Nikolai Ostrowski

Wie der Stahl gehärtet wurde


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hoffte. Ihre älteste Tochter Walja, die gerade in der Küche wirtschaftete, sah die Mutter weggehen und fragte: »Wohin gehst du, Mutter?«

      Antonina Wassiljewna antwortete der Tochter mit Tränen in den Augen:

      »Zu Kortschagins. Vielleicht kann ich dort erfahren, was mit dem Vater ist. Wenn Serjosha heimkommt, sag ihm, dass er zu Politowski auf die Station gehen soll.«

      Walja umarmte die Mutter und bemühte sich, ihr während der wenigen Schritte zur Tür Trost zuzusprechen:

      »Es wird schon noch alles gut werden, Mama.«

      Bedrückt verließ die Mutter das Haus.

      Maria Jakowlewna empfing die Frau sehr herzlich. Beide erwarteten, etwas Neues voneinander zu erfahren, aber diese Hoffnung verschwand gleich nach den ersten Worten.

      Auch bei Kortschagins war nachts Haussuchung gewesen. Man hatte Artjom gesucht. Die Soldaten hatten Maria Jakowlewna zu Tode erschreckt. Sie war allein in der Wohnung gewesen; Pawel hatte Nachtschicht im Elektrizitätswerk.

      Am frühen Morgen kam Pawel nach Hause. Als er durch die Mutter von der nächtlichen Haussuchung und vom Fahnden nach Artjom erfuhr, erfasste ihn quälende Unruhe um den Bruder. Die Brüder liebten einander trotz ihrer verschieden gearteten Charaktere sehr. Es war eine raue Liebe, ohne viele Worte, aber Pawel wusste genau, dass er, wenn es nötig wäre, ohne Zaudern jedes Opfer für den Bruder auf sich nehmen würde.

      Pawel ruhte nach der Arbeit nicht aus, sondern eilte zur Station, um Shuchrai im Depot aufzusuchen. Er traf ihn jedoch nicht an, und die Arbeiter, mit denen er bekannt war, konnten ihm nichts über die Männer sagen, die losgefahren waren. Auch die Familie des Lokomotivführers wusste nichts. Pawel traf im Hof Politowskis jüngsten Sohn Boris. Von ihm erfuhr er, dass auch bei Politowskis nachts Haussuchung gewesen war. Man hatte nach dem Vater geforscht.

      So kehrte er unverrichteterdinge zu seiner Mutter zurück, warf sich müde aufs Bett und fiel sofort in unruhigen Schlaf.

      Es klopfte. Walja schaute auf.

      »Wer ist da?« fragte sie und schob den Riegel zurück. In der geöffneten Tür erschien der rothaarige Wuschelkopf Klimkas. Es war ihm anzusehen, dass er gerannt war, er war völlig außer Atem und puterrot im Gesicht.

      »Ist deine Mutter zu Hause?« erkundigte er sich bei Walja.

      »Nein, sie ist weggegangen.«

      »Wohin denn?«

      »Ich glaube, zu Kortschagins.«

      Klimka wollte davoneilen, doch Walja hielt ihn mit aller Kraft am Ärmel fest.

      Unentschlossen blickte er das Mädchen an.

      »Ja, weißt du, ich hab mit ihr zu sprechen, muss ihr etwas übergeben.«

      »Was musst du übergeben?« bestürmte Walja den Jungen. »Erzähl doch, was los ist, du rothaariger Zottelbär, sprich doch! Du zerrst einem ja die Seele aus dem Leib!« sagte das Mädchen zu ihm in gebieterischem Ton.

      Klimka vergaß alle Warnungen, vergaß den strengen Befehl Shuchrais, den Zettel nur Antonina Wassiljewna persönlich zu übergeben und zog einen verschmierten Papierfetzen aus der Tasche. Er konnte es Serjoshas blonder Schwester einfach nicht abschlagen, obwohl sich der rothaarige Klimka über seine Gefühle für sie nicht ganz im klaren war. Freilich hätte es der bescheidene Küchenjunge niemandem und sogar sich selbst nicht eingestanden, dass Walja ihm gefiel.

      Er gab ihr den Zettel, den sie schnell überflog.

      Liebe Tonja! Mach Dir meinetwegen keine Sorgen. Alles in bester Ordnung. Wir sind heil und unversehrt. Bald wirst du Weiteres erfahren. Teile auch den anderen mit, dass es uns gut geht und dass sie sich nicht beunruhigen sollen. Diesen Zettel vernichte.

      Sachar.

      Als Walja die Zeilen gelesen hatte, stürzte sie auf Klimka zu.

