Nikolai Ostrowski

Wie der Stahl gehärtet wurde


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sind Sie denn so eigensinnig? Oder fürchten Sie sich vielleicht?«

      Pawel schaute auf seine bloßen Füße, die sich nicht gerade durch besondere Sauberkeit auszeichneten, und kratzte sich hinterm Ohr.

      »Ihre Mutter oder Ihr Vater werden mich sicher davonjagen.«

      »Lassen Sie doch endlich dieses Gerede, oder ich werde ernstlich böse«, brauste Tonja auf.

      »Na, warum denn, Leszczynski lässt einen doch auch nicht in die Wohnung, mit unsereinem spricht er nur in der Küche. Ich kam mal zu ihnen in irgendeiner Angelegenheit, da ließ mich die Nelly nicht einmal ins Zimmer - wahrscheinlich, damit ich ihnen die Teppiche nicht beschmutze oder weiß der Teufel, weshalb sonst.«

      Pawel lächelte.

      »Los, gehen wir endlich hinein.« Tonja fasste ihn bei der Schulter und schob ihn freundschaftlich zur Veranda hin.

      Sie führte ihn durch das Esszimmer in einen anderen Raum mit einem riesigen Bücherschrank. Pawel gewahrte einige hundert Bände, in gleichmäßigen Reihen aufgestellt, und staunte über den noch nie gesehenen Reichtum.

      »Gleich werde ich für Sie ein interessantes Buch finden, und Sie versprechen mir, zu uns zu kommen und sich ständig Bücher zu holen, ja?«

      Pawel nickte freudig.

      »Ich habe Bücher sehr gern.« Sie verbrachten einige fröhliche und angenehme Stunden miteinander. Tonja stellte ihn der Mutter vor, und das erwies sich als gar nicht so schlimm; ihr gefiel Pawel.

      Tonja führte Pawel auch in ihr Zimmer, zeigte ihm ihre Romane und Schulbücher.

      Auf dem Toilettentisch stand ein kleiner Spiegel. Tonja ließ Pawel hineinblicken und sagte lachend:

      »Warum sehen Ihre Haare bloß so wuschlig aus? Kämmen Sie die denn nie, und lassen Sie die nicht mal schneiden?«

      »Ich lasse mir den Kopf immer ratzekahl scheren, wenn die Haare zu lang geworden sind. Was soll man denn sonst mit ihnen anfangen?« rechtfertigte sich Pawel verlegen.

      Tonja nahm lachend ihren Kamm vom Toilettentisch und glättete behänd die strubbligen Haare.

      »Sehen Sie, jetzt schauen Sie ganz anders aus«, sagte sie, Pawel betrachtend.

      »Sie müssen die Haare hübsch schneiden lassen, sonst sehen Sie wie ein Zottelbär aus.«

      Sie warf einen kritischen Blick auf sein verschossenes Hemd und seine abgewetzten Hosen, sagte jedoch nichts.

      Pawel hatte diesen Blick bemerkt und schämte sich nun seines Aufzuges.

      Beim Abschied bat ihn Tonja wiederzukommen und nahm ihm das Versprechen ab, in zwei Tagen gemeinsam angeln zu gehen. Pawel sprang mit einem Satz durchs offene Fenster in den Garten; er wollte nicht noch einmal durch die Wohnung gehen und der Mutter begegnen.

      Seit Artjoms Verschwinden war in der Familie Kortschagin Schmalhans Küchenmeister. Pawels Lohn reichte nicht zum Leben.

      Maria Jakowlewna beschloss, sich mit ihrem Sohn zu beraten, ob sie nicht wieder arbeiten gehen sollte. Leszczynskis suchten gerade eine Köchin. Aber Pawel war entschieden dagegen.

      »Nein, Mutter, ich werde mir noch Extraarbeit suchen. Im Sägewerk werden Hilfsarbeiter zum Brettersortieren gebraucht. Ich werde dort halbtägig arbeiten, und dann wird es für uns beide reichen. Du sollst nicht arbeiten gehen, sonst wird Artjom auf mich böse sein und sagen: Nicht einmal das hat er fertig gebracht, dass die Mutter nicht zu arbeiten brauchte.«

      Die Mutter wollte ihm beweisen, dass sie unbedingt auch verdienen müsse, aber Pawel blieb bei seiner Meinung, und schließlich gab sie nach.

