Marc Chapoutier

Das Geheimnis mentaler Stärke


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und mich immer wieder ermahnt, aufrechter und offener durch die Schule zu gehen. Am Anfang habe ich das natürlich nicht gerne gehört. Selbst wenn Kritik konstruktiv ist, wehren wir sie im ersten Moment am liebsten ab. Es ist schließlich viel einfacher, in den gewohnten Bahnen weiterzugehen. Außerdem ist es gar nicht leicht, sich antrainierte Verhaltensmuster wieder abzugewöhnen. Aber meine Freundin brachte ein erstes Umdenken in mein Leben und die Erkenntnis, selbst etwas zu ändern.

      5. Welche Entscheidungen hast Du auf Grund dessen getroffen?

      Eine sehr gute Entscheidung war, auf meinen jetzigen Freund zuzugehen. Davor hatte ich schon Beziehungen, die nicht schön waren. Doch diese Beziehung jetzt war anders, ich war anders und das war entscheidend. Mittlerweile hatte ich so viel über mich selbst dazu gelernt. Ich war zwar immer noch ein Mensch mit einigen Selbstzweifeln, aber im Großen und Ganzen habe ich an mich und meine Fähigkeiten geglaubt, habe gewusst, was ich will und was nicht. Ich hatte mich weiterentwickelt, sodass ich nun diese Beziehung führen konnte und nun half wiederum die Beziehung mir, mich weiterzuentwickeln.

      Sehr wichtig war auch, endlich aus der Opferrolle auszutreten. Es war ein Tag in der Ausbildung und ich fühlte mich mal wieder ausgelacht. Warum war mein Umfeld immer so gemein? Eine ganze Flut von Selbstmitleid schwappte über mich hinweg, bis ich eine Erkenntnis hatte. In all diesen Geschichten, die mir in meinem Leben passiert waren und in denen ich mich ungerecht behandelt gefühlt habe, was war da die Konstante? Ich.

      Was wäre, wenn ich gar keine schlechteren Chancen hätte, als alle anderen? Wenn ich mir dies nur die ganze Zeit selbst eingeredet hätte? Sicherlich gibt es manchmal wirklich ein paar Idioten, die ungerecht sind. Aber wer erlebt das denn nicht? Wer ist durch die Schulzeit gekommen, ohne jemals geärgert zu werden? Ich beschloss: Ab jetzt denke ich nicht mehr in cool und uncool, verhalte mich selbstbewusst und agiere ganz selbstverständlich mit allen. Natürlich fällt das nicht leicht, wenn man 20 Jahre lang anders war, aber es war ein Anfang.

      Was letztlich das komplette Umdenken in mir hervorgerufen hat? Ausgerechnet ein Fotoshooting. Die Fotografin war unglaublich lieb und hat mir sehr geholfen, weil ich so etwas ja noch nie gemacht hatte. Auf allen Bildern musste ich kein verkrampftes Lächeln aufsetzen, sondern konnte ein bisschen träumerisch, leicht melancholisch schauen. Einfach so, wie es sich in dem Moment richtig angefühlt hat. Dadurch hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, Bilder von der echten Ilka zu sehen.

      6. Wie hat sich Dein Leben verändert? Wie hat sich Dein Umfeld verändert?

      Seit dem Entschluss, nicht mehr als Opfer durchs Leben zu gehen, und seit diesem Shooting vor fünf Jahren ist so viel passiert. Mein Leben ist einerseits komplett verändert, weil ich mich viel mehr Dinge traue und meine Zeit nicht mehr mit überflüssigen Selbstzweifeln vergeude. Andererseits ist auch vieles gleich geblieben, denn meine Entwicklung verlief nicht auf Kosten meiner Persönlichkeit. Ich musste mich nicht verstellen, um so zu werden. Es ist eher so, dass all die Eigenschaften, die schon immer in mir waren, nun jederzeit ans Licht können. Deswegen nimmt mich auch mein Umfeld anders wahr. Da die Entwicklung schleichend vorangegangen ist, konnten sich auch alle daran gewöhnen und es fühlt sich mittlerweile ganz natürlich an.

      Dennoch gibt es ein paar Punkte, die sich verändert haben. Dinge, die vielleicht für andere nicht erwähnenswert scheinen, in der Summe aber einen enormen Unterschied ausmachen. Zunächst mal das Lästern, beziehungsweise das nicht mehr Lästern. Früher habe ich sehr viel getratscht. Rückblickend zeigt mir das, wie unzufrieden ich mit mir selbst war.

      Ein daran anknüpfender Punkt ist, dass ich nicht mehr so viel in Gesagtes hineininterpretiere. Wenn jemand mir von einer Person mit besonders hübschem Gesicht erzählt hat, war das für mich ganz klar ein Affront gegen mich. Die Person wollte sicher nur mit dem Finger in der Wunde bohren.

      In meiner früheren Weltbetrachtung gab es eine richtige und falsche Art zu sein. Mittlerweile finde ich es sehr spannend, verschiedene Denkweisen mit anderen Menschen zu erörtern und sich so gegenseitig zu einem offeneren Weltbild zu verhelfen.

