Sabine Gräfin von Rothenfels

Die Schlacht von Terria


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der zweiten Nacht lagerten sie auf halber Höhe des Gebirgszugs. Es war eine Nacht voller Wind und klatschendem Regen. Das ganze Gebirgsmassiv schien in Aufruhr. Das unheimliche Heulen des Sturmes kündigte bereits den nahenden Winter, obwohl es doch erst Zeit war, die Ernte einzubringen. Doch hier in den Bergen mahnte der eisige Nordwind, Mensch und Tier, sich auf die kalte Jahreszeit vorzubereiten.

      Die Pferde waren erschöpft vom steilen Anstieg. Das Gewicht der Wagen war bergauf doppelt so schwer. Sonji überwachte persönlich die Sicherung der Fuhrwerke. Keiner der Karren sollte in die Tiefe stürzen und wertvolles Material mitreißen.

      Als er seine Inspektion fast beendet hatte, hörte er ein leises Niesen aus einem der Wagen. ”Gesundheit”, murmelte er abwesend in seinen struppigen Bart. Dann jedoch stutzte er. Drehte sich auf dem Absatz um und schlug die Plane zurück. ”Potz Blitz!”, entfuhr es ihm. ”Was zum Teufel machst du denn da drin?” Er griff in das Fuhrwerk und zog eine wild strampelnde Lilly heraus. ”Was du hier machst, hab ich dich gefragt!” zischte er wütend. Das hatte ihnen gerade noch gefehlt, ein kleines Gör auf einem Feldzug!

      Lilly heulte auf. ”Lass mich runter, Onkel Sonji! Du tust mir weh!”.

      Er stellte sie auf die Füße. ”Na warte, wenn dein Vater das erfährt!” Wütend zerrte er sie in die Mitte des Lagers. ”Was ist das denn?” Der erste, der ihnen begegnete, war Prinz Hendrik. ”Ich würde es für ein ungezogenes, kleines Kind halten”, schnaufte Sonji.

      ”Das ist ja ungeheuerlich! Wo kommt die Kleine denn her?”.

      ”Wo kommt wer her?” Elmar krabbelte aus seinem Zelt und wurde augenblicklich leichenblass. ”Lilly?”, er setzte sich, wo er gerade gestanden hatte auf die blanke Erde. ”Lilly? Wie? Warum?”. Elmar suchte nach Worten.

      Der Rest der Armee versammelte sich und alle starrten überrascht auf das kleine Mädchen, das plötzlich mitten unter ihnen aufgetaucht war. Der erste der die Fassung wieder fand, war der Weise. Er beugte sich zu Lilly herab. Putzte ihr die laufende Nase und lächelte sie freundlich an. ”Na meine Kleine, du hast dich wohl im Wagen versteckt und wolltest mit auf die große Fahrt, hm?” Das Mädchen schniefte laut und nickte. ”Ich hab so schlecht geträumt. Der Mann hat gesagt, ich soll mit Papa gehen, sonst passiert was ganz schreckliches.”

      Olan stutzte: ”Welcher Mann?”.

      ”Der in meinem Traum, ein großer Mann, ganz schwarz angezogen.”

      ”Der schwarze Mann”, lachte Sonji. ”Du meine Güte!”

      Doch der Weise fand es gar nicht zum Lachen: ”Was hast du noch geträumt?”

      Das Mädchen erzählt ihre Erinnerung. ”Ich habe einen Hügel gesehen, und es waren ganz viele Männer dort und sie kämpften, glaube ich. Und dann war da ein ganz helles Licht. So hell, dass ich die Augen zukneifen musste. Und der Mann hat immerzu gesagt, kämpfe Lilly! Kämpfe und beschütze deinen Vater! Und deswegen”, sie schniefte wieder: ”habe ich mich im Wagen versteckt, damit ich bei Papa sein kann.”

      Es war totenstill. Alle Augen waren auf Elmar gerichtet, der seine Tochter schweigend umarmte.

      ”Was soll denn jetzt geschehen?” fragte Sonji schließlich im Namen aller. ”Jemand muss sie zurück nach Adria bringen.”

      ”Nein”, Lilly schrie auf: ”Lasst mich mitgehen!”

      Ihr Vater tadelte sie. ”Deine Mutter wird sich zu Tode ängstigen, hast du daran gedacht?” Die Kleine schüttelte den Kopf. ”Mein Freund Orisch weiß wo ich bin. Ich habe ihn gebeten, Mama Bescheid zu sagen, sobald ich lang genug weg bin.” Sie sah ihn triumphierend an, sehr stolz auf ihren schlauen Plan.

      Die Männer jedoch waren erschüttert. Viele kannten die jüngste Tochter ihres Hauptmannes und wussten wie lieb, aber auch abenteuerlustig, die Kleine war. Keiner wollte das Kind in Gefahr wissen und keiner der Männer konnte sich vorstellen, das Mädchen mit auf den Feldzug zu nehmen.

