Sarah Glicker

You Belong To Me


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waren eindeutig zu viel für mich. Die Müdigkeit übermannt mich, sodass ich meine Augen kaum noch offen halten kann. Schnell entledige ich mich meiner Klamotten und lasse sie unachtsam auf den Boden fallen. Dann streife ich mir die kurze Sporthose und ein weites Shirt über, bevor ich mich ins Bett lege. Das Licht lasse ich an und ziehe mir die Decke bis zum Kinn.

       Da ich mich nun in meinen sicheren vier Wänden befinde, kann ich die Tränen, die sich in meinen Augen sammeln, nicht mehr aufhalten. Sie laufen ungeniert über meine Wangen. Unentwegt spuken mir die Bilder von dem Mann im Kopf herum. Es ist egal, wie sehr ich es versuche, aber ich kann sie nicht verdrängen.

       Es dauert ein wenig, bis sich mein Puls soweit beruhigt, dass ich schlafen kann. Ich lege mich auf die Seite und schließe meine Augen.

       In diesem Moment habe ich nur noch den Wunsch zu schlafen.

      2

       Den ganzen Sonntag habe ich damit verbracht, ihn aus meinem Kopf zu bekommen. Was mir nicht leichtgefallen ist. Immer wieder habe ich an seine unheimliche Stimme und an die Worte denken müssen. Nach dem Aufstehen war mir der Gedanke gekommen, zur Polizei zu gehen. Aber da ich keinen Zeugen für die Drohungen habe, die er ausgesprochen hat, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie irgendetwas unternehmen können. Stattdessen habe ich versucht, mir einzureden, dass es ein Zufall war, dass er ausgerechnet mich erwischt hatte.

       Da Hannah bis abends bei ihrem Freund war, fehlte mir die Ablenkung mit ihr, die ich so dringend gebraucht hätte. Einmal war ich kurz davor, sie anzurufen, habe es aber nicht getan. Stattdessen habe ich mein Handy unter dem Kopfkissen versteckt und mich auf den Stoff der kommenden Kurse konzentriert. Schließlich habe ich es geschafft den Tag herumzubekommen. Als Hannah nachts zurückkam, konnte ich besser schlafen, da die Angst, dass der Mann noch einmal auftaucht, mit ihr verschwand.

       „Du hast am Samstag wirklich etwas verpasst. Schade, dass du schon so früh gegangen bist“, sagt Hannah, während sie neben mir zu meinem Auto geht.

       Als ich heute Morgen wach geworden bin, hätte ich mich am liebsten unter meiner Decke verkrochen und wäre liegen geblieben. Aber es ist Montag und somit ist das Wochenende vorbei. Das College und die Bücher haben nach mir gerufen. Und das ist der einzige Grund, wieso ich aufgestanden bin.

       Bei ihren Worten komme ich nicht drum herum, an meine unfreiwillige Begegnung zu denken. Vor meinem inneren Auge erscheint das Gesicht des Mannes und mir wird schlecht.

       Dass sie mich jetzt daran erinnern muss, ist wie ein Schlag ins Gesicht für mich. Gestern hatte sie kein einziges Wort über die Party verloren, weil sie damit beschäftigt war, ihre Unterlagen für die nächste Woche zu sortieren. Daher hatte ich gehofft, dass sie diesen Abend nicht mehr ansprechen würde.

       Am liebsten würde ich sofort umdrehe, um wieder in das Wohnheim zu rennen, aber das würde bedeuten, dass der Mann gewinnt. Und das ist das Letzt, was ich will. Deswegen schiebe ich meine Furcht zur Seite und richte meine Aufmerksamkeit wieder auf unsere Unterhaltung.

       „Ich glaube nicht“, wiegle ich ab und schüttle dabei energisch den Kopf. „Noch bevor ich richtig gelegen habe, bin ich schon eingeschlafen.“ Ich hoffe, dass sie die Wahrheit nicht erkennt.

       Sie wirft einen nachdenklichen Blick in meine Richtung, bevor sie ihn wieder auf die Umgebung richtet. Um uns herum befinden sich andere Studenten, die zu ihren Autos gehen, um pünktlich bei ihren Vorlesungen zu sein.

       „Du hast etwas an der Scheibe kleben!“, ruft sie nach wenigen Sekunden aufgeregt und zeigt dabei in die Richtung, in der mein Wagen steht. Verwirrt folge ich ihrem erhobenen Zeigefinger und erkenne, dass wirklich ein Blatt unter meinem Scheibenwischer gesteckt wurde.

       Schnelle lege ich die restlichen Meter zurück und ziehe das zusammengefaltete Stück Papier vorsichtig hervor. Mir schießt der Gedanke durch den Kopf, dass es sich hierbei um einen Liebesbrief handelt, der an das falsche Auto gesteckt wurde. Doch nachdem ich einen prüfenden Blick darauf geworfen habe, entdecke ich meinen Namen in dicken Großbuchstaben auf der Vorderseite.

