Jörn Kolder

Der 90. Geburtstag - Eine rabenschwarze Kriminalkomödie


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Aber am schlimmsten waren die Typen dort. Nicht die Toten, die Lebenden. Alle hatten einen Sprung in der Schüssel. Aber einen mächtigen. Wer kuckt sich schon gern eine Wasserleiche an, die nach fünf Wochen gefunden worden ist? Eine hab ich mal gesehen, und hatte dann ein halbes Jahr Alpträume. Und wer offenbar höchste Befriedigung daran findet, einem Toten erst den Brustkorb aufzusägen und dann den gesamten Körper vom Hals mit dem Skalpell bis zum Unterbauch zu öffnen, und dann noch in dem Leib rumzuwühlen um die Organe rauszuholen, denkst du, dass der noch normal ist? Dort stank es ja immer mächtig nach Formalin, aber ich war mir ziemlich sicher gewesen, dass die Typen, die dort arbeiteten, bis unter die Schädeldecke mit Drogen und Alkohol zugedröhnt waren. Anders konnte das ein normaler Mensch doch sonst nicht ertragen. Ich hab mir dann die drei Leichen in einen separaten Raum fahren lassen. Sie lagen nackt auf so komischen Pritschen. Was hättest du dir bei einem vor dir liegenden nackten Mann zuerst angesehen?"

      "Wahrscheinlich das Gesicht."

      "Aha. Der erste hat eine ganz übel klaffende Wunde an der Kehle. Dem zweiten hängt die Zunge aus seinem blau angelaufenen Gesicht aus dem Mund. Dem dritte ist der Kopf wegen dem Genickbruch fast ganz nach hinten gedreht. Und da willst du dir die Gesichter ansehen?"

      "Na bei Toten vielleicht doch nicht."

      "Ich sage dir jetzt drei Zahlen. 19, 23 und 20. Was könnte das bedeuten?"

      "Die Länge der Schlüsselbeinknochen."

      "Nein."

      "Der Rippen."

      "Auch nicht."

      "Verrate es schon!"

      "Nun, es war augenscheinlich. Alle drei vor mir liegenden Leichen hatten extrem lange Schwänze!"

      "Gott bewahre" sagte Renate Fuchs "und das in diesem Zustand."

      "Genau. Diese Kerle, die waren so zwischen 30 und 40, standen also höchstwahrscheinlich bestens im Saft. Und jetzt stell dir mal vor, die hätten ihre Dinger noch ausgefahren!"

      "Jesus, die armen Frauen!"

      "Das hatten wir uns auch gedacht. Also haben wir die Witwen verhört. Die waren zwar noch alle mächtig schockiert und durcheinander aber jammerten schon rum, dass mit der Bumserei jetzt wohl Schluss sein sollte. So haben sie es natürlich nicht gesagt, sondern von einem höchst befriedigenden Sexualleben gesprochen. Wir waren wieder auf dem Holzweg. Also hab ich mir wieder unsere Ermittlungsergebnisse vorgenommen. Ich kam nicht weiter. Drei Kerle mit Riesenschwänzen werden umgebracht. Am Tatort fehlen alle Spuren. Dann habe ich mir die Akten der Opfer nochmals angesehen. Ich wollte wissen, ob sie doch etwas gemeinsam hatten. Und siehe da, sie hatten ein gemeinsames Hobby: Hallenbahnschwimmen. In der Stadt gab es zwei Schwimmhallen. Also bin ich in meiner Freizeit dorthin gegangen. Ich wusste nicht, wonach ich suchen sollte. In der ersten Halle war mir nichts aufgefallen. In der zweiten aber hatte ich den Schlüssel zur Lösung des Falls gefunden. Als ich unter der Dusche stand, kam ein Typ in einem Blaumann durch den Raum gelatscht, und sah sich ziemlich ungeniert die nackten Kerle an. Dann verschwand er wieder. Als ich ein bisschen geschwommen war, ging ich zum Leiter des Hallenbades, hielt ihm meinen Ausweis unter die Nase und erfuhr den Namen des Mannes. In der Datenbank war er nicht auffindbar. Aber wir hatten seine Adresse. Ich besorgte mir einen Durchsuchungsbeschluss und war am nächsten Abend mit einer Kollegin vor seiner Wohnungstür. Er war ganz verdutzt und ließ uns rein. Sie befragte ihn zu allen möglichen Sachen, ich filzte die Wohnung. In der Abstellkammer fand ich eine Menge an Chemikalien. Da wusste ich, ich hatte ihn. Um es kurz zu machen, er hat dann alles gestanden. Als ich ihn nach dem Motiv fragte fing er an zu heulen. Er hätte eine Beziehung mit einer Frau gehabt, die ihn aber bald wegen einem anderen Kerl verlassen hatte. Er hatte sie einmal zusammen auf der Straße gesehen, und den Mann dann zufällig im Duschraum des Hallenbades wiedergetroffen. Was ihn bei dem Kerl aufgefallen wäre, du ahnst es ja, wäre eben dem sein extrem langes Ding gewesen. Und deswegen hätte er ihn und dann auch die anderen umgebracht."

