Martine Batchelor

Loslassen lernen


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Was fühlen Sie im Körper?

      Spüren Sie irgendwelche gewohnheitsmäßigen Empfindungen? Erleben Sie inmitten von oder nach bestimmten Situationen regelmäßig eine Art Unbehagen? Wodurch schwindet es wieder? Versuchen Sie nicht, sich mit der Empfindung zu identifizieren oder sie zu verfestigen. Atmen Sie durch sie hindurch.

      Beenden Sie die Übung, indem Sie aufstehen und Ihren täglichen Aktivitäten nachgehen. Versuchen Sie während des Tages, die gewohnheitsmäßigen Gedanken, Gefühle und Empfindungen, die Sie erleben, sanft wahrzunehmen. Es ist wichtig, diese Übung als eine objektive, aber freundliche Beobachtung zu verstehen. Sie halten nicht nach einem Übeltäter Ausschau, sondern versuchen, Ihre Lebensumstände kennenzulernen und zu verstehen.

      

       Meditation

       Die Vier Großen Bemühungen

      Viele der Lehren in diesem Buch stützen sich auf buddhistische Unterweisungen und Traditionen. Der Buddha hat seine Anhänger immer wieder ermutigt, sich in den vier großen Bemühungen zu üben:

       negative Geisteszustände, die noch nicht entstanden sind, nicht entstehen zu lassen;

       negative Geisteszustände loszulassen, sobald sie entstanden sind;

       positive Geisteszustände herbeizuführen, die noch nicht entstanden sind;

       positive Geisteszustände aufrechtzuerhalten, sobald sie entstanden sind.

      In den Vier Großen Bemühungen wird die Entwicklung und Kultivierung positiver Muster also als ein Mittel verstanden, um negative zu überwinden. Doch obwohl sie einfach sind, sind sie dennoch überhaupt nicht leicht.

      Es geht dabei nicht nur darum, das zu verbannen, was negativ ist, und das zu bestätigen, was positiv ist. Der Buddha empfiehlt, dass wir mit der Zeit bewusst die Bedingungen schaffen, die verhindern, dass negative Gedanken und Emotionen überhaupt aufkommen. Er empfiehlt ebenso die Bedingungen, die positive Gedanken und Emotionen entstehen lassen, ganz natürlich zu befördern.

      Die buddhistischen Lehren betonen, dass alles im Leben die Konsequenz von Ursache und Wirkung ist, und diese Vier Großen Bemühungen sollen uns dabei helfen, sich die Ursachen und Bedingungen für mehr Frieden, Stabilität, Freude und Offenheit zu erschließen.

      Unter der Oberfläche unseres Bewusstseins liegen viele geistige und emotionale Muster, die, wenn bestimmte Bedingungen eintreffen, sehr leicht aktiviert werden und uns in einer destruktiven und sinnlosen Weise agieren lassen. Wenn wir stattdessen konstruktive und positive Reaktionen entwickeln und kultivieren, werden wir entdecken, dass diese nicht nur die Macht der negativen Muster schwächen, sondern auch den Auslösemechanismus außer Kraft setzen, der sie in Gang setzt. Ein Großteil der buddhistischen Meditation besteht aus einer systematischen Entwicklung von positiven Mustern, die es uns ermöglichen, mit den negativen, leidbereitenden Mustern auf kreative Weise umzugehen.

       Geistige Sammlung

      Die buddhistische Meditation umfasst zwei wesentliche Elemente: die Konzentration oder »Geistige Sammlung« und das Erkunden. Die Geistige Sammlung bezeichnet die Fähigkeit, sich für eine gewisse Zeitspanne auf ein Objekt zu fokussieren. Einige Lehrerinnen und Lehrer raten zu einer vollkommenen Einsgerichtetheit auf ein einziges Objekt. Ich selbst empfehle die Fokussierung auf eine Art von Objekt aus der eigenen Erfahrung, aber mit einem sehr offenen Gewahrsein, um eine stabile und offene Konzentration zu entwickeln.

      Konzentration, geistige Sammlung, führt zu Ruhe und Stille von Geist und Körper. Erkunden ist die Fähigkeit des Geistes, klar wahrzunehmen, was geschieht, und eingehend dessen Natur zu betrachten. Das führt zu Einsicht und Weisheit. Es gibt traditionell vier Haltungen der Meditation: Sitzen, Stehen, Gehen und Liegen. Wenn Sie im Sitzen meditieren können, sollten Sie dies in einer aufrechten, entspannten Haltung tun. Sie werden Ihres Körpers gewahr, der auf dem Stuhl sitzt, des Gesäßes auf dem Kissen, der Füße auf dem Boden. Müssen Sie im Liegen meditieren, so legen Sie sich bequem auf Ihren Rücken und werden Sie dann Ihres Körpers gewahr, wie er auf dem Bett oder dem Boden liegt.

