Wolfgang Priedl

PUNKTUM.


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die drei Männer, im Anschluss an ein formidables Abendessen, aus dem Gastraum wieder auf die Terrasse gewechselt. Sie wollen ihre Zigarren genießen.

      Rauchen ist aber, seit die Politiker die Meinung vertreten, dass ihre Gesellschaft, die sie zu repräsentieren haben, unmündig ist, obendrein den Wirten die freie Wahl genommen haben, nur mehr im Freien erlaubt. Als die drei Männer sich ihre Zigarren anstecken, sagt der Untersetzte räuspernd, wehmütig: »Das war früher ganz anderes, als man in den Lokalen noch rauchen durfte.«

      »Ja, ja, die guten alten Zeiten, als wir selbstbestimmt durch die Welt wandelten. Damals galten die freie Wahl und Selbstverantwortung noch etwas. Wir und die Lokalinhaber durften seinerzeit noch selbst entscheiden. Dafür stinkt es heutzutage in den Diskotheken nach pubertierenden Jugendlichen, wie in einem Turnsaal … «. Sie lachen herzhaft und paffen zufrieden ihre teuren Zigarren.

      »… und damals hätte man auch nicht das Licht vor Mitternacht abgedreht. Hätte es alles früher nicht gegeben. Genauso wenig, dass wir hier im Dunkeln unseren Whisky trinken müssen«, ereifert sich der große Hagere und bläst geübt einen Rauchring in die kühle Nachtluft.

      Der Glatzköpfige stellt sein Whiskyglas auf dem breiten Geländer der Terrasse ab. Er späht zum See hinüber und sieht einen dunklen Schatten am Bootssteg stehen. Er kneift die Augen zusammen und erkennt eine Gestalt, die eine Soutane mit Kollar und schwarzem Zingulum trägt. Sie kommt auf ihn zu.

      Als der Priester an der Terrasse vorüber schlendert, sagt er: »Grüß Gott Herr Pfarrer. Genießen Sie die Kühle der Nacht?«

      »Grüß Gott. Ja – manchmal benötigt man einfach Zeit für ungestörtes Nachdenken, um seine Gedanken neu zu sortieren. Das ist der ideale Platz dafür. – Schönen Abend noch … «

      »Verzeihen Sie – eine Frage: Tragen Priester auch in ihrer Freizeit ihre Soutane?«, will der Mann wissen.

      »In unserer Region gehört es bis heute zum Brauchtum … «, antwortet Joseph im Vorübergehen, ohne anzuhalten. Ihm ist nicht nach Small-Talk. Ihm ist kalt.

       SAMSTAG

      3

      Annas Samstage sind von einem rituellen Ablauf geprägt. Zwei Stunden länger schlafen. Nach der Morgentoilette eine genüssliche Dusche. Anschließend ein kurzer Blick auf die Newsseiten der Presse. Alles ohne Zeitdruck. Danach trifft sie sich mit Claudia zum Frühstück in ihrem Stammlokal. Zwei Buttersemmel, ein großer Brauner und ein Ei im Glas. Hinterher flanieren sie bis mittags durch die Stadt, um in der Prosecco-Bar ihre Runde abzuschließen, und um das restliche Wochenende zu planen.

      Aber an diesem Samstag war der gewohnte Ablauf unterbrochen. Sie wachte früh auf. Viel zu früh. Ihre innere Unruhe weckte sie. Sie schaut sofort auf ihr Mobiltelefon. Keine Nachricht. Sie checkt ihre E-Mails. Nichts, außer Spam. Loggt sich in ihren WhatsApp-Account ein. Nichts. Zu guter Letzt überprüft sie auch noch Facebook. Wieder nichts. Anna kann nicht mehr schlafen. Selbst wenn sie es versuchen würde nochmals die Augen zu schließen, die schweren, blickdichten Vorhänge vor den Fenstern zuzieht, die Sorgen um ihre Mutter würden sie wach halten.

      Missmutig klettert sie aus ihrem Bett. Nur mit ihrem kurzen Nachthemd bekleidet wackelt sie in die Küche und schaltet den Kaffeeautomaten ein. Sie lehnt sich gegen die Küchenzeile, stützt sich mit beiden Händen ab und beobachtet tranceartig wie die dunkle Flüssigkeit in die kleine Schale tröpfelt. Anna liebt den Duft von Kaffee. Dieses Aroma weckt jeden Morgen ihre letzten, noch verbliebenden, schlummernden Lebensgeister.

      Sie nimmt die Tasse und tritt auf den Balkon hinaus. In der vergangenen Nacht musste es geregnet haben, denn die Luft ist ungewöhnlich klar. Der Wind hat die schwüle Dunstwolke aus der Stadt geblasen, die Atmosphäre gereinigt. Eine kühle, aber nicht unangenehme Brise umspült ihren Körper.

