Sarah Glicker

You Belong To Me


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nimmt meine Hand in ihre und geht mit mir zu unserem Geländewagen.

       Mit sehnsüchtigem Blick drehe ich mich noch einmal um.

       Mom scheint es nicht bemerkt zu haben, denn sie gibt keine Gefühlsregung preis und öffnet den Kofferraum, um die Schultasche hineinzustellen. Wortlos steige ich vorne in den Wagen und setze mich auf den Kindersitz. Sie steigt ebenfalls ein und startet den Motor. Ich beobachte sie dabei, wie sie sich in den Verkehr einfädelt und sie Straßen entlangfährt.

       „Wer ist mein Vater?“, rutscht mir die Frage heraus, die mir seit Tagen nicht mehr aus dem Kopf geht.

       Als sie ihr Gesicht zu mir dreht, bereue ich es sofort. Die Augen meiner Mutter sind so groß, dass ich für eine Sekunde Angst davor habe, dass sie mit mir schimpfen wird. Ich habe keine Ahnung, was sie gerade denkt.

       Doch im nächsten Moment hat sie die Augen geschlossen. Als sie sie wieder öffnet, tut sie so, als hätte ich sie überhaupt nicht danach gefragt.

       Erschrocken fahre ich hoch. Meine Atmung geht schwer und der Laptop rutscht von meinen Beinen. Bevor er jedoch auf den Boden fallen kann, greife ich nach ihm und legen ihn neben mir auf das Bett.

       An das Gespräch, falls man es so nennen kann, habe ich seit Jahren nicht mehr gedacht. Ungefähr zu dem gleichen Zeitpunkt habe ich die Hoffnung aufgegeben, dass mein Vater sich für mich interessiert.

       Es dauert ein paar Atemzüge, bis ich meine Gefühle so weit im Griff habe, dass ich einen klaren Gedanken fassen kann.

       Kopfschüttelnd versuche ich, diese Erinnerung zu verbannen, und gebe das Passwort ein. Aber so sehr ich mich auch auf den Bildschirm vor mir konzentrieren will, ich schaffe es nicht.

       Ich warte auf eine Nachricht von einem meiner Professoren, aber das, was ich jetzt zu sehen bekomme, sorgt dafür, dass jeder Gedanke ans Studium in den Hintergrund tritt. Der Betreff lautet:

       Du siehst wunderschön aus, wenn du schläfst!

       Mit zittrigen Fingern öffne ich sie. Es gibt keinen Text, nur einen Anhang, ein Bild. Kurz überlege ich, ob ich wirklich wissen will, was darauf zu sehen ist, aber meine Neugier ist größer als meine Sorge. Ich klicke auf Speichern und warte darauf, dass es heruntergeladen wird. Während mein Computer das Bild öffnet, versuche ich, den unregelmäßigen Rhythmus meines Herzens in den Griff zu bekommen.

       Aber das ist vergebens, denn in der nächsten Sekunde ergreift die Panik wieder Besitz von mir.

       Auf dem Bildschirm erscheine ich, wie ich mit geöffnetem Mund in meinem Bett liege und schlafe.

       Mit großen Augen starre ich auf den PC und schlage mir die Hand vor das Gesicht.

       Bitte, lass das nur einen Scherz sein, schießt es mir durch den Kopf. Obwohl der Absender nichts dazugeschrieben hat, ist mir klar, dass es sich hierbei um den Mann handelt, der mich bedroht hat.

       Hektisch schaue ich mich um. Ich sehe sogar unter unseren Betten nach, doch hier ist niemand. Ich bin mir sicher, dass ich das Zimmer in den letzten Nächten immer abgeschlossen hatte. Meine Gedanken überschlagen sich, aber mir kommt nur eine Sache in den Kopf.

       Ich ergreife die Flucht.

       Im Gehen schnappe ich mir meine Tasche und meinen Schlüssel und verschwinde aus dem Zimmer.

       Doch weit komme ich nicht. Kaum habe ich die ersten Schritte hinter mich gebracht, knalle ich gegen etwas Hartes. Ich komme ins Schwanken und meine Hände fahren nach vorne, um Halt zu suchen. Bevor ich auf den harten Fliesenboden falle, greifen zwei Hände nach mir und drücken mich gegen die Wand. Da ich noch immer das Gesicht des Mannes vor Augen habe, schlage ich aus Reflex wild um mich. Doch ich schaffe es nicht, mein Gegenüber zu treffen, denn er nimmt meine Hände in seine und drückt sie sanft nach unten.