      Seien Sie sich in diesem Moment bewusst, dass Sie sicher sind, nichts anderes geschieht, Sie atmen und sind lebendig. Konzentrieren Sie sich dann auf den Atem, lassen Sie Ihre Aufmerksamkeit sanft auf dem Rhythmus des Ein- und Ausatmens ruhen. So wirkt der Atem als Anker in den gegenwärtigen Moment. Achten Sie zur gleichen Zeit auf die Geräusche, Empfindungen und Gedanken im Hintergrund Ihres Bewusstseins. Meditation schließt nichts aus. Die Konzentration auf den Atem im Rahmen eines weit offenen Gewahrseins hält Sie im gegenwärtigen Moment und verhindert, dass Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit hierhin und dahin springen und Ihren Geist in alle Richtungen wandern lassen. Im Vordergrund sind Sie auf den Atem fokussiert, im Hintergrund tauchen Dinge auf und verschwinden wieder. Schon bald werden sich Gefühle oder Gedanken, die fesselnder und interessanter scheinen als der Atem, dazwischendrängen und Aufmerksamkeit fordern: etwas, was Ihre Kollegin auf der Arbeit zu Ihnen gesagt oder was sie getan hat, Pläne für den Rest des Tages, Sorgen oder Erinnerungen.

      Wir alle verbringen eine Menge Zeit mit solchen Gedanken. Es ist sowohl aufschlussreich als auch erholsam, sie einfach sein zu lassen und ihnen nicht nachzugehen, sondern einfach zum Atem zurückzukehren, sobald sie uns ablenken. Haben Sie sich wieder in Ihren Gedanken verloren oder sind abgelenkt, dann kehren Sie erneut zum Atem zurück. Was könnte wesentlicher und ursprünglicher sein, als mit dem Atem zu sein, der Basis unseres Lebens?

      Führen Sie diese Übung regelmäßig durch, dann können Sie Stille, innere Weite und Offenheit entwickeln und kultivieren. Es ist eine einfache, aber wirkungsvolle Übung. Solange Sie auf den Atem ausgerichtet sind, so lange können Sie sich nicht auf Ihre geistigen, emotionalen und körperlichen Muster konzentrieren. Indem Sie immer und immer wieder zum Atem zurückkehren, können Sie die Macht Ihrer Gewohnheiten auflösen. Durch die Konzentration auf den Atem schaffen Sie einen Raum zwischen der Erfahrung und Ihrer Identifikation mit ihr und schwächen dabei den Prozess, der Gewohnheiten überhaupt erst hervorbringt.

      In der Meditation fliehen Sie nicht vor Erfahrungen, aber Sie lernen, sich selbst und die Welt in größerer innerer Weite zu erfahren.

       Erkunden

      Das zweite zentrale Element der Meditation ist das Erkunden. Damit ist die Fähigkeit gemeint, eindringlich das zu befragen, was geschieht. Wie ein Lichtstrahl, der die flüchtige und sich wandelnde Natur der Erfahrung beleuchtet. Ein übliches Muster des menschlichen Geistes ist es, in einer rigiden und starren Sicht auf uns selbst und die Welt zu verharren. Die meditative Erforschung ermöglicht es uns, das, was geschieht, tief und eingehend zu betrachten und seine sich verändernde, bedingte Natur zu erkennen. Wir beginnen zu verstehen, in welchem Ausmaß wir blind für diese Merkmale unserer Existenz sind und stattdessen in emotionalen und geistigen Gewohnheiten gefangen bleiben, die auf der Illusion gründen, dass wir uns niemals ändern. Eines meiner Muster ist, schnell gereizt zu sein und ärgerlich zu reagieren. Meditatives Erkunden hat mir geholfen, diese Gewohnheit direkt zu sehen und zu erfahren, und zwar genau in dem Moment, in dem sie in Körper und Geist stattfindet. Ich erkannte, wie sinnlos es ist, sie sich nur wegzuwünschen, und wie schmerzvoll, sich immer wieder in ärgerlichen Gefühlen zu verlieren.

      Einmal hatte ich eine hitzige Auseinandersetzung mit einer Freundin über die Herrichtung einiger Gästezimmer in unserer Gemeinschaft. Da ich noch zu kochen hatte, mussten wir das Gespräch kurz halten. Bei der Essensvorbereitung merkte ich plötzlich, wie wütend ich war, und ich begann das zu untersuchen. Mein Herz hämmerte, und meine Beine und Arme zitterten. Ich erkannte, dass niemand außer mir selbst diese körperlichen Reaktionen verursachte. Ich allein war die Schöpferin dieser leidvollen Erfahrung. Sobald ich das einsah, beruhigte sich mein Körper, und ich entspannte mich. Dann schaute ich auf meine Gedanken, die noch immer in meinem Kopf herumrasten. Ich wiederholte immer und immer wieder: »Ich habe recht. Sie hat unrecht.« Und ich erkannte, dass meine Freundin vielleicht gerade