      Schon am folgenden Tag begann Pawel im Sägewerk zu arbeiten. Er musste dort die frisch gesägten Bretter zum Trocknen auslegen. Pawel traf an der neuen Arbeitsstelle alte Bekannte: Mischa Lewtschukow, mit dem er zusammen in die Schule gegangen war, und Wanja Kuleschow. Er beschloss, gemeinsam mit Mischa Akkordarbeit zu übernehmen. Der Verdienst war ziemlich gut. Am Tag arbeitete Pawel jetzt in dem Sägewerk, und abends eilte er ins Elektrizitätswerk. Nach zehn Tagen brachte er der Mutter seinen Lohn. Als er ihr das Geld aushändigte, trat er verlegen von einem Fuß auf den anderen und bat schließlich: »Weißt du, Mutter, kauf mir doch ein Satinhemd, ein blaues - kannst du dich noch entsinnen, so eins, wie ich voriges Jahr hatte. Dabei geht zwar die Hälfte des Geldes drauf, aber hab keine Angst, ich werde noch mehr verdienen. Meins ist gar zu alt«, rechtfertigte er sich, als wollte er sich wegen seiner Bitte entschuldigen.

      »Natürlich, natürlich musst du eins haben, Pawluscha. Noch heute kauf ich den Stoff, und morgen näh ich dir das Hemd. Wirklich, du hast ja kein einziges anständiges Hemd.« Zärtlich sah sie ihren Sohn an.

      Pawel machte vor einem Friseurgeschäft halt, überzeugte sich, dass er noch einen Rubel in der Tasche hatte, und ging hinein.

      Der Friseur, ein gewandter Bursche, bemerkte den eintretenden Jungen und wies ihm einen Sessel an.

      »Nehmen Sie Platz!«

      Pawel ließ sich in dem tiefen, bequemen Sessel nieder und erblickte im Spiegel ein verlegenes, verwirrtes Gesicht.

      »Soll ich Sie kahlscheren?« fragte der Friseur.

      »Ja … das heißt, im Grunde genommen, nein … im großen und ganzen … und - wie nennen Sie das eigentlich …..« Pawel gestikulierte verzweifelt.

      »Ach so, ich verstehe.« Der Friseur lächelte.

      Schwitzend und erschöpft, aber gut geschnitten und frisiert verließ Pawel nach einer Viertelstunde das Geschäft. Der Friseur hatte die widerspenstige Mähne hartnäckig mit Wasser, Kamm und Bürste bearbeitet und schließlich doch den Sieg davongetragen.

      Auf der Straße atmete Pawel befreit auf und zog die Mütze tiefer ins Gesicht.

      Was wird nur die Mutter sagen, wenn sie das sieht!

      Pawel konnte nicht, wie versprochen, zum Angeln kommen, und Tonja war beleidigt.

      Sehr aufmerksam ist dieser Junge gerade nicht, dachte sie ärgerlich. Als sich Pawel jedoch auch in den nächsten Tagen nicht blicken ließ, begann die Zeit wieder lang zu werden.

      Sie hatte sich eben zum Spazierengehen fertiggemacht, als die Mutter die Tür zu ihrem Zimmer öffnete und sagte:

      »Besuch für dich, Tonja. Darf er hereinkommen?«

      In der Tür stand Pawel; Tonja erkannte ihn nicht einmal sogleich.

      Er trug eine neue blaue Satinbluse und schwarze Hosen. Die geputzten Stiefel glänzten, und - Tonja sah es sofort - seine Haare waren geschnitten und standen nicht mehr wie vorher zu Berge. Der schwarzäugige Heizer erschien ihr jetzt in einem ganz anderen Licht.

      Tonja wollte schon ihre Verwunderung äußern; aber um den ohnedies verlegenen Jungen nicht noch mehr zu verwirren, tat sie so, als hätte sie diese auffällige Veränderung nicht bemerkt.

      Sie überschüttete ihn mit Vorwürfen:

      »Schämen Sie sich denn gar nicht? Warum sind Sie nicht zum Angeln gekommen? So halten Sie also Wort?«

      »Ich habe diese Tage im Sägewerk gearbeitet und konnte nicht kommen.«

      Er wollte ihr doch nicht verraten, dass er, um sich Hemd und Hose kaufen zu können, in den letzten Tagen bis zum Umfallen geschuftet hatte.

      Tonja erriet dies jedoch von selbst, und ihr ganzer Ärger war dahin.

      »Wollen wir einen Spaziergang zum Teich machen?« schlug sie vor, und sie gingen durch den Garten auf die Chaussee hinaus.

      Und jetzt vertraute ihr Pawel, wie einem Freund, das große Geheimnis von der gestohlenen Pistole des Leutnants an. Er versprach ihr, an einem der nächsten Tage mit ihr tief in den Wald zu gehen und Schießübungen anzustellen.

      »Verrat mich aber nicht!« Das