       Mein Körper beginnt zu zittern, da sich ein ungutes Gefühl in mir breitmacht. Bevor ich ihn öffne, atme ich noch einmal tief durch und versuche so meine Nerven zu beruhigen. Aus dem Augenwinkel erkenne ich Hannahs fragenden Gesichtsausdruck, aber ich gehe nicht darauf ein. Mit flatternden Nerven falte ich es auseinander und lese die Nachricht.

       Glaubst du wirklich, dass du mir entkommen kannst?

       Ich weiß alles über dich, deine Vergangenheit und deine Zukunft.

       Wenn es so weit ist, werde ich dich erwischen und ihr werdet dafür bezahlen!

       Langsam lese ich die Worte, habe aber keine Ahnung, was sie bedeuten. Sie passen zu den Aussagen des Mannes, der mich am Samstag bedroht hat. Ich muss wissen, was er mir damit sagen will. Doch ich habe keine Ahnung, wie ich es herausfinden soll.

       Mein Puls beschleunigt sich aufs Neue. Meine Augen füllen sich mit Tränen der Verzweiflung und Hilflosigkeit aber ich erlaube es mir nicht, sie fließen zu lassen. In der Hoffnung, dass Hannah nichts bemerkt hat, schlucke ich den dicken Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hat, hinunter und stecke den Brief in meine Hosentasche.

       „Sofia? Alles in Ordnung?“, fragt meine Freundin mich im nächsten Augenblick. Dabei betrachtet sie mich prüfend. „Du siehst plötzlich blass aus.“ Bevor sie weiter nachhaken kann, nicke ich.

       „Der ist nicht für mich. Irgendein Liebesbrief, der ans falsche Auto gesteckt wurde“, erkläre ich.

       Für einen Augenblick sieht es so aus, als würde sie etwas sagen wollen. Sie zuckt aber nur mit den Schultern und steigt in den Wagen. In einem stillen Gebet danke ich Gott dafür. Sie ist zwar meine beste Freundin, aber über dieses Erlebnis möchte ich nicht einmal mit ihr sprechen. Eigentlich hatte ich gehofft, dass ich es vergessen kann, aber nachdem ich den Brief gelesen habe, gibt es keinen Zweifel mehr daran, dass der Typ es auf mich abgesehen hat.

       Niedergeschlagen folge ich ihr und setze mich hinter das Steuer meines kleinen Ford Fiesta.

       Als ich vom Straßenrand anfahren will, entdecke ich vor dem Wohnheim einen Mann, der ungefähr in meinem Alter sein muss. Er ist groß und gut gebaut, sodass er die Blicke aller Frauen um sich herum auf sich zieht. Obwohl sich sein weißes Shirt nicht über seine Oberarme spannt, sind sie doch muskulös. Auf seinen Unterarmen erkenne ich Tattoos. Einige von Ihnen reichen bis unter sein Oberteil. Die zerrissene Jeans sitzt tief auf seinen Hüften und die blonden Haare sind so lang, dass sie ihm wirr ins Gesicht fallen. In dem Augenblick, in dem sein Blick meinen trifft, habe ich das Gefühl, als würde die Erde stillstehen. Für einen Moment gibt es nur ihn und mich, obwohl das Schwachsinn ist, da wir mehrere Meter voneinander getrennt sind. Trotzdem kommt es mir vor, als hätte mich der Blitz getroffen. Es fühlt sich an, als würde ich ihn kennen. Ich spüre eine seltsame Verbindung zwischen uns, die ich mir unmöglich einbilden kann. Etwas so Intensives habe ich noch nie gefühlt.

       Vor meinen Augen spielt sich ein Traum ab. Es ist der gleiche, den ich hatte, kurz nachdem meine Mutter mit mir nach Dallas gekommen ist. Ich sehe wieder diesen blonden Jungen vor mir, der mit einem kleinen Mädchen spielt. Er lässt sie keine Sekunden aus den Augen, während sie auf einen Baum klettert. Immer wieder ruft er ihr Anweisungen zu, bis sie es sicher an ihr Ziel geschafft hat, das kleine Baumhaus, das sich hoch über ihren Köpfen befindet.

       „Sofia.“

       Hannah schnipst mit den Fingern vor meinem Gesicht herum und zieht so meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich werfe einen letzten unauffälligen Blick in die Richtung, in die gerade noch geschaut habe. Aber der Typ ist weg. Er ist einfach verschwunden. Kurz suche ich mit meinen Augen die Umgebung ab, kann ihn allerdings nicht mehr entdecken. Es ist fast so, als wäre er nie da gewesen.

       „Bist du dir sicher, dass alles klar ist? Du scheinst mir heute ein wenig verwirrt und abgelenkt zu sein“, fragt sie mich und schaut mich dabei an.

       „Mir geht es gut, wirklich. Ich habe heute nur viele Kurse