       Erst jetzt habe ich meinen Kopf und schaue in hellblaue Augen. Sie durchdringen mich. Ich habe das Gefühl, als könnten sie genau sehen, was gerade in mir sich geht.

       „Alles klar bei dir?“, reißt mich eine Stimme aus meiner Erstattung.

       Ich richte meine Aufmerksamkeit auf das restliche Gesicht und der nächste Schock überkommt mich. Der Typ, den ich heute Morgen aus der Ferne angestarrt habe, steht nun so dicht vor mir, dass ich seinen Atem in meinem Gesicht fühlen kann. Er lässt mich keine Sekunde aus den Augen, als würde er jede Reaktion in meinem Gesicht erkennen wollen.

       „Sicher“, bringe ich stotternd hervor, als mir klar wird, dass ich ihm noch nicht geantwortet habe.

       „Du solltest vorsichtiger sein.“ Seine Stimme ist so leise, dass ich nicht weiß, ob er überhaupt etwas gesagt hat.

       Sein plötzliches Auftauchen verschlägt mir die Sprache, sodass ich nicht mehr als ein Nicken zustande bekomme.

       Sein Geruch steigt mir in die Nase. Eine Mischung aus Aftershave, Testosteron und Duschgel. Er sorgt dafür, dass mein Körper sich das erste Mal seit Samstagabend entspannen will. Aber ich verbiete es mir selbst. Ich kenne ihn nicht und nach diesem Schock will ich nur von hier weg.

       So unauffällig wie möglich rücke ich ein Stück zur Seite.

       „Danke“, entgegne ich deutlich selbstbewusster.

       „Ich hoffe, in dem Brief heute Morgen stand etwas Nettes.“ Sein freches Lächeln zieht sich über das ganze Gesicht und er lässt seine Augenbrauen kurz nach oben springen. Dabei sieht er so unwiderstehlich aus, dass ich nur mit Mühe ein Seufzen unterdrücken kann.

       „Oh … ähm … ja“, stottere ich, da ich von seinem Themenwechsel überrascht bin.

       „Schöne Post bekommt doch jeder gerne.“

       Seine sanfte Stimme sorgt dafür, dass sich eine Gänsehaut auf meinem Körper bildet. Sie erreicht Stellen in mir, von denen ich bisher nur in Büchern und Filmen gehört habe. Sie berührt meine Seele und umschmeichelt sie. Sie setzt sich überall fest und sorgt dafür, dass ich nicht mehr weiß, wo oben und unten ist.

       „Ich muss weiter. Meine Freundin wartet schon auf mich“, flüstere ich.

       „Ich wünsche euch noch einen schönen Abend.“ Je länger er sich von meiner Nähe befindet, umso weniger klar kann ich denken.

       Ich gehörte noch nie zu den Frauen, die keine Ahnung hatten, was sie sagen sollen, nur weil ein gut aussehender Mann vor ihnen steht. Aber in diesem Moment bin ich eine von ihnen. Und darauf bin ich nicht stolz.

       „Dir auch.“ Mehr sage ich nicht, sondern dränge mich an ihm vorbei und gehe den Flur entlang. Seinen Blick spüre ich bei jedem Schritt in meinem Rücken. Erst, als ich ihm die Ecke biege, kann ich wieder befreiter atmen.

       Was war das?

       Ich bleibe stehen und lehne mich an die Wand, während andere Bewohner an mir vorbeigehen und sich unterhalten oder irgendwelche Nachrichten in ihr Handy eintippen. Sie beachten mich nicht, worüber ich froh bin. So habe ich ein paar Sekunden Zeit, damit ich meine Gedanken ordnen kann.

      3

      Die letzten Tage verliefen ruhig. Vorlesungen, Bücherei, Lernen. So sahen meine Tage von morgens bis abends aus. Am Anfang habe ich noch täglich an die beunruhigenden Ereignisse gedacht, aber als nichts weiter passiert ist, habe ich mich nach und nach beruhigt.

      „Jonas hat mich heute gefragt, ob er uns morgen zur Party abholen soll“, offenbart Hannah mir, als ich am Freitag nach der letzten Vorlesung unser Zimmer betrete.

      Sie sitzt mit einer Trainingshose und einem Pulli bekleidet auf dem Bett und hat ihren Laptop vor sich stehen. Ich werfe meine Taschen neben meinen Schreibtisch und ziehe mir die Schuhe aus. Als ich mich ebenfalls hingesetzt habe, drehe ich meinen Kopf in ihre Richtung und bemerke ihren bohrenden Blick. Bei der Erwähnung der Party wird mir schlecht. Die Angst und Verzweiflung brechen wieder über mich herein. Aber ich entscheide