Sabine Gräfin von Rothenfels

Die Schlacht von Terria


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kurz vor den Männern und schlurfte, noch tiefer gebeugt als gewöhnlich, zurück ins Schloss.

      Die Männer schwiegen noch einen Moment. Jeder, der den Ernst der Lage noch nicht begriffen hatte, tat es wohl in diesem Augenblick. So mancher junge Bursche schaute sich unauffällig nach seiner Mutter um, und dem einen oder anderen Familienvater steckte nun ein Kloß im Hals. Dann setzte wieder Gemurmel ein und das Chaos griff erneut um sich. Die Familien der Kämpfer waren zum Großteil eingetroffen um sich von ihren Männern, Brüdern und Söhnen zu verabschieden. Ihnen noch ein paar gute Worte und Ratschläge mitzugeben. Oder ihnen, den einen oder anderen Leckerbissen, den sie auf der Reise genießen sollten, einzupacken.

      Auch Elmars Frau, Missa und die Töchter hatten sich bei Sonji und Elmar eingefunden. Marga und Jossi weinten und hingen an Sonjis Hals. Die kleine Lilly umklammerte die Hüfte ihres Vaters, und Missa redete unentwegt auf Elmar ein. ”Hast du den warmen Mantel eingepackt?”

      ”Missa, es ist Sommer.”

      Doch seine Frau ließ keine Einwände gelten: ”Nimm ihn trotzdem mit. Es kann kalt werden in den Bergen und wer weiß, wie es in Wendorra aussieht. Ich werde ihn dir morgen früh mitbringen und auch noch eine extra Ration von dem Kirschkuchen, den du so gerne magst.”

      Elmar rollte die Augen: ”Wir haben genug Verpflegung. Was sollen denn meine Männer denken, wenn du mich so verhätschelst.”

      Sie rümpfte die Nase mit den tausend Sommersprossen darauf: ”Dass ich gut für dich sorge, wenn du schon in diesen Krieg ziehen musst”, sie schniefte. ”Du wirst dich doch nicht umbringen lassen, nicht wahr? Versprich es mir!” Tränen rollten ihre dicken Backen herab.

      Elmar umarmte sie: ”Mach dir keine Sorgen, ich komme zurück. Ich verspreche es dir. Sorg du für die Mädchen.” Missa nickte und wischte sich umständlich die Tränen aus dem Gesicht. ”Ich seh dich dann morgen.”

      Sie umarmte auch Sonji: ”Pass, um Himmels Willen, auf ihn auf”, flüsterte sie ihm ins Ohr. Missa kannte keinen furchtloseren Kämpfer als Sonji. Sie würde ihm alles anvertrauen, auch das Leben ihres geliebten Mannes.

      ”Keine Sorge, das werde ich.” Sonji klopfte ihr begütigend auf den Rücken. Er wunderte sich etwas, dass Missa sich um ihn selbst so gar nicht zu sorgen schien. In Missas Leben schien es nur ihren Ehemann zu geben. Trotzdem würde er alles nur Mögliche tun, um Missa nicht zu enttäuschen.

      Elmar küsste seine Töchter noch einmal und schickte seine Familie nach Hause. Er sah ihnen nicht nach. Sah nicht, wie die vier bedrückt nach Hause schlichen, sondern wandte sich sofort wieder seinen Aufgaben zu.

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      In dieser Nacht hatte keiner viel geschlafen. Der bevorstehende Kriegszug lastete auch auf dem hartgesottensten Almachen. Das hier war ein Abenteuer, bei dem keiner wusste, ob er je wieder nach Almach zurückkehrte. Nach der Rede des Königs hatte das wohl inzwischen jeder begriffen. Entsprechend schlaflos, wälzten sich die Männer hin und her.

      Sobald der Morgen grau erwachte, bellte die Stimme von Sonji über den Schlosshof. Weckte auch den letzten noch Dösenden.

      Schließlich waren sie bereit.

      Die Kämpfer standen in Reih und Glied. Die Wagen waren fertig beladen und startbereit.

      Auch Olan hatte die Kunde vom Kriegszug in seiner kleinen Waldhütte erreicht. Kampf und Gewalt lag entgegen der Natur des Weisen. Nach langer Meditation und Zwiesprache mit den Göttern, war er jedoch zu dem Schluss gelangt, dass er gebraucht wurde. Auch für ihn würde es eine Aufgabe im Kampf gegen die Dunkelheit geben.

      Ganz Andria säumte die Straße, auf der sie ausziehen würden. Frauen, Kinder und alte Männer huschten noch schnell dazwischen, um ihren Lieben noch ein kleines Paket zuzustecken. Eine letzte Umarmung anzubringen. Doch schließlich waren auch die letzten zurückgetreten und winkten ihnen zu.