      Ein enormer Zuwachs an Lebensqualität ist dadurch entstanden, dass ich nicht mehr neidisch auf andere bin. Meine Güte, tut das gut. Dann haben andere eben symmetrischere Züge, braunere Haut, mehr Geld, mehr Freunde, was auch immer. Ich bin so voller Vertrauen in das Leben und dankbar für das, was ich habe. Was bringt es mir denn, nach immer mehr zu streben? Es wird eh immer Leute geben, die noch hübscher, noch erfolgreicher, noch vermögender sind. Nur wenn ich aufhöre, mich zu vergleichen, kann ich wirklich glücklich werden.

      7. Was ist dadurch entstanden? Welche Erkenntnisse/ Einsichten hast Du gewonnen? Welche persönliche Bedeutung misst Du Deinem Schicksalsschlag zu?

      Was als ganz persönliche Reise anfing, entwickelte sich schnell zu einer Mission. Lange Zeit war ich so in meiner Opferrolle gefangen, dass mir gar nicht bewusst war, wie viele Menschen unzufrieden mit sich sind – häufig getrieben durch die Schönheitsideale und Ansprüche, die durch die Medien vermittelt werden. Der Mensch von heute ist hübsch, super erfolgreich, immer verständnisvoll zu den Kindern, ruht in sich, ernährt sich gesund, macht Sport, lebt in einer super gestylten Wohnung, hat eine perfekte Figur, ist gebildet, sieht schon nach dem Aufstehen makellos aus. Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen. Es wird ein Idealbild geschaffen, dem keiner entsprechen kann. Auch wenn sich in dem Bereich schon einiges getan hat und Bewegungen wie #bodypositivity entstanden sind, gibt es noch viel zu tun. Denn das echte Leben spielt sich fernab von medienwirksamen Kampagnen ab.

      Es ist mir eine absolute Herzensangelegenheit, Mut zu machen und für Selbstakzeptanz bei anderen zu sorgen. Dieser Wunsch ist so stark geworden, dass ich seit diesem Jahr selbstständig bin. Es reicht mir nicht mehr, nur zu sagen, man müsste, man könnte, man sollte. Jeder von uns hat es in der Hand, etwas zu verändern. Wenn jeder einen kleinen Beitrag leistet, ist es gar nicht so schwierig, etwas zu bewegen.

      8. Wo stehst Du heute? Wie lebst Du damit? Was hast Du gelernt? Was hat sich verändert?

      Manchmal kann ich gar nicht glauben, dass ich in der Schulzeit so anders war. Wie konnte ich meinen eigenen Wert nur so abhängig machen von leichten Veränderungen meines Gesichts? Mal davon abgesehen, dass es nichts darüber aussagt, ob ich ein guter Mensch bin, eine gute Tochter, Freundin, Partnerin. Es sagt nicht mal etwas darüber aus, ob ich attraktiv bin. Unser Empfinden für Schönheit ist antrainiert, basierend auf gängigen Werbemustern. Würde unsere Vielfalt mehr im Mittelpunkt stehen, wäre sie auch viel normaler. Außerdem zeigen meine Fotos sehr gut, dass Ausstrahlung letztlich entscheidend ist. Sie hängt nicht von der Symmetrie meines Gesichtes ab, sondern von meiner Einstellung zu mir selbst. Wenn ich wirklich zufrieden mit mir bin und von innen heraus strahle, sieht man das auch auf den Fotos.

      Meine größten Erkenntnisse bisher waren die folgenden:

      Jeder Mensch ist wertvoll. Nur weil ich andere Dinge sinnvoll und wichtig finde, mein Leben anders gestalten würde und andere Ansichten habe, muss meine Art nicht die bessere sein. Alles hat seine Berechtigung, solange es anderen nicht schadet.

      Außerdem ist es eine Illusion, dass es Menschen mit makellosem Gesicht besser geht. Jeder Mensch hat sein Päckchen zu tragen und ist mit bestimmten Punkten unzufrieden. Leute, die besonders glücklich sind, sind das nicht wegen ihres Aussehens oder ihrer Erfolge, sondern weil sie Dankbarkeit für bestimmte Aspekte ihres Lebens empfinden können. Es ist das A und O sich auf die positiven Aspekte zu konzentrieren und das Beste aus dem zu machen, was wir haben.

      Eine weitere Erkenntnis: Ich habe keinen Anspruch auf ein symmetrisches Gesicht. Wir kommen nicht auf diese Erde und haben ein All-Inclusive-Luxus-Ticket gebucht. Ich habe großes Glück, in einem Land geboren zu sein, in dem es keinen Krieg gibt und in dem wir eigentlich keine Not kennen. Es gibt genug zu essen, wir leben in schönen Wohnungen usw. Doch darauf habe ich kein Geburtsrecht oder so. Jedenfalls nicht mehr, als es all die Menschen in anderen Teilen der Welt hätten. Ich habe bloß das große Glück gehabt, hier zu leben. Wie viele Menschen würden wohl sofort mit mir tauschen. Lebensumstände gegen Spalte.