Nikolai Ostrowski

Wie der Stahl gehärtet wurde


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mit den Armen, taumelte, erlangte jedoch schnell wieder das Gleichgewicht.

      Sucharko war zwei Jahre älter als Pawel und als Raufbold und Rüpel bekannt.

      Nach diesem heftigen Stoß konnte sich Pawel nicht mehr beherrschen.

      »Ach so! Na warte mal!« Und er schlug ihm kräftig mit der Faust ins Gesicht. Ohne ihm dann Zeit zur Besinnung zu lassen, packte er ihn fest an seiner Gymnasiastenbluse und zog ihn in den Teich.

      Sucharko stand bis zu den Knien im Wasser, seine gewichsten Schuhe und die Hose waren durchnässt, und er versuchte mit aller Kraft, sich aus Pawels Umklammerung zu befreien. Pawel sprang jedoch, nachdem er den Gymnasiasten ins Wasser gestoßen hatte, selbst schnell ans Ufer zurück.

      Außer sich vor Wut, stürzte Sucharko hinter Pawel her und hätte ihn am liebsten in Stücke gerissen. Während sich Pawel rasch nach seinem Verfolger umdrehte, fiel ihm Shuchrais Unterricht ein: auf das linke Bein gestützt, das recht angespannt und ein wenig gebeugt. Nicht nur mit der Hand, sondern mit dem ganzen Körper zustoßen, von unten nach oben, gegen's Kinn schlagen.

      Los…!

      Jäh schlugen die Zähne aufeinander. Sucharko heulte auf von dem furchtbaren Schmerz im Kinn und in der Zunge, in die er sich gebissen hatte, fuchtelte hilflos mit den Händen herum und plumpste der Länge nach ins Wasser.

      Tonja schüttelte sich vor Lachen.

      »Bravo, bravo!« rief sie und klatschte in die Hände.

      »Das ist ja fabelhaft!«

      Pawel griff nach seiner Angel, zog sie mit einem Ruck heraus, so dass die Schnur abriss, und war mit einem Satz auf der Straße.

      Beim Weggehen hörte er noch, wie Viktor zu Tonja sagte:

      »Das ist Pawel Kortschagin, der berüchtigtste Raufbold der ganzen Gegend.«

      Auf dem Bahnhof herrschte Aufregung. Ins Städtchen drangen Gerüchte, dass die Eisenbahner zu streiken begonnen hätten. Auf der benachbarten großen Eisenbahnstation war es unter den Depotarbeitern zu Unruhen gekommen. Zwei Lokomotivführer waren unter dem Verdacht, Flugblätter verteilt zu haben, von den Deutschen verhaftet worden. Auch der Arbeiter, die vom Lande stammten, bemächtigte sich große Erregung, hervorgerufen durch die Requisitionen und durch die Rückkehr der Gutsbesitzer auf ihre Güter.

      Die Peitschen der hetmanschen Soldateska bearbeiteten brutal die Rücken der Bauern. Die Partisanenbewegung im Gouvernement wuchs immer mehr an. Man zählte bereits an die zehn Partisanenabteilungen, die von den Bolschewiki aufgestellt worden waren.

      Shuchrai gönnte sich in diesen Tagen keinen Augenblick Ruhe. Während seines Aufenthalts im Städtchen hatte er große Arbeit geleistet, viele Eisenbahner kennen gelernt. Er besuchte die Tanzabende, auf denen die Jugend zusammenkam, und hatte eine starke, zuverlässige Gruppe aus Schlossern des Depots und Holzarbeitern organisiert. Auch bei Artjom fühlte er vor. Auf seine Frage, wie Artjom zur bolschewistischen Sache und Partei stehe, antwortete ihm der kräftige Schlosser:

      »Ja, weißt du, Fjodor, ich kenne mich mit diesen Parteien schlecht aus. Aber wenn es darauf ankommt zu helfen, bin ich immer dabei. Du kannst auf mich rechnen.«

      Fjodor war damit zufrieden - er wusste, dass Artjom hielt, was er einmal gesagt hatte. Für die Partei ist er noch nicht reif. Macht nichts, wir leben jetzt in einer solchen Zeit, dass er bald begreifen wird, worum es geht, dachte der Matrose.

      Fjodor arbeitete jetzt nicht im Elektrizitätswerk, sondern im Depot. Das war günstiger für seine Arbeit, denn im Elektrizitätswerk fehlte ihm der Kontakt zu den Eisenbahnern.

      Der Verkehr auf den Bahnlinien hatte gewaltigen Umfang angenommen. In Tausenden von Waggons beförderten die Feinde alles nach Deutschland, was sie in der Ukraine geraubt hatten: Roggen, Weizen, Vieh …

      Unverhofft hatte die Hetmanwache den Telegrafisten Ponomarenko verhaftet. In der Kommandantur war er so erbarmungslos verprügelt worden, dass er etwas über die Agitationsarbeit Roman Sidorenkos, eines Kollegen von Artjom aus dem Depot, erzählt hatte.