      »Woher hast du den Zettel? Sag, woher du ihn hast, du Tollpatsch, du!« Sie ließ dem verwirrt dastehenden Klimka keine Ruhe, so dass dieser, ehe er sich's versah, schon die zweite Dummheit beging:

      »Den hat mir Shuchrai auf der Station gegeben.« Und da es ihm einfiel, dass er nicht darüber sprechen durfte, fügte er hinzu: »Er hat mir aber streng verboten, mit jemandem darüber zu sprechen.«

      »Lass schon gut sein.« Walja lachte. »Ich werde dich nicht verpetzen. Aber jetzt lauf, du Rotkopf, so schnell du nur kannst, zu Pawel. Dort wirst du auch die Mutter finden.« Mit diesen Worten gab sie dem Küchenjungen einen freundschaftlichen Schubs in den Rücken, und in der nächsten Sekunde war Klimkas roter Schopf bereits hinter der Gartenpforte verschwunden.

      Am Abend kam Shuchrai zu Kortschagins und berichtete Maria Jakowlewna von den Vorgängen auf der Lokomotive. Er beruhigte die erschrockene Frau, so gut er konnte, und teilte ihr mit, dass alle drei weit entfernt, in einem abgelegenen Dorf bei einem Onkel von Brusshak, Unterkunft gefunden hätten und dort in Sicherheit seien. Natürlich könnten sie jetzt nicht nach Hause kommen. Den Deutschen stehe jedoch schon das Wasser bis an den Hals, und es seien in nächster Zukunft Veränderungen zu erwarten.

      Diese Begebenheiten trugen dazu bei, dass sich die Familien der drei Verschwundenen eng einander anschlossen. Die spärlich einlaufenden Briefe, die sie bekamen, waren jedes Mal ein freudiges Ereignis, aber in ihren Häusern war es öd und leer geworden.

      Eines Tages suchte Shuchrai die alte Frau Politowski auf und gab ihr etwas Geld.

      »Hier, Mütterchen, das schickt Euch Euer Mann. Sagt aber niemandem ein Sterbenswörtchen.«

      Beglückt drückte ihm die Alte die Hand. »Recht schönen Dank! 's tut bitter not. Die Kinder haben schon fast nichts mehr zu essen.«

      Das Geld war dem Fonds entnommen, den Bulgakow dagelassen hatte.

      Nun, wir werden mit der Zeit schon sehen, was weiter wird. Obwohl der Streik wegen der angedrohten Todesstrafe abgebrochen werden musste, obwohl wieder gearbeitet wird, brennt doch die Flamme weiter. Man kann sie nicht mehr löschen. Und jene drei sind Prachtkerle, richtige Proleten, dachte der Matrose begeistert, als er von Politowskis zum Depot zurückging.

      In einer abseits gelegenen alten Schmiede, die eine ihrer verrußten Wände dem ins Dorf Worobjowa Balka führenden Weg zukehrte, stand Politowski mit einer langen Zange vor der Esse und wendete, in der grellen Glut leicht blinzelnd, ein rotglühendes Eisenstück um.

      Artjom drückte den Hebel des ledernen Blasebalgs, der an einem Querbalken angebracht war.

      Gutmütig in seinen Bart schmunzelnd, meinte der Lokomotivführer:

      »Ein Handwerker braucht jetzt im Dorf nicht zu hungern. Arbeit gibt's mehr als genug. Wir werden hier ein paar Wochen arbeiten und können dann den Unsrigen wenigstens Speck und Mehl schicken. Beim Bauersmann, mein Junge, steht der Schmied immer hoch in Ehren. Wir werden uns hier vollfuttern wie die richtigen Bourgeois, haha. Mit dem Sachar ist's eine andere Sache. Der hält sich mehr ans Bauerngeschäft, arbeitet den ganzen Tag mit seinem Onkel auf dem Feld. Ist ja auch begreiflich. Wir beide haben weder Haus noch Hof, nur unsern Buckel und unsere Hände, wie man so sagt, Proleten auf Lebzeit, haha. Sachar aber steht mit dem einen Fuß auf der Lokomotive, mit dem anderen im Dorf.« - Er packte das glühende Eisenstück mit der Zange und fügte, nun schon ernst und nachdenklich, hinzu: »Aber unsere Sache steht wacklig, Junge. Wenn die Deutschen nicht bald verjagt werden, müssen wir nach Jekaterinoslaw oder nach Rostow hinüber, sonst kriegen sie uns beim Schlafittchen und hängen uns zwischen Himmel und Erde auf. Das steht fest.«

      »Stimmt«, brummte Artjom.

      »Wie mag's den Unseren daheim gehen, ob sie wohl von diesen Banditen schikaniert werden?«

      »Ja, ja, Alter, da haben wir uns was eingebrockt, jetzt heißt's, sich ein bisschen fernhalten von Hause.«

      Der Lokomotivführer langte aus der Esse ein glühendes Stück Eisen und legte es rasch auf den Amboss.

      »Nun,