Wolfgang Priedl

PUNKTUM.


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Mutter äußert einen leisen Verdacht.

      Gemeinsam mit ihrer besten Freundin Claudia, Redakteurin beim Kurier, beginnt die IT-Spezialistin mit ihren Nachforschungen. Schon bald merkt sie, wie wenig sie ihre Mutter kennt und entdeckt ein schreckliches, wohlgehütetes Geheimnis aus der Vergangenheit. Dieses betrifft nicht nur ihre Mutter, sondern auch sie selbst, noch dazu in hohem Maße …

      Der Roman spielt in Österreich. Als Vorlage dienten: Langbathsee (Salzkammergut) = Bergsee. Mischung aus Brunnkogel und Flammenkogel = Feuerkogel. Der »Berghof« (Sporthotel am Langbathsee) wurde ca. 2011 abgerissen. Lengthal = Ebensee am Traunsee. Die nicht genannte Stadt = Wien.

      Der Autor:

      Wolfgang Priedl lebt in Wien. Er war viele Jahre in der Marketing- und Werbebranche tätig. Durch Zufall entdeckte er seine Vorliebe zum Schreiben. Jedes Mal, wenn ihn heute ein gesellschaftliches Thema unter den Fingernägeln brennt, greift er zur Tastatur.

      Die menschliche Psyche fasziniert ihn genauso wie spannende Stories. Mit dem vorliegenden Text erfüllt er sich den Wunsch, eine aktuelle, sozialkritische Thematik in einen Kriminalroman zu verweben.

      Mit seinen Geschichten möchte er nicht nur unterhalten, sondern die Leser auch zum Nachdenken anregen.

      Prolog:

      Wie weit darf man gehen,

      ohne Macht zu missbrauchen?

      Wann werden Grenzen überschritten,

      wenn Macht genutzt wird?

      Hilft Transparenz, der Macht, Grenzen aufzuzeigen?

FREITAG

      1

      Anna tippt die letzte Programmzeile in den Sourcecode. Sie startet einen Probelauf und beobachtet angespannt ihren rechten Computermonitor. Eine Eingabemaske erscheint. Sie nickt zufrieden, beugt sich langsam zur Tastatur, gibt einen imaginären Namen ein und vervollständigt die restlichen Eingabefelder. Sie drückt auf >>ENTER<<.

      Auf dem zweiten Monitor, in einem leeren, schwarz hinterlegten Fenster, erscheinen lange Zahlenreihen, vermischt mit kryptischen Zeichen. Das Window füllt sich rasch. Die Symbole scrollen wie von Geisterhand nach oben. Viel zu schnell, um mit den Augen zu folgen. Plötzlich Ruhe. Anna dreht bedächtig am Mausrad und das Anzeigefeld bewegt sich Zeile für Zeile. Sie stoppt und hebt ihre Hand von der Maus. Zufrieden breitet sich ein Lächeln um ihren Mund aus. Langsam erfasst es ihr ganzes Gesicht.

      »Na, wer sagt’s denn – funktioniert«, lobt sie sich flüsternd.

      Sie greift nach dem Telefon, tippt auf eine Nummer aus dem Kurzwahlverzeichnis und wartet, bis es läutet.

      »DATAPOOL – was kann ich für Sie tun?«, meldet sich die wohlvertraute Stimme ihrer Mitarbeiterin.

      »Ich bin es – Anna – lade soeben den neuen Sourcecode auf den Server«, antwortet sie grußlos, als würde das Gespräch schon einige Zeit andauern. »Die Sicherheitsabfrage funktioniert jetzt mit unserer Verschlüsselung. So – findet ihr ab sofort in meinem Verzeichnis«,

      »Super. Danke Boss. – Deine Buben warten bereits sehnsüchtig. Ich leite die gute Nachricht sogleich weiter … Nochmals vielen Dank. Wir wünschen dir ein schönes Wochenende, Boss.«

      »Ich euch auch. Ciao.«

      Anna schaut auf ihre goldene Cartier-Uhr. Es ist knapp vor vier. Ihre Mutter hat noch immer nicht zurückgerufen. Sie checkt ihre SMS. Keine Nachricht von ihr, dafür findet sie eine Mitteilung von Claudia, ihrer engsten Freundin: ›Um fünf beim Italiener?‹

      Sie tippt, ohne auf die Tastatur zu sehen: ›ok ba‹.

