Wolfgang Priedl

PUNKTUM.


Скачать книгу

mit Jack Nicholson gedreht worden ist. Der ›Berghof‹ hat aber bei Weitem nicht die endlosen Ausmaße. Außerdem liegt er an einem malerischen See, ist viel kleiner und strahlt mehr Gemütlichkeit aus. Seit dreißig Jahren besucht sie bereits dieses Juwel hier in den Bergen. Der Efeu, der sich mit der Zeit an den Wänden emporgearbeitet hat, scheint es vor Wind und Wetter zu schützen, und alle, die sich in den Gemäuern aufhalten.

      Der Torbogen am Eingang, vor den Treppen, ist ebenfalls dicht mit Efeu überwuchert. Daneben lehnt eine schwarze Tafel, auf der mit Kreide geschrieben steht: »Herzlich willkommen im Berghof. Heute fangfrische Forellen« Sie liest, lächelt müde und nickt.

      Die Frau schleppt sich die Stufen hinauf zur Terrasse. Es macht den Eindruck, als würde sie sich am Handlauf emporziehen. Zwei Männer sitzen an einem Tisch und prosten sich mit großen Biergläsern zu.

      Im Empfangsbereich des Hotels ist niemand zu sehen. Sie geht durch die alte, mit Butzenscheiben und groben Intarsien verzierte Schwingtüre. Blickt in die Speisestube. Menschenleer. Kurz überlegt sie, ob sie die Rezeptionsklingel betätigen sollte, um den Wirt herbeizurufen. Sie entdeckt ihn hinter der Durchreiche zur Küche, eine große, schwere Gusseisenpfanne schwenkend. Norman, der in die Jahre gekommene Chef des Hauses und Koch in einer Person, ist von einer übermächtigen Rauch- und Dampfwolke umgeben. Nur schemenhaft sind seine Umrisse zu erkennen.

      »Norman!«, ruft die Frau.

      Der Koch schaut von der dampfenden Pfanne auf und erkennt die Ruferin sofort. Ein breites, freundliches Lächeln überzieht sein rundliches Gesicht.

      »Bin gleich bei dir – Moment bitte!«

      »Mach dir keine Umstände!«, ruft sie zurück. »Ich habe Zeit. Viel Zeit sogar.«

      »Zimmer wie üblich – Seeblickzimmer. Ist schon hergerichtet. Minibar ist voll. Solltest durstig sein, bediene dich. – Der Schlüssel steckt.«

      Und wie es sie dürstet. »Danke, du bist ein Schatz. – Man sieht sich nachher.«

      Die Frau dreht sich um und schleppt sich zum Aufzug. Die Anzeige sagt ihr, dass die Kabine jeden Augenblick im Erdgeschoss eintreffen wird. Die Türe gleitet zweigeteilt zur Seite. Ein stämmiger, muskulöser Mann steigt aus dem Lift. Glatzköpfig, geschätzte fünfundsechzig Jahre alt. Trägt Freizeitkleidung. Er gibt den Weg frei und grüßt.

      »Bitte sehr«, sagt er.

      »Danke«, murmelt die Frau, ihren Blick zum Boden gerichtet. Sie steigt in die leere Kabine und drückt auf die Nummer 3 – Dachgeschoss.

      Plötzlich, die Tür hat sich noch gar nicht komplett geschlossen, zuckt sie wie vom Blitz getroffen zusammen. Sie holt, durch die Nase, tief Luft. Schnuppert. Sie wankt. Ihre Knie werden weicher und weicher. Es scheint, als würde sie alle Kraft dieser Welt verlassen. Sie muss sich an der rückwärtigen Wand abstützen. Schwindel erfasst sie. Der lang gezogene Gong dröhnt in ihren Ohren. Sie legt ihre Hände an ihren Kopf, um den Lärm zu dämpfen. Die Tür öffnet sich, aber sie steigt nicht aus. Sie drückt die Taste ›E‹ für Erdgeschoss. Die Türhälften schließen sich. Während der Lift nach unten fährt, hat sie Zeit, sich zu sammeln. Was war mit ihr geschehen? Warum hat sie die Kraft verlassen?

      Es war der würzig-ledrige Duft in dem Aufzug. Dieser einzigartig herbe Männerduft. Genau der, den sie mit einem südländischen Typ mit gewelltem, langem Haar verbindet. Sollte sie diesem Mann von damals, heute hier und jetzt wieder begegnen?

      Zittrig, vorsichtig um sich blickend, verlässt sie die Aufzugskabine. Aus der Küche hört sie appetitliches Prasseln. Dazwischen das typische Hämmern eines Schlögels, der Fleisch mürbe klopft. Sie betritt zögerlich die Gaststube, von der man durch das Panoramafenster einen uneingeschränkten Blick auf die weitläufige Terrasse hat.

      Der Kahlköpfige steht bei den beiden Männern. Er greift nach einem vollen Bierglas. Sie prosten sich zu. Sie trinken. Der Glatzkopf dreht sich Richtung See. Jetzt erkennt die Frau sein Gesicht.

