Nikolai Ostrowski

Wie der Stahl gehärtet wurde


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eines anderen Lokomotivführers, Gehilfen und Heizers für einen zweiten Zug auf.

      Grimmig fauchend spie die Lokomotive glühende Funken, keuchte schwer und raste durch die nächtliche Finsternis. Artjom hatte Kohlen in die Feuerung geworfen und schlug mit dem Fuß den Schieber zu. Jetzt trank er einen Schluck Wasser aus dem stumpfnasigen Teekessel und wandte sich an den alten Lokomotivführer Politowski:

      »Also befördern wir sie, Alter?«

      Dieser runzelte ärgerlich die buschigen Brauen: »Bleibt doch nichts anderes übrig, wenn einem das Bajonett im Hintern steckt.«

      »Schmeißen wir alles hin, und springen wir von der Lokomotive ab«, schlug Brusshak vor und warf einen Seitenblick nach dem auf dem Tender stehenden deutschen Soldaten.

      »Ich bin derselben Meinung«, murmelte Artjom.

      »Aber da haben wir diesen Kerl dort auf dem Hals.«

      »Tja«, brachte Brusshak in unbestimmtem Ton hervor und beugte sich zum Fenster hinaus.

      Politowski trat dicht an Artjom heran und flüsterte:

      »Wir dürfen sie nicht dorthin fahren, verstehst du? Dort wird gekämpft. Die Aufständischen haben die Gleise gesprengt. Und wenn wir nun diese Hunde hinschaffen, werden sie im Handumdrehen die Partisanen erledigen. Du musst wissen, mein Söhnchen, ich habe unterm Zaren bei Streiks nie jemanden befördert, und ich werde das auch jetzt nicht tun. Es hieße ja Schimpf und Schande bis ans Lebensende, wenn wir unseren eigenen Leuten die Strafexpedition auf den Hals brächten. Die andere Lokomotivbrigade hat sich doch aus dem Staub gemacht. Die Burschen haben unter Lebensgefahr die Lokomotive im Stich gelassen. Unter keinen Umständen dürfen wir jetzt den Zug befördern. Was meinst du?«

      »Einverstanden, Alter, aber was fangen wir mit dem da an?« Er wies mit einem Blick auf den Soldaten.

      Der Lokomotivführer runzelte die Stirn, wischte sich mit einer Handvoll Werg den Schweiß ab und blickte mit seinen entzündeten Augen auf das Manometer, als hoffe er, da eine Antwort auf die peinigende Frage zu finden. Dann fluchte er in seiner Verzweiflung plötzlich wütend.

      Artjom trank noch einen Schluck Wasser aus dem Teekessel. Beide hatten den gleichen Gedanken, aber keiner konnte sich entschließen, ihn als erster auszusprechen. Artjom erinnerte sich an sein Gespräch mit Shuchrai: »Wie stehst du eigentlich, Bruderherz, zur bolschewistischen Partei und zur kommunistischen Idee?« Und an die Antwort, die er auf die Frage gegeben hatte: »Ich bin immer bereit zu helfen, du kannst auf mich rechnen …« Eine schöne Hilfe, wir bringen ihnen die Henker … Politowski beugte sich über den Werkzeugkasten und brachte, dicht neben Artjom stehend, mühsam hervor:

      »Der da muss erledigt werden, verstehst du?«

      Artjom zuckte zusammen, Politowski fügte, mit den Zähnen knirschend, hinzu:

      »Es gibt keinen anderen Ausweg. Wir machen Schluss mit ihm, werfen den Regulator und die Hebel in die Feuerung, schalten langsamen Gang ein, und dann auf und davon!« Und Artjom antwortete, als wälze er eine schwere Last ab:

      »Schön.«

      Artjom beugte sich zu Brusshak hin und teilte ihm leise den Beschluss mit.

      Brusshak zögerte mit der Antwort. Jeder von ihnen nahm ein großes Risiko auf sich. Sie hatten alle Familie daheim. Politowskis Familie war besonders zahlreich: Neun Mäuler hatte er zu stopfen. Und doch begriff jeder von ihnen, dass diese Fahrt um jeden Preis verhindert werden musste.

      »Nun, ich bin einverstanden«, sagte Brusshak.

      »Aber wer wird denn den …« Er verschluckte die letzten Worte, Artjom verstand ihn auch so. Artjom wandte sich dem Alten zu, der sich am Regulator zu schaffen machte, und nickte mit dem Kopf, als wollte er ihm zu verstehen geben, dass auch Brusshak einverstanden sei; aber dann trat er, von der noch ungelösten Frage gequält, näher an Politowski heran.

