Jörn Kolder

Der 90. Geburtstag - Eine rabenschwarze Kriminalkomödie


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      "Jetzt hören Sie mir mal zu, Sie Komiker. Welcher Buchstabe steht an achter Stelle im Alphabet?"

      Schiller zählte mit den Fingern und bewegte stumm seine Lippen.

      "Das H."

      "Weiter."

      "Soll ich bis 88 weiterzählen?"

      "Nein, natürlich nicht. 8 und 8 bedeutet also H und H. Und das heißt?"

      "Soweit ich weiß, steht das für Hansestadt Hamburg."

      "Nein, es steht eben nicht für Hansestadt Hamburg, sondern für "Heil Hitler". Ist das jetzt klar?"

      "Aber das könnte doch auch für "Heiße Hexe" oder "Hohes Haus" stehen. Woher sollen wir denn wissen, dass der Kunde so was meint?"

      "Sie wollen das wohl jetzt ins Lächerliche ziehen Schiller, ernsthaft? Wissen Sie was, ich werde Sie ab sofort etwas genauer unter die Lupe nehmen. Ihr Demokratieverständnis scheint mir sehr mangelhaft ausgeprägt zu sein, wenn Sie solche Extremisten noch nicht einmal aus nächster Nähe erkennen können. Ich behalte Sie im Auge, verlassen Sie sich darauf. Und ich will Ihnen noch mit auf den Weg geben, dass ich es nicht dulden werde, dass Sie hinter Ihrer angeblichen Unwissenheit eventuell heimlich mit solchen Leuten sympathisieren und Ihr eigenes braunes Süppchen kochen. Dann sind Sie hier fehl am Platz, und können sich einen neuen Arbeitgeber suchen."

      Tom Schilling war ähnlich verwirrt wie Frank Krause und sehr verunsichert nach Hause gefahren. Um sich abzureagieren zockte er anfangs "Wolfenstein - The new Collossus". Die Nazis, die er dort bekämpfte, hatten nirgendwo eine 88 auf ihren Uniformen stehen. Vielleicht lag der Niederlassungsleiter vollkommen schief, und 88 bedeutete "Hip Hop" oder "Happy Hippie". Aber die Drohung seines Vorgesetzten lag ihm doch schwer im Magen. Er würde dem Niederlassungsleiter morgen sofort erklären, dass er einen Fehler gemacht hätte, und nicht wachsam genug gewesen war. Ab sofort würde er ihm sofort Bericht über verdächtiges Verhalten der Kunden erstatten. Schließlich würde er, Tom Schiller, ja fest zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen. Was das genau bedeuten sollte wusste er nicht, aber er hörte solche Worte ja täglich im Radio oder Fernsehen. Und er würde noch ergänzen, dass er auch beim Kampf gegen Rechts mit dabei wäre.

      Die Bedeutung der 88 ließ ihn nicht mehr los, auch als er schon schlaflos im Bett lag.

      Dann fiel ihm ein, dass er auf der Heimfahrt im Autoradio ein Interview mit einem Typen gehört hatte, der sich selbst als "Hubert Heil" bezeichnet hatte. Das musste eindeutig ein Fake-Name gewesen sein, der ihn an "Schwanzus Longus" aus einem Stück von "Monty Python" erinnerte. Die Sache war für Schiller eindeutig, weil er das Lügengebilde klar durchschaute. Der Begriff "Heil" deutete auf einen Extremisten hin. Den Namen "Hubert" hatte er noch nie gehört, vermutlich war er in der Nazizeit aktuell gewesen. Dieser "Hubert Heil" war also ganz offensichtlich ein Gefährder der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Deutschland. Man musste ihn den zuständigen Behörden melden.

      Auch darüber würde er mit Heino Maas reden müssen.

      "Du trägst deinen Namen wahrlich nicht zu Unrecht" sagte Renate Fuchs zu ihrem Mann.

      "Wie soll ich das verstehen" fragte Jürgen Fuchs grinsend zurück "beziehst du diese Aussage auf mein bestes Stück, oder auf meine Schläue?

      "Such dir aus, was dir selbst am besten gefällt."

      "Ich nehme beides. Weil wir gerade dabei sind, ist er dir immer groß genug gewesen?"

      "Sag mal, spinnst du" empörte sich Renate Fuchs "hat es jemals Beschwerden gegeben? Nein. Also, das dürfte ja dann geklärt sein."

