Nikolai Ostrowski

Wie der Stahl gehärtet wurde


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      Als alle Vorbereitungen beendet waren, schwangen sich der Adjutant und Salomyga aufs Pferd.

      Im letzten Augenblick fiel Paljanyza etwas ein.

      »Halt, beinah hätt ich was vergessen. Her mit zwei Wagen. Wir wollen doch Golub ein Hochzeitsgeschenk mitbringen.« Er lachte.

      »Die erste Beute kriegt wie immer der Kommandeur, und das erste Weib, das kriege ich, sein Adjutant. Hast du's verstanden, du dämlicher Trottel?«

      Das bezog sich auf Salomyga.

      Dieser funkelte ihn aus seinen gelblichen Augen an.

      »Es wird schon für alle reichen.«

      Sie ritten auf der Chaussee, an der Spitze der Adjutant und Salomyga, hinter ihnen der ungeordnete Haufen der Hundertschaft.

      Allmählich lichtete sich der Morgennebel. Vor einem zweistöckigen Haus mit dem verrosteten Aushängeschild »Galanteriewarenhandlung Fuchs« ließ Paljanyza das Pferd halten.

      Seine feingliedrige graue Stute stampfte unruhig mit den Hufen aufs Pflaster.

      »Nun, mit Gottes Hilfe, hier fangen wir an«, sagte Paljanyza und saß ab.

      »Los, Jungs, runter von den Pferden«, wandte er sich an die Begleitmannschaft.

      »Gleich wird die Vorstellung beginnen. Herrschaften, haut aber niemandem den Schädel ein. Dazu ist später noch Zeit genug. Na, und die Weiber - wenn ihr nicht allzu scharf seid, haltet euch bis zum Abend zurück.«

      Einer der Leute fletschte die kräftigen Zähne und wandte ein:

      »Aber wieso denn, Pan Fähnrich, vielleicht haben die selber Lust dazu?«

      Wieherndes Gelächter ringsum. Paljanyza blickte den Sprecher begeistert an.

      »Natürlich, wenn die selber Lust haben, dann los, das kann euch niemand verbieten.«

      Paljanyza ging zu der verschlossenen Ladentür und stieß heftig mit dem Fuß dagegen. Die starke Eichentür rührte sich nicht einmal.

      Der Anfang musste woanders gemacht werden. Der Adjutant bog um die Ecke und wandte sich, den Säbel in der Faust, zu der Haustür, die in die Räume des Geschäftsinhabers führte. Salomyga folgte ihm.

      Die Hausbewohner hatten schon längst das Stampfen der Pferdehufe auf dem Pflaster vernommen. Als dann das Getrappel vor dem Laden verstummte und Stimmen, durch die Wände zu hören waren, hatten sie ein Gefühl, als würde ihnen das Herz aus der Brust gerissen und der ganze Körper stürbe ihnen ab. Drei Menschen waren in dem Haus. Der reiche Fuchs war schon am vorangegangenen Abend mit Frau und Töchtern aus der Stadt geflohen. Zu Hause gelassen hatte er das schüchterne und stille Dienstmädchen, die neunzehnjährige Riwa, die ihm Hab und Gut hüten sollte. Damit sie sich in der leeren Wohnung nicht fürchte, hatte er ihr geraten, ihre alten Eltern zu sich zu nehmen und bis zu seiner Rückkehr zu dritt in der Wohnung zu bleiben. Der durchtriebene Kaufmann versuchte die nur schwach widerstrebende Riwa damit zu beruhigen, dass es vielleicht gar nicht zu einem Pogrom kommen würde - was sei schon bei den Armen zu holen? Und nach seiner Rückkehr würde er ihr Stoff für ein neues Kleid schenken.

      Alle drei im Haus lauschten in qualvoller Hoffnung: Vielleicht reiten sie vorüber, vielleicht haben sie sich geirrt, vielleicht haben die da gar nicht vor ihrem Haus Halt gemacht? Vielleicht ist alles nur eine Sinnestäuschung? In dem Moment aber erdröhnte, wie um all ihre Hoffnung zunichte zu machen, ein dumpfer Schlag gegen die Ladentür.

      Der alte schlohweiße Peisach, der mit kindlich erschrockenen blauen Augen an der Tür stand, die in den Laden führte, murmelte ein Gebet. Mit der ganzen Leidenschaft eines Gläubigen flehte er den allmächtigen Jehova um Rettung an. Während er inständig um Abwendung des Unglücks von diesem Haus betete, näherten sich draußen Schritte.