      »Wie werden wir das aber anstellen?«

      Der Gefragte blickte Artjom an:

      »Das übernimmst du, du bist der Stärkste; mit einem Brecheisen eins drauf … und fertig.« Der Alte war heftig erregt.

      Artjoms Gesicht verfinsterte sich.

      »Ich kann's nicht. Weiß nicht, warum - aber ich bring es nicht übers Herz. Der Soldat ist ja im Grunde genommen nicht schuld, den haben sie ja auch gewaltsam in den Krieg getrieben.«

      Politowskis Augen blitzten auf.

      »Er ist nicht schuld daran, sagst du. Aber sind wir vielleicht schuld daran, dass man uns hierher gejagt hat? Wir fahren doch eine Strafexpedition. Diese Unschuldslämmer werden die Partisanen über den Haufen schießen, und die, sind die wohl schuld …? Was bist du für ein Kindskopf. Stark wie ein Bär, aber was nützt das schon …«

      »Also gut«, brachte Artjom heiser hervor und griff nach dem Brecheisen. Politowski aber flüsterte:

      »Lass, ich mach es lieber selber. Nimm du die Schaufel und wirf Kohlen vom Tender herüber. Wenn's nötig sein sollte, versetzt du dem Deutschen eins mit der Schaufel. Und ich tue so, als wollte ich Kohlen zerkleinern.«

      Brusshak nickte zustimmend mit dem Kopf und trat zum Regulator.

      Der Deutsche, in seiner schirmlosen Feldmütze mit dem roten Rand, saß, das Gewehr zwischen die Beine geklemmt, seitwärts auf dem Tender und rauchte eine Zigarre; ab und zu warf er einen Blick zu den auf der Lokomotive beschäftigten Arbeitern hinüber.

      Als Artjom hinaufkletterte, um Kohle zu schaufeln, schenkte der Posten diesem Vorgang keine besondere Beachtung. Und als dann Politowski, als wolle er vom Rand des Tenders her große Kohlestücke heranschaffen, ihm durch ein Zeichen zu verstehen gab, dass er ein wenig wegrücken solle, kam der Deutsche willig herunter, trat auf die Tür zu, die zum Führerstand führte.

      Der dumpfe kurze Hieb mit dem Brecheisen, der dem Deutschen den Schädel einschlug, ließ Artjom und Brusshak erschauern. Der Soldat sackte zusammen und fiel auf den Durchgangssteg.

      Die feldgraue Tuchmütze wurde von Blut durchtränkt. Das Gewehr schlug klirrend auf Eisen.

      »Der ist fertig«, flüsterte Politowski, warf das Brecheisen weg und fügte mit krampfhaft verzerrtem Gesicht hinzu:

      »Jetzt gibt's kein Zurück.« Die Stimme versagte ihm, aber schon im nächsten Augenblick durchbrach er das bedrückende Schweigen und rief laut:

      »Los, schraubt den Regulator ab!«

      In zehn Minuten war alles erledigt. Die Lokomotive, jetzt ihrer Führung beraubt, verlangsamte allmählich die Fahrt.

      Die dunklen Silhouetten der am Wegrand stehenden Bäume tauchten im Feuerschein der Lokomotive auf und verschwanden wieder im Schatten der Nacht. Die glühenden Augen der Maschine suchten die Finsternis zu durchdringen, doch ihr Licht verfing sich ringsum im dichten Schleier der Nacht und vermochte ihr nur wenige Meter zu entreißen. Die Lokomotive keuchte, als gäbe sie ihre letzten Kräfte her, ihr Fauchen wurde allmählich schwächer und schwächer.

      »Los, Junge, spring ab!« hörte Artjom die Stimme Politowskis hinter sich. Im selben Moment ließ er den Griff los. Der schwere Körper wurde nach vorn geschleudert, und die Füße prallten heftig auf dem entgleitenden Boden auf. Artjom lief zwei Schritte, dann überschlug er sich und stürzte schwer hin.

      Von den beiden Trittbrettern der Lokomotive lösten sich gleichzeitig noch zwei Schatten.

      In Brusshaks Haus herrschte trübe Stimmung. Antonina Wassiljewna, Serjo-shas Mutter, hatte in den letzten vier Tagen völlig den Kopf verloren. Sie war ohne jede Nachricht von ihrem Mann. Sie hatte in Erfahrung gebracht, dass die Deutschen ihn wie auch Kortschagin und Politowski gezwungen hatten, gemeinsam einen Zug zu befördern. Gestern waren drei von der Hetmanwache im Haus erschienen und hatten sie grob fluchend nach ihrem Mann ausgefragt.

      Dunkel hatte sie erraten, dass etwas Schlimmes passiert sein musste, und nachdem die Soldaten die Wohnung verlassen hatten, warf