      Zwei deutsche Soldaten und einer der Hetmanleute, der Gehilfe des Stationskommandanten, erschienen im Depot, um Roman zu verhaften. Ohne ein Wort zu verlieren, trat der Hetmanoffizier zur Werkbank, an der Roman arbeitete, und schlug ihm mit der Knute ins Gesicht.

      »Los, komm mit, du Hund! Wir wollen uns mal ein bisschen miteinander unterhalten«, sagte er und packte den Schlosser mit einem unheimlichen Grinsen am Ärmel.

      »Dir wird das Agitieren schon vergehen!«

      Artjom, der am benachbarten Schraubstock arbeitete, warf die Feile beiseite und trat in seiner ganzen Größe auf den Hetmanoffizier zu. Nur mühsam hielt er seinen Zorn zurück und fuhr ihn an:

      »Was unterstehst du dich zu schlagen, du Schuft!«

      Der Offizier wich einige Schritte zurück und griff nach seiner Revolvertasche. Einer der Soldaten, ein untersetzter, kurzbeiniger Kerl, riss sein schweres Gewehr mit dem breiten Bajonett von der Schulter.

      »Halt!« bellte er, bereit, bei der ersten Bewegung zu schießen.

      Beide Arbeiter wurden festgenommen. Artjom wurde nach einer Stunde wieder freigelassen, Roman aber in den Gepäckkeller gesperrt.

      Zehn Minuten später ruhte die Arbeit im ganzen Depot. Die Depotarbeiter versammelten sich im Bahnhof. Auch die Weichensteller und Lagerarbeiter schlossen sich ihnen an.

      Alles war in höchster Erregung.

      Jemand schrieb einen Aufruf, der die Freilassung Romans und Ponomarenkos forderte.

      Die Erregung nahm noch zu, als der Hetmanoffizier mit einem Haufen Soldaten zum Bahnhof gestürzt kam, mit dem Revolver herumfuchtelte und losbrüllte:

      »Wenn ihr nicht sofort alle an die Arbeit geht, lasse ich euch auf der Stelle verhaften und ein paar von euch an die Wand stellen!«

      Die Rufe der erbosten Arbeiter zwangen ihn jedoch, sich schleunigst zurückzuziehen. Aus der Stadt kamen bereits mit deutschen Soldaten besetzte Lastautos, die vom Stationskommandanten angefordert worden waren, die Chaussee entlanggebraust.

      Die Arbeiter zerstreuten sich und gingen nach Hause. Alle hatten die Arbeit verlassen, selbst der Stationsvorsteher. Shuchrais Arbeit war nicht vergebens gewesen. Das war die erste Massenaktion auf der Bahnstation.

      Die Deutschen brachten auf dem Bahnsteig ein schweres Maschinengewehr in Stellung; es stand dort wie ein Jagdhund auf dem Anstand. Neben ihm kauerte, die Hand auf dem Griff, ein deutscher Unteroffizier.

      Ö de und menschenleer war es jetzt auf dem Bahnsteig geworden.

      Nachts setzten die Verhaftungen ein. Auch Artjom wurde wieder festgenommen. Shuchrai hatte nicht zu Hause übernachtet, ihn konnten sie nicht finden.

      Die Verhafteten wurden in den riesigen Güterschuppen getrieben, und man stellte ihnen das Ultimatum: entweder Wiederaufnahme der Arbeit oder vors Kriegsgericht.

      Fast alle Eisenbahner auf der Strecke streikten jetzt. Vierundzwanzig Stunden lang ging nicht ein einziger Zug, und hundertzwanzig Kilometer weiter kam es zu einem Gefecht mit einer starken Partisanenabteilung. Sie hatte die Bahnstrecke und die Brücken in die Luft gesprengt.

      In der Nacht lief ein Eisenbahntransport mit deutschen Soldaten auf der Station ein. Der Lokomotivführer, sein Gehilfe und der Heizer machten sich

      sofort aus dem Staub. Außer diesem Militärtransport warteten auf dem Bahnhof noch zwei Züge auf die Abfahrt.

      Die schwere Tür des Güterschuppens wurde geöffnet, und den Raum betrat der Stationskommandant - ein deutscher Leutnant -, begleitet von seinem Adjutanten und einigen deutschen Soldaten.

      Der Adjutant rief: »Kortschagin, Politowski, Brusshak - vortreten! Ihr fahrt sofort als Lokomotivbrigade los. Wer sich weigert, wird auf der Stelle erschossen. Werdet ihr fahren oder nicht?«

      Die drei