      Ein dröhnender, grober Stoß gegen die Tür ließ die beiden Alten zusammenfahren.

      »Aufmachen!« Es folgte ein zweiter Stoß, noch derber als der erste, und das Fluchen wütender Stimmen.

      Aber die Alten waren nicht imstande, die Hand zu heben und den Riegel beiseite zu schieben.

      Nun wurde mit Gewehrkolben gegen die Tür gestoßen. Sie geriet aus den Fugen und gab krachend nach.

      Das Haus füllte sich mit Bewaffneten, die sofort alle Winkel durchstöberten. Ein Stoß mit dem Gewehrkolben brach die von der Wohnung in den Laden führende Tür auf. Die Eindringlinge gingen hinein und schoben sogleich die Riegel der Außentür zurück.

      Jetzt begann die Plünderei.

      Als die Fuhren mit Stoffen, Schuhen und anderer Beute voll beladen waren, schaffte Salomyga alles in Golubs Wohnung. Bei seiner Rückkehr ins Haus hörte er einen verzweifelten Aufschrei.

      Paljanyza hatte seinen Leuten die weitere Plünderung des Ladens überlassen und war ins Zimmer gegangen. Er musterte die drei dort mit seinen grünlichen Luchsaugen und sagte, zu den Alten gewandt:

      »Schert euch weg!«

      Weder der Vater noch die Mutter rührten sich.

      Paljanyza trat auf sie zu und zog langsam den Säbel aus der Scheide.

      »Mutter!« schrie die Tochter mit durchdringender Stimme.

      Dies war der Schrei, den Salomyga vernommen hatte.

      Paljanyza wandte sich an seine herbeigeeilten Kumpane und befahl kurz, auf die Alten weisend:

      »Schmeißt die raus!« Und als diese mit Gewalt aus der Tür gedrängt waren, sagte Paljanyza zu dem hinzugekommenen Salomyga:

      »Bleib eine Weile vor der Tür stehen - ich werde einige Worte mit dem Mädel reden.«

      Als der alte Peisach einen Schrei hörte und zur Tür stürzte, traf ihn ein schwerer Schlag gegen die Brust und schleuderte ihn an die Wand. Dem Alten verging vor Schmerz der Atem. Da warf sich die sonst immer so schüchterne alte Toiba wie eine Wölfin auf Salomyga:

      »Was tun Sie, was tun Sie! Lassen Sie mich durch!«

      Sie stürzte zur Tür, und Salomyga war nicht imstande, ihre krampfhaft in seinen Überrock gekrallten Greisenfinger zu lösen.

      Peisach, wieder zur Besinnung gekommen, eilte ihr zu Hilfe.

      »Lassen Sie, lassen Sie uns durch! Oh, meine Tochter!«

      Mit vereinten Kräften schoben sie Salomyga von der Tür weg. Wütend riss dieser seine Pistole heraus und versetzte dem Alten mit dem Griff einen Schlag auf den ergrauten Kopf. Lautlos brach Peisach zusammen.

      Aus dem Zimmer drangen Riwas gellende Schreie.

      Als Toiba, die ihrer Sinne nicht mehr mächtig war, hinausgeschleppt wurde, hallten ihre unmenschlichen Schreie und Hilferufe über die ganze Straße.

      Im Haus war es still geworden.

      Als Paljanyza das Zimmer verließ, sagte er, ohne Salomyga anzusehen, der schon nach der Türklinke griff:

      »Geh nicht rein - mit der ist's aus. Ich habe sie ein bisschen mit dem Kissen zugedeckt.« Er schritt über den Leichnam des alten Peisach hinweg und trat in eine dicke dunkle Flüssigkeit.

      »Hm, das war kein guter Anfang«, bemerkte er, als er auf die Straße hinausging.

      Schweigend folgten ihm die übrigen. Ihre Füße ließen blutige Spuren auf Fußboden und Stufen zurück.

      In der Stadt war bereits die Hölle los. Es kam zu einem kurzen Handgemenge unter den Plünderern, die sich über die Verteilung der Beute nicht einig werden konnten. Hier und da wurden Säbel gezückt, und fast überall gab es wüste Schlägereien.

      Aus einer Kneipe wurden große eichene Fässer aufs Straßenpflaster gerollt.

      Dann ging's von Haus zu Haus.

      Niemand setzte sich zur Wehr. Die Räuber rannten