      Sie sucht Halt. Findet keinen. Wendet sich zur Eingangstür. Der Fluchtweg scheint kilometerweit entfernt zu sein. Ihre Kräfte drohen sie jederzeit zu verlassen. Sie bäumt sich innerlich auf. Versucht, die Orientierung zu behalten. Visiert das Treppengeländer vor dem Haus an. Ergreift es. Stützt sich unbeholfen ab. Presst ihre Hüfte gegen den verchromten Handlauf. Die Reibungswärme auf ihrer linken Handfläche steigt stetig an. Sie schafft es auf wackeligen Knien hinunter zum Parkplatz. Erreicht schweißgebadet ihr Fahrzeug. Startet wie in Trance. Ruft jahrelang eintrainierte Bewegungsabläufe ab. Tritt das Gaspedal fast bis zum Anschlag durch. Lässt die Kupplung schnalzen. Reifen quietschen.

      Der Audi A1 rast der ersten Kurve entgegen.

      *

      »Na, die Dame hat es aber eilig«, mokiert sich der Glatzköpfige, während er dem kleinen schwarzen Wagen hinterherblickt.

      »Ja, dabei sollte man annehmen, dass man es im fortgeschritteneren Lebensalter gemütlicher angeht«, erwidert der zu seiner Linken räuspernd.

      »Jungs, stört es euch gar, dass man im Alter noch Feuer unterm Arsch hat? Mag sein, dass sie einfach nur jung geblieben ist. Hast du ihre Figur gesehen? An der Körpersprache konnte man vielleicht ihr wahres Alter erkennen, aber vom Körperbau her – höchstens 40. Wenn nicht jünger … «

      »Und im Kopf noch keine 20, so wie sie Gas gegeben hat … «

      »Hallo, hallo«, unterbricht ihn der Große, der sich mit der Hand über seinen kahlen Schädel streicht. »Was haben wir nicht alles im Alter von 20 angestellt. Wir dachten damals, uns gehört die Welt alleine. Selten haben wir auf andere Rücksicht genommen. Schon gar nicht auf die im vorgerückten Alter. Haben ihre Weltanschauung nicht verstanden. Wir haben uns ohne Nachdenken, rücksichtslos, das genommen, was uns geboten wurde. Möchte jetzt gar nicht daran erinnern, was wir bei dieser Hochzeit damals trieben … War doch … «

      »Psst. – Wir haben vereinbart, nie mehr über die ›Hochzeitsnacht‹ zu sprechen. Punktum«, fällt ihm der Hagere mit den wulstigen Lippen ins Wort.

      Der Mann schweigt sofort.

      Der Bann ist gebrochen. Sie erzählen sich enthusiastisch ihre ›Heldentaten‹ von einst. So, als hätten sie die einzelnen Geschichten erst gestern erlebt. Sie lassen keine Erinnerung aus. Vom gemeinsamen Handballspiel, als sie das entscheidende Match aufgrund eines regelwidrigen Tricks zu ihren Gunsten entschieden, über das Katz und Maus Spiel mit der Verkehrspolizei, bis zu dem Abend, an dem sie mit dem Porsche die Skipiste hinaufgefahren sind, um am nächsten Tag vom Pistengerät geborgen zu werden. Vieles, das sie seinerzeit angestellt haben, würde heutzutage unweigerlich mit harten Konsequenzen geahndet und von der Gesellschaft nicht mehr akzeptiert werden.

      Der Kahlköpfige klappt seinen Computer auf und zeigt den Freunden die alten Fotos, die er in den letzten Wochen, eigens für ihr Treffen, eingescannt hat. Keines der gezeigten Bilder blieb unkommentiert. Jedes wird mit einer kurzen Geschichte verbrämt.

      *

      Der kleine Wagen rast die Bergstraße zu Tal. Er nützt die gesamte Straßenbreite. Schneidet die Kurven. In manchen hebt das hintere, kurveninnere Rad, vom Asphalt ab, wie ein Rüde, der sein Revier markiert. Entgegenkommende Fahrzeuge blinken wie wild mit ihren Scheinwerfer. Leitplanken kommen gefährlich nahe.

      Eine dicke Staubwolke steigt auf, als die Frau ihren Audi auf dem geschotterten Parkplatz vor dem alten Haus, neben der Kirche, zum Stehen bringt. Nur wenige Zentimeter vor dem schweren Motorrad, einer schwarzen ›Triumph Tiger 1050‹.

      Langsam öffnet sie die Wagentür. Das Lenkrad ist klitschnass. Schweißperlen, die der Fahrerin in die Augen rinnen, verursachen ein unangenehmes Brennen. Ihre Augen sind rot unterlaufen. Ihre Stirn lehnt erschöpft am lederumspannten Volant.

      Das Tor des Pfarrhauses öffnet sich. Ein Mann tritt ins Freie. Er trägt eine Soutane. Freudig sieht er zu dem schwarzen