      "Und was hast du in den Tatbericht als Motiv geschrieben?"

      "Penisneid."

      Renate Fuchs lachte los und konnte sich kaum wieder einkriegen.

      "War er wirklich so schlecht dran" fragte sie dann nach einer Weile.

      "Ja, das war er" erwiderte Jürgen Fuchs "er kam auf 5 Zentimeter. Erigiert!"

      "Oh Gott, die arme Frau."

      Sie schwiegen eine Weile, dann fragte Renate Fuchs ihren Mann:

      "Und wo ist jetzt der Bezug zu meinem Vater?"

      "Es gibt da mehrere Aspekte" erwiderte ihr Mann "Kriminalarbeit umfasst Recherchen und Schlüsse. Fakt ist, dein Vater hat 1966 eine Spezialklinik in der Schweiz besucht. Da wart ihr Schwestern so um die zehn Jahre alt, natürlich mit Jahresabständen nach oben und unten. Diese Klinik war zu der Zeit auf Untersuchungen zur Fruchtbarkeit von Männern und Frauen spezialisiert. Die Schlussfolgerungen überlasse ich mal dir. Es steht auch fest, und das hat unsere Psychologin bestätigt, dass dein Vater vermutlich sehr darunter gelitten hat, dass er nur Töchter hatte. Sie meint, dass er in seinen eigenen Augen versagt hat, weil er keinen Stammhalter gezeugt hatte. Und daraus zieht sie die Schlussfolgerung, dass dein Vater euch Töchter vermutlich durchaus gern hat, aber seine Schwiegersöhne hasst. Und weißt du warum?"

      "Nein, natürlich nicht."

      "Weil er höchstwahrscheinlich einen Kurzen hat."

      "Was für einen Kurzen?"

      "Na eben einen kurzen Schwanz. Und er geht schon die ganzen Jahre davon aus, dass seine Schwiegersöhne einen Größeren haben. Aber das ist vielleicht gar nicht so wichtig. Die Psychologin meint, dass es sehr wahrscheinlich sein kann, dass irgendwo da draußen einer rumläuft, den dein Vater in der freien Wildbahn nach seinem Klinikbesuch oder sonst wann gezeugt haben könnte. Natürlich mit einer anderen Frau, als mit deiner Mutter. Ein Bastard, den er eventuell als Alleinerben einsetzen könnte."

      "Gnade uns Gott, dann ist ja alles vorbei."

      Henriette von Schwarzbach hatte wegen der chronischen Finanzmittelknappheit der Familie (die leider bis heute nie richtig unterbrochen worden war) nach ihrer Hochzeit keinen großen Spielraum bei der Wohnungseinrichtung gehabt. So saßen sie und Klaus-Rüdiger von Schwarzbach auf einem Sofa, welches sie beide seit nunmehr schon mehr als 40 Jahren ertragen musste. Manchmal hatten sich die Kinder früher auch zwischen sie gedrängt und Klaus-Rüdiger sagte sich in solchen Momenten, dass er es doch wohl gar nicht so übel getroffen hatte. Über die Jahre hin war sein Anteil an der Sitzfläche aber erheblich geschrumpft, weil Henriette erwartungsgemäß in der Breite zugelegt hatte. Im Gegenzug hatte ihre Körpergröße abgenommen. Von Schwarzbach erinnerte sich an die Versuche vor langer Zeit, die Gestalt seiner Gattin damals beschreiben zu können. Erst hatte er sich geschämt, einen Menschen so bezeichnen zu wollen, dann aber an seine Ausbildung in Althochdeutsch gedacht und war zu dem Schluss gekommen, dass die deutsche Sprache schon immer einen sehr direkten Bezug zwischen dem Namen des Menschen und seinem Aussehen oder seinem Beruf hergestellt hatte. Deutsch sein hieß eben auch, nicht zimperlich zu sein. Wer Müller, Meier, Bäcker oder Schmied hieß, wusste, woran er war. Er war aber bei seinen Studien am Institut auf Namen gestoßen, deren Herkunft irgendeinen dunklen Hintergrund haben mussten. Wo kam Ficker her? Warum war jemand Holefleisch genannt worden? Wie hatte sich ein Hodenberg seinen Namen verdient? Verfügte Herr Möse über eben diese?

      Irgendwie mussten sich die Vorfahren dieser Namensträger entweder mächtig danebenbenommen haben, oder die Namen hatten in der Zeit ihrer Entstehung einen ganz normalen Prozess widergespiegelt. Das Geld der Familie Schwarzbach hatte immerhin für das billigste IPad und einen Internetanschluss gereicht. Von Schwarzbach hatte den Namen Holefleisch interessant gefunden, und diesen in Google eingegeben. Zu seiner Verblüffung hatte er einen gewissen D. Holefleisch gefunden, der nach eigener Auskunft der Ehemann einer Bewerberin um ein höheres staatliches Amt war. Ihre Lieblingsfarbe war angeblich grün. Julius von Ficker war Diplomat im 19. Jahrhundert gewesen. Aber all dies hatte mit seiner damaligen Namensfindung für Henriette nichts zu tun. Er konzentrierte sich