      Olan war tief in Gedanken versunken. Im Gegensatz zu den anderen Männern, sah er in Lillys Erzählung nicht unbedingt nur einen Kinderalptraum.

      In diesem Moment ließ ein fürchterliches Geräusch sie alle auffahren. Es war unmenschlich, grässlich. Ließ ihnen die Haare zu Berge stehen. Ein dumpfes Grollen und Fauchen. Die Erde bebte.

      Alle hatten die Waffen erhoben. Waren die Darker schon dabei über sie herzufallen? Sie starrten in die Dunkelheit. Die Pferde wieherten angstvoll und zerrten an ihren Leinen. Elmar hielt Lilly fest an sich gedrückt und umklammerte sein Schwert.

      Dann kam es über sie. Eine schwarze, kolossale Masse. Klauen und Zähne, stinkender Atem. Als das Feuer die Kreatur erhellte, schrien alle gleichzeitig auf.chapter3Image2.png

      Ein riesiger Bär verwüstete das Biwak. Eine ungeheure Kreatur, wie sie wohl nie zuvor eines Menschen Auge erblickt hatte. Er wich auch keineswegs vor den Flammen zurück, sondern kam furchtlos und geradewegs auf sie zu. Auge in Auge standen sich Mensch und Tier gegenüber.

      Ein solches Monster mit einem Schwert oder einer einzelnen Axt besiegen zu wollen schien unmöglich.

      Prinz Hendrik gab den Männern ein Zeichen und gemeinsam rückten sie vor, versuchten die Bestie einzukreisen. Doch der Bär war schlau. Wich seitlich aus und schlug seine fürchterlichen Krallen in Elmar, der sich schützend über Lilly geworfen hatte. Offenbar war sie das erklärte Ziel des Ungetüms. Lilly schrie und hob abwehrend eine Hand in Richtung des Ungetiers. Die Männer stöhnten auf. Das kleine Mädchen war dem Tod geweiht und keiner konnte ihr helfen.

      Sonji rammte dem Bären das Schwert in die Seite. Wig hatte seine Keule auf ihn niedersausen lassen. Das Tier gab einen fürchterlichen Laut von sich, der ihnen das Blut in den Adern gefrieren ließ. Mit einem Ruck befreite er sich von allen Angreifern, stieg auf zu fürchterlicher Größe. Machte auf den Hintertatzen kehrt und verschwand mit Gebrüll in der Dunkelheit.

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      Elmar und Lilly lagen am Boden. Eine Blutlache breitete sich unter ihnen aus. Eine Schrecksekunde standen alle wie erstarrt, unfähig die beiden anzurühren. Überwältigt von dem Unglück, das über sie hereingebrochen war. Da durchbrach ein leises Röcheln die Stille, Elmar bewegte sich! Sofort streckten sich ihm zwanzig Hände entgegen um ihm aufzuhelfen.

      Sonji beugte sich hinunter und hob die bewegungslose Lilly auf, aus den Armen ihres Vaters. Die Kleine lebte! Deutlich sah er, wie sich ihr Brustkorb hob und senkte. Der Hauptmann sank auf die Knie, überwältigt von dem Glücksgefühl, das ihn plötzlich durchströmte. ”Lilly?”

      Das Kind hob den Kopf. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie ihn an. ”Onkel Sonji?” Sie drehte sich in seinen Armen: ”Papa?” Ängstlich suchte sie das Gesicht ihres Vaters. Der stand schon wieder auf seinen Füßen. Wackelig zwar, doch offenbar nicht tödlich verletzt. Sein Hemd hing in Fetzen. Blut quoll aus seiner Wunde an der Schulter hervor und er war leichenblass. Er taumelte. Fing sich wieder, um dann gegen Sonji zu kippen, der noch immer am Boden kniete. Elmar streckte die Arme nach seiner Tochter aus. Die Kraft, sie hochzuheben, hatte er nicht. Lilly befreite sich aus Sonjis Umarmung und umklammerte Elmars Beine: ”Papa!” Die Männer jubelten. Das Kind hatte nicht einen Kratzer. Es war unglaublich!

      Olan bahnte sich einen Weg durch die Männer. Elmar sank wieder auf den Boden. Das stehen war zu anstrengend. Der Weise begann ihn zu versorgen. Aus seiner riesigen, abgeschabten Ledertasche förderte er eine Kräutersalbe und reines Leinen zu Tage. Er ließ sich rasch heißes Wasser bringen. Tröpfelte einige Tropfen einer trüben Tinktur hinein und begann die Wunde auszuwaschen. Elmar kommentierte es mit deftigen Flüchen hinter zusammengebissen Zähnen. Als Olan schließlich die letzten Streifen Verband anlegte, war Elmar vor Schmerz schon wieder halb besinnungslos.

      Lilly war keine Sekunde von der Seite ihres Vaters gewichen. Tapfer hatte sie seine Hand gehalten. Immer nur auf die verwüstete Fleischmasse gestarrt, die einmal Elmars Schulter gewesen war. Sonji hatte versucht sie wegzuholen,