Nikolai Ostrowski

Wie der Stahl gehärtet wurde


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der Dunkelheit lösten sich zwei Gestalten; eine von ihnen ritt auf die Wache zu und brüllte mit lautem, versoffenem Bass:

      »Ich bin der Ataman Pawljuk mit meiner Abteilung. Und wer seid ihr? Golub-Leute?«

      »Jawohl«, antwortete der vortretende Offizier.

      »Wo kann ich meine Abteilung unterbringen?« fragte Pawljuk.

      »Ich werde mich gleich telefonisch beim Stab erkundigen«, antwortete der Offizier und verschwand in einem kleinen, am Weg stehenden Haus.

      Nach einer Minute erschien er wieder und befahl:

      »Los, Jungs, weg mit dem Maschinengewehr von der Straße! Gebt dem Pan Ataman den Weg frei.« Pawljuk zog die Zügel an und machte vor dem hell erleuchteten Theater halt, wo die Lustbarkeit ihren Höhepunkt erreicht hatte.

      »Aha, da geht's ja fröhlich her«, sagte er zu dem neben ihm reitenden Kosakenhauptmann.

      »Lasst uns absteigen, Gukmatsch, wir kommen gerade recht. Suchen wir uns die passenden Weiber aus. Die gibt's hier wie Sand am Meer. - He, Staleshko«, schrie er, »mach Quartier für die Jungs! Wir bleiben hier. Die Wache geht mit mir.« Er stieg schwerfällig vom Pferd.

      Am Theatereingang wurde Pawljuk von zwei bewaffneten Petljura-Soldaten angehalten.

      »Ihre Eintrittskarte?«

      Pawljuk streifte die beiden jedoch nur mit einem verächtlichen Blick und schob den einen mit der Schulter beiseite. So folgten ihm etwa zwölf Leute seiner Abteilung. Ihre Pferde hatten sie am Gartenzaun festgebunden.

      Die Neuankömmlinge erregten sofort allgemeine Aufmerksamkeit. Besonders fiel die riesige Gestalt Pawljuks auf, der einen Offiziersrock aus gutem Tuch, blaue Gardehosen und eine zottige Pelzmütze trug. Über der Schulter hatte er an einem Riemen eine Mauserpistole hängen, und aus der Tasche lugte eine Handgranate hervor.

      »Wer ist das?« flüsterten die Leute, die um den Tanzboden herumstanden, wo sich Golubs Adjutant gerade stürmisch mit der älteren Popentochter im Kreis drehte. Ihre fliegenden Röcke enthüllten den begeisterten Kriegern die seidenen Höschen des außer Rand und Band geratenen Mädchens.

      Pawljuk bahnte sich mit den Schultern einen Weg durch die Menge und trat in den Kreis.

      Lüsternen Blicks schaute er auf die Beine der Popentochter, feuchtete die trockenen Lippen mit der Zunge an und schritt mitten durch die Tanzenden auf das Orchester zu. Er stellte sich vor die Rampe und ließ seine geflochtene Lederpeitsche knallen.

      »Einen feurigen Hopak, los!«

      Der Dirigent des Orchesters schenkte ihm keine Beachtung. Da holte Pawljuk heftig mit der Peitsche aus und ließ sie auf den Rücken des Dirigenten sausen. Dieser sprang auf wie von einer Tarantel gestochen.

      Die Musik brach jäh ab. Im Saal trat augenblicklich Stille ein.

      »So eine Frechheit!« brauste die Gastwirtstochter auf.

      »Das darfst du auf keinen Fall dulden.« Erregt drückte sie den Arm Golubs.

      Golub erhob sich schwerfällig von seinem Sitz, stieß mit dem Fuß einen vor ihm stehenden Stuhl um, ging drei Schritte auf Pawljuk zu und blieb dicht vor ihm stehen. Er hatte Pawljuk sofort erkannt. Mit diesem Konkurrenten um die Macht im Bezirk hatte er noch alte Rechnungen zu begleichen.

      Erst vor einer Woche hatte Pawljuk dem Pan Oberst auf gemeinste Weise ein Bein gestellt.

      Mitten im heftigsten Kampf mit einem roten Regiment, das die Golub-Leute nicht zum ersten Mal in die Enge trieb, war Pawljuk, anstatt die Bolschewiki von hinten anzugreifen, in eine kleine Ortschaft eingebrochen, hatte die schwachen Posten der Roten überrannt und ringsum Sperren gestellt, um dann im Ort eine Plünderung vorzunehmen, die alle bisher erlebten übertraf. Natürlich war diese Aktion, wie sich das für einen echten Petljura-Mann gehörte, gegen die jüdische Bevölkerung gerichtet gewesen.