      "Sagst du. Aber ich habe mal einen Fall bearbeiten müssen, da waren in einer Stadt drei Kerle im mittleren Alter in sehr kurzen Zeitabständen bestialisch umgebracht worden. Einem war die Kehle durchgeschnitten worden, der andere war offensichtlich mit einer Drahtschlinge erwürgt worden, und dem dritten hatte man das Genick gebrochen. Alle waren an relativ weit voneinander entfernten Orten aufgefunden worden, an den Tatorten waren alle Spuren verwischt beziehungsweise akribisch entfernt worden. Was hatten wir also in der Hand? Drei Männer mittleren Alters, alle verheiratet, Kinder, normaler bürgerlicher Hintergrund, beruflich ganz normal aufgestellt, keine Schulden, keine Drogengeschichten, alle absolut unauffällig. Der normale deutsche Spießbürger also. Es war 1978, da war ich gerade einmal 22 Jahre alt, ein absoluter Jungspund bei der Kripo. Um diese Zeit herum, also im Oktober 1977, hatte die "Rote-Armee-Fraktion" den Arbeitgeberpräsidenten Hans-Martin Schleyer entführt und umgebracht. Alle waren also sehr auf einen eventuellen politischen Hintergrund der Mordserie fixiert. Da haben wir uns die Opfer alle nochmal in Bezug auf ihre Biografien angesehen. Was soll ich dir sagen, alle waren Mitglied in der CDU."

      "Na und, das warst du doch auch zu dieser Zeit. Es war auch damals schon klar gewesen, dass du ohne das richtige Parteibuch nicht vorankommen konntest. Je nach Zielrichtung hat man sich eben bei den Schwarzen oder den Roten politisch engagiert. Das waren damals noch wirkliche Volksparteien, heute sind das doch nur noch Vereine für gescheiterte Existenzen wie Studienabbrecher oder Hochstapler. Die Beispiele kennen wir ja alle. Und so was soll ein Industrieland führen, nach Arbeit im Callcenter oder Kaffeekocher bei einem Bundestagsabgeordneten. Aber erzähl weiter."

      "Es war tatsächlich eine falsche Fährte. So sehr wir auch grübelten, diese Morde folgten keinem Muster, selbst die Tötungsart war vollkommen verschieden. Pass doch auf, du Rindvieh" brüllte Fuchs plötzlich los und stieg auf die Bremse "so ein dummes Schwein! Überhöhte Geschwindigkeit und dann noch in den Sicherheitsabstand hinein abbiegen. Den zeig ich an."

      Renate und Jürgen Fuchs waren auf dem Weg zum Treffen der Sippe.

      "Reg dich ab Jürgen. Das bringt doch nichts. Hast du Beweise? Kameraaufzeichnungen?"

      "Ich habe dich als Zeugen."

      "Ich habe nichts gesehen, erzähl weiter."

      "Na gut, du musst wissen, einen Menschen umzubringen, ist nicht so einfach. Ich muss allerdings sagen, seitdem ich deinen Vater kenne, kann ich einige der Täter durchaus verstehen. Jedenfalls muss man schon sehr abgebrüht sein, einem den Hals durchzuschneiden, denn das ist eine ziemliche Sauerei. Hast du schon mal Bilder vom Schlachten gesehen? Oder man schleicht sich von hinten an einen ran, stülpt ihm eine Drahtschlinge über den Kopf, und zieht ruckartig zu. Stell dir mal ne Klavierseite vor. Der Kerl vor dir röchelt und zappelt rum, und du drehst ihm gerade den Lufthahn ab. Noch schlimmer muss es wohl sein, einem das Genick zu brechen. Weißt du wie laut das kracht? Und dazu braucht man wirklich viel Kraft. Ich hab dann in die Diskussion eingebracht, dass wir wohl einen kräftigen Typen suchen sollten, der vermutlich einen Job hat, in dem er mit Chemikalien in Berührung kommt. Wie ich darauf gekommen bin? Na die Tatorte waren allesamt von Spuren gesäubert worden. Und zwar ziemlich fachmännisch. Die älteren Kollegen haben mich ausgelacht. Dann hab ich mir noch mal die Obduktionsberichte angesehen. So vom Körperbau fielen die Opfer nicht aus dem Rahmen. Max Mustermann sozusagen. Dann hatte ich ein Detail gefunden, welches hätte wichtig sein könnte. Ich fuhr also in die Pathologie. Die drei Opfer lagen noch in den Kühlboxen."

      Fuchs machte eine kurze Pause, weil sich vor ihm drei LKW gleichzeitig zu überholen versuchten.

      "Alles verboten" sagte er "aber es hält sich doch keine Sau mehr an irgendwelche Regeln. Die Umgangsformen verlottern, es wird gleich gepöbelt, bei manchen Bevölkerungsgruppen sitzen die Messer locker. Als ich ein junger Mann war, da zählte noch Bildung, Disziplin, Fleiß und Höflichkeit. Davon ist nicht mehr viel übriggeblieben. Work-Life-Balance ist das Zauberort. Viel Kohle für wenig Ahnung und schlechte Leistung, aber maximale Freiheit und Freizeit. Manchmal kann ich der Merkel schon zustimmen: das ist nicht mehr mein Land."

      "Jetzt erzähl nicht solchen Quark. Du warst bis vor kurzem in einer sehr herausgehobenen Position im Öffentlichen Dienst. Das ist doch verlogen, du warst doch über bestimmte Dinge am besten im Bilde. Aber das bringt alles nichts, wie wir zum wiederholten Male heute schon feststellen müssen. Also, wie ging es weiter?"

      "Ich