann würde sie viele kummervolle Nächte haben, so viele »als wie Nüss' am Baume sind oder Blätter an der Lind', wie der Sand am Meeresgrund, wie die Sterne ohne Zahl an dem hellen Himmelssaal«.

      Als Anna den Kantor fragte, warum er nicht das geschrieben, was sie ihm diktiert habe, fragte er sie dagegen, ob sie glaube, er wisse nicht, wie ein Liebesbrief geschrieben werden müsse? Es gehe durchaus nicht an, einen Unsinn zu schreiben, wie sie ihn zusammengesetzt habe. Sie solle nur nicht vergessen, daß es ein Pfarrer sei, an den sie schreibe.

      Damit mußte sie sich zufriedengeben; der Brief wurde zusammengefaltet, versiegelt und so, wie er war, abgeschickt. Aber was würde der Bräutigam denken, wenn er ihn erhielt? Anna Svärd fühlte ihre Unwürdigkeit und Niedrigkeit stärker als je vorher.

      Zum drittenmal ging sie zum Kantor Medberg und fragte ihn, ob er ihr Unterricht im Lesen und Schreiben geben wollte. Er verhehlte ihr nicht, daß er sie für zu alt hielt, um so schwere Künste noch zu erlernen; doch Anna überredete ihn, sie doch einen Versuch machen zu lassen. Nun sollte sie am nächsten Vormittag zur gleichen Zeit wie die kleinen Bürschchen kommen.

      Auf diese Weise kam es, daß Anna Svärd einige Wochen später an dem großen Tisch des Kantors mit dem Gänsekiel in der Hand und Papier vor sich nach Vorschrift schrieb: »Morgenstund' hat Gold im Mund.«

      Es war eine verzweiflungsvolle Arbeit. Sie hielt den dünnen Gänsekiel mit ihrer ganzen Kraft fest, drückte die Spitze so stark auf, daß die Tinte in kleinen Tropfen aufs Papier spritzte, und zeichnete große, wunderliche Krakelfüße anstatt Buchstaben.

      Auch in anderer Weise war es eine verzweiflungsvolle Arbeit. Denn sie hatte ja kein anderes Ziel im Auge, als dem Verlobten, sobald sie sich die schwer erworbene Gelehrsamkeit angeeignet hatte, zu schreiben, daß sie seiner unwürdig sei und daß er sich Anna Svärd aus dem Kopfe schlagen solle.

      Aber obgleich sie sich für eine so traurige Sache anstrengte, könnte doch niemand sagen, sie habe nicht ihr Bestes getan. Sie setzte ihre ganze Kraft ein, wie wenn es sich darum gehandelt hätte, eine Tonne Roggen aufzuheben. Jedes Wort kostete sie eine fürchterliche Anstrengung, und sie mußte die Feder weglegen und sich verschnaufen, ehe sie ein neues begann.

      »Die Feder muß lose und mit geraden Fingern gehalten werden«, sagte der Kantor. Aber sie fühlte, der Gänsekiel ließ sich nicht festhalten, wenn sie ihn nicht so zwischen die Finger preßte, daß die Knöchel an der Hand weiß hervortraten. Schließlich war sie der ganzen Sache vollkommen überdrüssig, und sie wollte schon auf und davon gehen, als die Tür sich öffnete und die Frau Schultheiß in das Schulzimmer hereintrat. Sie war ganz wie sonst, eifrig und beweglich, und gekommen, um mit Kantor Medberg die Angelegenheiten des Dorfes zu besprechen. Als sie nun Anna Svärd mitten unter den kleinen Jungen sitzen und so eifrig schreiben sah, daß die Tinte um die Feder spritzte, wurde ihr großes Interesse geweckt.

      »Ach so«, sagte sie, »wie ich sehe, hast du dir die Pfarrfrau noch nicht aus dem Sinn geschlagen.«

      Anna Svärd erwiderte nichts, aber der Kantor murmelte ein paar Worte, sie könne ja keine Pfarrfrau werden, wenn sie nicht wenigstens schreiben gelernt habe, sonst werde sie dieser Auszeichnung wohl verlustig gehen müssen.

      Die Jungen grinsten aufs neue; aber die Frau Schultheiß warf ihnen einen Blick zu, der sie plötzlich ernst machte. Dann beugte sie sich über Anna vor und betrachtete deren Papier, wo die Schriftzeilen nach allen Seiten hinausstrebten wie die Pfähle an einem eingestürzten Gartenzaun.

      »Was schreibst du da?« fragte die Frau Schultheiß. »Laß mich sehen! Morgenstund' hat Gold im Mund. Wart ein wenig! Gib mir die Feder!«

      Sie lachte, neigte sich über den Tisch vor und überlegte