      Währenddessen hatten aber die Roten den rechten Flügel der Golub-Leute zusammengehauen und waren verschwunden.

      Und jetzt war der freche Rittmeister hier eingedrungen und hat es gewagt, in Anwesenheit des Pan Oberst dessen Kapellmeister zu schlagen. Das konnte Golub keinesfalls dulden. Er verstand sehr wohl, dass es mit seiner Autorität im Regiment aus sein würde, wenn er nicht augenblicklich diesen übergeschnappten Ataman in die Schranken wies.

      Einige Sekunden lang standen sie sich Auge in Auge schweigend gegenüber.

      Golub, der mit der einen Hand den Säbelgriff presste und mit der anderen nach der Pistole in seiner Tasche griff, fuhr ihn an:

      »Was unterstehst du dich, meine Leute zu schlagen, du Schuft?« Langsam griff auch Pawljuks Hand nach der Pistolentasche.

      »Sachte, Pan Golub, sachte, sonst könnten Sie was abkriegen. Treten Sie mir nicht auf mein Lieblingshühnerauge, ich könnte vielleicht noch beleidigt sein.«

      Diese höhnischen Worte waren für Golubs Geduld zuviel. »Packt sie, schmeißt sie aus dem Theater, und zieht jedem noch fünfundzwanzig Ordentliche über!« schrie er.

      Von allen Seiten warfen sich die Offiziere wie eine Koppel Jagdhunde auf die Pawljuk-Leute.

      Ein Schuss knallte. Im Saal entstand ein Gedränge und ein Durcheinander, als wären zwei Rudel Hunde aufeinander losgelassen. Blindlings schlugen die Gegner mit den Säbeln aufeinander los, packten den erstbesten beim Schopf oder direkt an der Gurgel. Die zu Tode erschrockenen Frauen kreischten laut auf und drängten von den Raufenden weg.

      In wenigen Minuten waren die Pawljuk-Leute entwaffnet, verprügelt, in den Hof hinausgeschleppt und auf die Straße gesetzt.

      Pawljuk hatte bei der Schlägerei seine Pelzmütze eingebüßt, man hatte ihm das Gesicht blutig geschlagen und ihn entwaffnet - er raste vor Wut. Er schwang sich aufs Pferd und sprengte mit seiner Abteilung von dannen.

      Der Abend war verdorben. Keinem kam es in den Sinn, sich nach diesen Vorgängen noch zu amüsieren. Die Frauen weigerten sich zu tanzen und verlangten, dass man sie nach Hause begleite; aber Golub zeigte sich bockbeinig.

      »Niemand wird aus dem Saal hinausgelassen! Stellt Posten auf!«

      Paljanyza beeilte sich, dem Befehl nachzukommen.

      Auf die zahlreichen Proteste antwortete Golub eigensinnig einige Male:

      »Es wird weitergefeiert bis zum Morgen, meine Damen und Herren. Ich werde selbst den ersten Walzer tanzen.« Abermals setzte die Musik ein, doch zu einem vergnügten Fest sollte es nicht mehr kommen.

      Kaum hatte der Oberst eine Runde mit der Popentochter getanzt, als die Posten zur Tür hereinstürmten mit den Rufen:

      »Die Pawljuk-Leute umzingeln das Theater.«

      Das nach der Straße gelegene Fenster neben der Bühne zersprang klirrend. Im Fensterrahmen erschien der Lauf eines Maschinengewehrs. Alle stürzten in die Mitte des Saales.

      Paljanyza schoss nach der 1000-Watt-Birne an der Decke, diese platzte wie eine Bombe und überschüttete die Anwesenden mit einem Regen feiner Glassplitter.

      Tiefe Finsternis.

      Von der Straße her hörte man schreien:

      »Alles auf den Hof hinaus!«, und es folgte ein wüstes Geschimpfe.

      Das tolle, hysterische Gekreisch der Frauen, die wütenden Befehle des im Saal herumrennenden Golub, der versuchte, die kopflos gewordenen Offiziere um sich zu sammeln, die Schüsse und Rufe auf dem Hof - all dies verschmolz zu unglaublichem Lärm. Niemand hatte bemerkt, wie Paljanyza durch eine Hintertür auf die Nebenstraße hinausgeschlüpft war und zum Stab Golubs rannte.

      Nach einer halben Stunde tobte in der Stadt ein regelrechtes Gefecht. Die nächtliche Stille wurde durch ununterbrochenes Gewehrknattern zerfetzt, unterstützt von dem Rattern der Maschinengewehre. Die völlig aus dem Häuschen geratenen Spießbürger sprangen aus ihren Federbetten und starrten