Denise Remisberger

Ein beabsichtigter Mord mit unbeabsichtigten Folgen


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Augen. Sein Mund, eigentlich sinnlich geschwungen, war jetzt verkniffen mit fest aufeinander gepressten Lippen.

      «Ja? Was wollen Sie?», fuhr ihn Pendragona böse an.

      «Kriminalpolizei. Kapitaldelikte. Lapiedra. Ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen.» Er zückte seinen Dienstausweis.

      «Was sie nicht sagen.» Sie würdigte das Plastikkärtchen keines Blickes und blieb mit vor der Brust verschränkten Armen im Türrahmen stehen.

      Er begann mit den Füssen zu scharren, räusperte sich und wiederholte sein nicht besonders beeindruckendes Anliegen.

      Sie liess ihn gnädig ein.

      «Grüntee?»

      «Ja gerne.» Er drückte sich schräg in die Sofaecke, sie setzte sich entspannt in die Mitte, während sie ihre Füsse auf das abgewetzte Tischchen davor stellte. Er streifte kurz mit dem Blick ihre nackten Beine unter dem schwarz-rot gestreiften Minijupe, bekam eine halbe Sekunde lang einen erhitzten Gesichtsausdruck, kontrollierte sich sofort wieder und begann mit seinem Interview.

      «Hans Rabenstock ist ihr Ehemann?»

      «Was macht einer mit spanischem Namen bei der Schweizer Polizei?»

      «Ich bin eingebürgert.»

      «Sie waren Asylant?»

      «Nein. Meine Grosseltern arbeiteten schon hier, als ich noch nicht einmal geboren war», kam es gepresst zwischen den Zähnen hervor. «Ist Hans Rabenstock ihr Ehemann?»

      «War.»

      «Sie wissen, dass er tot ist?»

      «Aber sicher, ich stand ja daneben, als er vom Felsen abstürzte.»

      «Wieso haben Sie das nicht bei der Polizei gemeldet?»

      «Ach, ich dachte, die werden ihn auch alleine finden.»

      «Haben wir», tönte es knurrig. «Wieso ist er gestürzt?»

      «Ich nehme an, er hat einen Schritt zu viel gemacht und ist abgerutscht. Er wollte unbedingt noch den Sonnenuntergang auf dem Berg erleben, darum war es schon dunkel beim Abstieg.»

      «Aha. Wie nah standen Sie bei ihm, als es passierte?»

      «Vielleicht einen Schritt entfernt. Ich hatte ihm den Rücken zugekehrt.»

      «Aha. Sie konnten es also nicht kommen sehen?»

      «Nein. Wie denn?»

      «Na gut. Fürs Erste habe ich keine Fragen mehr.»

      Sie begleitete ihn zur Tür. Im Türrahmen drehte er sich nochmals zu ihr um, funkelte sie erzürnt an, machte einen drohenden Schritt auf sie zu und sagte: «Ich komme wieder.»

      Sie lächelte spöttisch zu ihm auf, machte ebenfalls einen Schritt auf ihn zu, sodass sie seinen Duft nach Rauch in den Haaren riechen konnte und sprach mit gelassener Stimme: «Aber gern doch.»

      Er verzog seinen Mund ärgerlich, drehte sich zackig um und ging.

      Sie schloss leise kichernd ihre Türe.

      3

      Am folgenden Abend ging Pendragona in ein Konzert. Sie sauste auf ihrem Velo Richtung Volkshaus, stieg am Trottoirrand ab und wollte das Fahrrad friedlich nach vorne zu einem Velobügel schieben.

      Plötzlich sprang ein schwarzhaariger Schwarzgekleideter mit Handy am Ohr aus dem Nichts und hörte bei ihrem Anblick auf zu sprechen. Raum und Zeit waren nicht mehr existent und irgendwo in der Herzgegend knallte es.

      Pendragona schob ihr Velo heftig zitternd weiter, schloss es unter zweimaligem Schlüsselrunterfallen endlich ab und torkelte auf die Haupttüre zu.

      Als sie auf dem Weg dorthin einen Blick im Rücken spürte und sich umdrehte, blickte sie in die schlitzohrig lachenden Augen des Band-Schlagzeugers der Gruppe, die sie bald hören würde, der augenscheinlich ausgeschickt wurde, um zu prüfen, ob sie auch wirklich ins Konzert wollte.