      Anna wendet sich wieder ihrem Rechner zu und startet ihr wöchentliches Backup-Programm, klont ihre Festplatte 1:1. Anschließend lehnt sie sich in ihrem Drehstuhl zurück und verschränkt die Arme hinter dem Kopf. Ihr Computer rattert gleichmäßig. Mit einem tiefen Seufzer ergreift sie das Mobiltelefon. Drückt auf ›MAMA‹. Sie lässt es läuten. Lange läuten. Sehr lange läuten. »Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht. – Piep.«

      »Hallo Mama, bitte rufe mich zurück, – wo immer du bist. Mache mir langsam Sorgen.«

      Anna schüttelt den Kopf. Aus welchem Grund antwortet ihre Mutter nicht? Bereits den zweiten Tag nicht. Von Birgit, einer ihrer Mitarbeiterinnen und gleichzeitig beste Freundin, hat sie erfahren, dass sie sich den Freitag freigenommen hat. Warum hat sie es nicht ihrem letzten Gespräch erwähnt? Ungewöhnlich, denn ihre Mutter meldet sich fast täglich. So gut wie nie hört sie einen ganzen Tag lang nichts von ihr. Meist ruft sie ohne triftigen Grund an, lediglich um »Hallo« zu sagen.

      Zeitweilig hat Anna das Gefühl beschlichen, als wolle sie ihr nur mitteilen, dass sie noch am Leben sei, dass es ihr gut ginge. Ihre Äußerungen hat sie oft nur als Klangteppich, wahrgenommen, ohne die einzelnen Worte und ihre Bedeutung zu hören. So wie Kleingedrucktes, als Grauwert auf einem Blatt Papier. Sie kennt jedes ihrer Vokabel. Auswendig. Kann die Reihenfolge ihrer Sätze antizipieren.

      An manchen Tagen nervt ihre Mutter sie mit ihren Anrufen. Anna beschlich das Gefühl, unter Beobachtung zu stehen, als ob sie ein unmündiges Kind wäre, das an der Hand geführt wird, damit es nicht davonläuft. Aber heute ist sie erwachsen. Ihr kommender Geburtstag wird ein runder sein. Dreißig Jahre. Sie bedarf keiner schützenden Hand mehr. Bei nächster Gelegenheit wird sie mit ihrer Mutter über dieses Thema sprechen. – Zumindest will sie es anklingen lassen.

      Doch heute ist es anderes. Anna hat sich im Laufe der Zeit an Marias Anrufe gewöhnt. Sie könnte die Uhr danach stellen. Wenn dieses Telefonat ausbleibt, dann fehlt etwas in ihrem Tagesablauf.

      Soweit sie zurückdenken kann, hat sie ihre Mutter immer als beste Freundin gesehen. Deshalb spricht sie Maria ebenfalls mit ihrem Vornamen an; ausgenommen es handelt sich um ernste Belange, in solchen Fällen verwendet sie das Wort ›Mama‹, oder kurz ›Ma‹. Bei derart seltenen Gelegenheiten revanchierte sich ihre Mutter mit der Anrede ›Kind‹. Eine amüsante Erinnerung reiht sich an die nächste. Ihre Mundwinkel verziehen sich zu einem Lächeln.

      Ihre Armbanduhr sagt ihr, dass es höchste Zeit ist, um sich stadtfein zu machen. Im Schlafzimmer öffnet den vollen Kleiderschrank. Welches Outfit wäre das Beste? Sie wirft einen Blick aus der geöffneten Balkontür. Es ist warm. Es ist sehr warm – und schwül obendrein. Der erste Sommertag, an dem das Thermometer mittags auf achtundzwanzig Grad im Schatten kletterte. Jetzt zeigt es immer noch fünfundzwanzig an.

      Rock, T-Shirt, Blazer, High Heels – genau das Richtige.

      Anna betrachtet sich im Spiegel. Sie wischt mit dem Zeigefinger über ihre neckischen Sommersprossen, die sich beidseits ihrer Nasenwurzel unregelmäßig verteilen. Das weiße T-Shirt mit dem V-Ausschnitt schmiegt sich hauteng an ihren Oberkörper. Der kurze schwarze Minirock in Kombination mit ihren Stilettos betont ihre schlanken Beine und lässt sie noch länger erscheinen.

      »Na, da sehen wir betörend aus«, schmeichelt Anna ihrem Spiegelbild. Sie streicht ihren engen Rock glatt. An der Wohnungstür wechselt sie ihre hochhackigen Schuhe gegen ihre weißen Turnschuhe aus.

      Der kleine Italiener, mit dem riesigen Holzofen, ist nur ein paar Häuserblocks entfernt.

      In dem Gastgarten vor dem Lokal sind so früh am Abend nur wenige Tische belegt. Von Weitem sieht Anna ihre Freundin. Der Kellner neben ihr stützt sich salopp auf einer Sessellehne ab, während er mit der Anden Hand Richtung Himmel zeigt. Wenn es nur um eine Bestellung ginge, wäre seine Körperhaltung zu lässig; Claudia scheint in ihrem Element zu sein. Sie sieht verändert aus. An dem dunkelgrauen Businessanzug liegt es nicht. Anna grübelt. Mustert ihre Freundin von oben nach unten.

      »Salute!«, ruft Claudia ihr entgegen. »Was machen die Bits und Bytes?«

      »Sie