      Der kleine Treck setzte sich in Bewegung.

      An der Spitze, Prinz Hendrik auf seinem prachtvollen Schimmel. Gefolgt von Elmar, Sonji und Wig als Hauptleute der Armee. Danach die tapferen Streiter der Almachen und zum Schluss, die Knechte des Königs mit den Versorgungswagen.

      Der alte Monarch und die restlichen Almachen standen am Straßenrand, schwenkten Blumen und jubelten Ihnen zu. Manche Frauen weinten, trotzdem versuchte man, den Kämpfern Mut zu machen.

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      Missa war völlig aufgelöst. Sie hielt Jossis Hand umklammert und drückte sie so fest, dass die Kleine empört aufschrie. Ihre älteste Tochter Marga stand bei ihren Freundinnen und winkte des jungen Burschen zu, die versuchten einen möglichst wagemutigen Eindruck auf die jungen Frauen zu machen. Lilly dagegen war ganz verschwunden. Missa vermutete sie bei den anderen Kindern, die noch ein Stück mit den Kämpfern mitliefen.

      Die alten Männer, die zurückblieben, stimmten ein Lied an, das vom Heerzug aufgenommen wurde. Es war ein uraltes Schlachtlied aus Atowars Zeiten. Den Refrain: ”Hurray, hurray, Almach ein Hurray...” konnte man noch hören, als die kleine Armee längst aus dem Blickfeld der Almachen verschwunden war.

      ”Die Götter mögen euch beistehen”, murmelte König Marken, bevor er auf eine junge Dienerin gestützt, zurück in den Palast humpelte.

      Der König war sehr nachdenklich. Hatte er das Richtige getan? Es war ihre menschliche Pflicht, den Wendorrianern beizustehen und keiner der Hauptleute oder Edlen hatte etwas Gegenteiliges geraten. Trotzdem war der alte Mann sehr besorgt.

      Die tapfere Armee Almachs bestand doch zum großen Teil aus Bauern, Jägern und Handwerkern. Ihren Platz in der Armee nahmen die Männer nur ein, wenn eine Waffenübung abgehalten wurde oder Lumpengesindel aus Almach vertrieben werden musste.

      Die Offiziere waren fähige Männer. Autoritätspersonen, die von allen geschätzt und geachtet wurden. Aber auch die Hauptmänner hatten noch nie einen echten Kampf - Mann gegen Mann - bestreiten müssen. Marken seufzte tief. Man konnte nur auf die Götter vertrauen.

      Er schickte die Dienerin fort und versenkte sich ins Gebet. Er betete darum, dass die Gottheiten seine Männer beschützten. Nicht zuließen, dass der Tod seiner Untertanen auf seinem Gewissen lastete.

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      Olan der Weise saß auf dem Bock eines Wagens. Er war zu alt um noch mitzumarschieren und zu störrisch um das Reiten zu versuchen.

      Er sang nicht. Gedankenverloren starrte er in die Wolken als wolle er die Zukunft daraus lesen.

      Was sie vorhatten, war Wahnsinn, ohne Zweifel. Doch waren sie nicht verpflichtet dem schönen Volk zu helfen? Und was drohte, wenn sie nichts taten? Wenn sie aber in dieser Schlacht siegreich wären, blieben Almach und alle anderen Länder dies und jenseits der Berge verschont. Wenn nicht, Olan mochte den Gedanken nicht zu Ende denken.

      In seinem langen Leben hatte er manch bittere Zeit erlebt. Seine erste Erinnerung an Hunger und Verzweiflung lag im Winter seines vierten Lebensjahres. Ein Winter, in dem es im Dorf nur Elend und Not gab. Da Hagelstürme die Ernte vernichtet hatten und ein schweres Fieber die Menschen hinwegraffte. Er freilich wusste damals nichts davon. Er erinnerte sich an die beißende Kälte, an das seltsame Gefühl im leeren Bauch. An die Nacht, da er hatte mit ansehen müssen, wie sein Vater zum letzten Mal röchelte, ehe der vor Fieber glühende Körper für immer still lag. Das Weinen der Mutter als sie ihm sagte, es wäre kein Brot mehr da. Dann das gütige Gesicht der Großmutter, die ihm eine Schale Baumrindensuppe mit duftenden Kräutern einflößte, woraufhin er in einen tröstenden Schlaf gefallen war.

      Manches Mal in seinem Leben hatte er Tod und Elend gesehen, oft hatte er helfen können. Dank der guten Ausbildung, die er durch Mutter und Großmutter genossen hatte. Doch nie hatte Olan ein Schlachtfeld gesehen und er hatte immer gehofft, nie eines sehen zu müssen.

      Reichte es nicht, was