      Der Nicht-ins-Handy-sprech-Typ lehnte sich immer wieder aus einer Seitentüre, um nach Pendragona zu schauen, die lesend und gelegentlich aufschauend am Eingang Schlange stand.

      Als die Türe endlich aufging, rannte sie an die vorderste Front und erhaschte noch den letzten Stehplatz, genau vor dem Bass.

      Leider befand sich zwischen dem Metallgestell, an das sie sich anlehnte, und der Bühne ein guter Meter Abstand.

      Irgendwie fehl am Platz an solch einem alternativen Ort.

      Nach einer etwas verkaterten Vorband traten sie auf, die französische Punk-Rock-Band mit den politisch-poetischen Texten.

      Und wer begab sich nach vorne ans Mikrophon? Der Handy-Typ. Das war also der Sänger gewesen? Hatte sie das vorhin verdrängt? Den Schlagzeuger hatte sie doch auch erkannt.

      Auf alle Fälle sah er sich kurz das Publikum an, fand sie nicht in der Menge und verzog seinen schönen Mund verbittert.

      Kaum hatte sie gedacht, ob er eigentlich blind sei, riss er sich zusammen, blickte jede einzelne Person von links nach rechts in der ersten Reihe genau an, entdeckte sie endlich, schoss einen Blitzblick auf sie ab, schloss die Augen mit seligem Lächeln im Gesicht und begann zu singen.

      Immer wieder hüpfte er dem Bassisten genau vor die Nase, um in Pendragonas Augen zu versinken, bis der arme Verdeckte ihm und Pendragona so böse Blicke zuwarf, dass diese Hüpferei wieder eingestellt werden musste.

      Pendragona fühlte sich wie im siebten Himmel und radelte dann schluchzend nachhause, weil sie wusste, dass sie ihn nie wieder sehen würde. Trotzdem schrieb sie ihm einen langen Brief an die Adresse des Schlagzeugers, welche sie auf der neuesten CD beziehungsweise im Internet fand.

      Anstatt einer Antwort von ihrer grossen Liebe erhielt sie im Traum von einer blonden vollbusigen Französin die unfreundliche Aufforderung, deren Freund gefälligst in Ruhe zu lassen.

      Natürlich dachte Pendragona trotzdem noch einen ganzen Monat bittersüss an ihn, während sie seine Musik in ihren Ohren hämmern liess und seinen von ihr geträumten Kosenamen vor sich hinflüsterte, «chat rouge».

      4

      Nach einer hauptsächlich dem Entsorgen von Hansens Hausrat gewidmeten Woche, beschloss Pendragona, für ein, zwei Tage in Urlaub zu fahren. Natürlich meldete sie Herrn «Kriminalpolizei. Kapitaldelikte. Lapiedra.» nichts davon.

      Was für eine Wohltat, die Welt und sich selber von diesem Langweiler Hans befreit zu sehen. Die lähmenden Ausdünstungen seines zubetonierten Geistes hatten ihr wie einer Fliege im Spinnennetz langsam, aber sicher, den Lebensatem abgesaugt. Jetzt konnte sie ihre Lungen wieder füllen, mit Kraft und Erneuerung.

      Sie wollte in die Alpen, in die Einsamkeit, in die tiefen schattigen Wälder, fernab von allem Menschlichen.

      Sie liess also Eisenbahn, Gondelbahn, Alprestaurant und gekennzeichnete Wanderwege hinter sich und streifte lautlos auf schmalen Wildwechseln durch die nach Harz duftenden Baumwelten, durchquerte absolut stille Lichtungen, umrundete verwunschene, zum Innehalten einladende Weiher in sumpfiger Einfassung und erreichte vor der Dämmerung eine Höhle.

      Sie legte ihren Rucksack ab und ging wieder nach draussen, um Brennholz zu suchen.

      In der Höhle zurück, brach sie kleine Ästchen von den grösseren ab, stellte diese aneinander gelehnt auf, entzündete sie und legte die grösseren darüber.

      Nicht, dass sie damit kochen wollte. Das Feuer diente nur der Wärme.

      Als es langsam gemütlich wurde in der kleinen Höhle, packte sie ein paar belegte Brote mit Sesam aus und einen Thermos Grüntee.

      Gerade, als sie den ersten Bissen im Mund genüsslich kauen wollte, ertönte hinter ihr eine tiefe Stimme aus dem Nichts: «Ein Glas Wein gefällig?»

      Sie