      Sie setzt sich auf den Gartenstuhl und legt ihre Beine auf das Geländer. Beinahe verbrüht sie sich ihre Zunge an dem heißen Kaffee. Langsam lässt sie die Tasse auf den Beistelltisch sinken und angelt sich ihr Telefon. Ein Blick auf ihre kleine Cartier-Uhr sagt ihr, dass es noch zu früh ist, um Claudia anzurufen. Sie holt tief Luft.

      Sie will gerade ihr Mobile beiseitelegen, als sie ein leichtes Vibrieren vom Gerät verspürt, begleitet von einem einzigen, leisen Piepton. Ah – SMS, denkt Anna.

      Neugierig holt sie es aus dem Standby-Modus und wischt über das Display. Die Nachricht ist von Claudia: »Sorry, muss zum Flammenkogel. Geschäftlich. Sonntagsausgabe will gefüllt werden. :Smiley mit heruntergezogenem Mund: Trinke einen Prosecco für mich mit. Melde mich, wenn ich zurück bin. :winkendes Smiley:«.

      »Shit … «, stößt Anna verärgert hervor. ›Muss sie gerade heute zu einer ›Story‹ gerufen werden‹, denkt sie. ›Hat sie mir gestern nicht erzählt, wie unsäglich ruhig ihre Woche war, ohne Katastrophen, ohne amüsante Geschichten, die das Leben zuweilen schreibt. Sie hat Seiten mit nebulosen Themen gefüllt. Und heute, am Wochenende wird sie in die Provinz gerufen.‹

      Das sind die weniger schönen Aspekte im Berufsleben einer Redakteurin. Die schreibende Zunft kann unmöglich ihre Freizeit im Vorhinein planen, denn sie ist fremdbestimmt.

      Anna überlegt, wie sie den Tag, ohne ihre Freundin anlegen wird. Was soll sie tun? Wie konnte sie die näheren Umstände herausfinden, warum sich ihre Mutter nicht meldet?

      Die acht Gongschläge der kleinen Pendeluhr reißen sie aus ihren Gedanken. Sie steht auf und schaltet das TV-Gerät ein. Nachrichten. Ungeduldig verfolgt sie die Berichterstattung. Sie ist weniger an den Geschehnissen in der Welt interessiert, vielmehr an den Lokalnachrichten. Keine Verkehrsunfälle, keine Wohnungsbrände, keine Überfälle, keine fatalen Unwetter, keine Naturgewalten. Nichts.

      Sind keine Nachrichten wirklich gute Nachrichten, überlegt sie zweifelnd. Anna stellt sich die Frage, wen sie noch kontaktieren könnte. Bis auf Frau Santora fällt ihr niemand ein. Ihre Mutter hat keine Freundinnen, außer eben Frau Birgit Santora. Führte ihre Mutter wirklich ein solch einsames Leben? Anna wird diese Tatsache erst jetzt bewusst. Sie blickt auf ihre Cartier. Halb neun zeigt die Uhr.

      Anna tippt Santoras Nummer ins Telefon.

      »Santora.«

      »Verzeihen Sie, dass ich Sie am Wochenende nochmals störe. Meine Mutter hat mir ja ihre private Telefonnummer – für den Fall der Fälle – geben. … «

      »Wer spricht denn? … «

      »Äh, Steiger … Anna Steiger, ich bin die Tochter von … «

      »Guten Tag. Ich weiß, wer Sie sind. Wie kann ich Ihnen helfen?«

      »Liebe Frau Santora, wir haben schon gestern miteinander telefoniert. Sie sagten mir, meine Mutter hätte sich freigenommen und wollte zu einem Freund fahren … «

      »Ja … und?«

      »Na ja, ich sorge mich. Soviel ich bis jetzt herausgefunden habe, scheinen Sie die einzige Freundin meiner Mutter zu sein. Jedenfalls hat sie immer nur Sie erwähnt, beziehungsweise von Ihnen erzählt. Mir ist erst heute bewusst geworden, dass sie anscheinend das Leben eines Eremiten führt … « Anna lässt eine kurze Pause entstehen. »Wie beschreibe ich es am besten? Im Augenblick kommt sie mir wie eine Fremde vor … «

      »… Frau Steiger, darf ich Sie unterbrechen. Ich bin auf dem Weg in die Stadt. Sie wohnen ja im Zentrum. Wollen wir uns nicht in einem Kaffeehaus treffen. Am Telefon … «

      »… Gerne«, unterbricht sie Anna. »Wann und wo ist es Ihnen recht?«

      »Sagen wir in einer Stunde?«

      »Perfekt und wo?«

      »Schlagen Sie etwas vor.«

      »An Samstagen verabrede ich mich normalerweise mit meiner Freundin in unserem Stammlokal, der ›Spaghetteria‹. Sie ist heute verhindert. Wollen wir uns dort treffen? Wissen Sie, wo das Lokal liegt?«

      »Kenne ich. Also in einer Stunde.«

      »Super.