Wolfgang Priedl

PUNKTUM.


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Rümpft ein wenig die Nase.

      »Geht es dir besser?«, fragt Thilo.

      »Es muss.« Norman lässt eine Pause entstehen. »Es muss«, wiederholt er, resignierend.

      »Komm, gehen wir hinein. Wenn sie etwas wollen, dann werden sie uns schon finden.«

      Vom Feuerwehrwagen werden Zillen abgeladen und zum See getragen. Es herrscht geschäftiges Treiben. Es wird laut gerufen. Anweisungen werden erteilt. Hüfthohe Ständer werden am Parkplatz verteilt und mit rot-weißen Plastikbändern verbunden. In regelmäßigen Abständen ist das Wort: POLIZEI. Aufgedruckt.

      Eine metallene Zille mit zwei Wachebeamten legt vom Ufer ab. Sie paddeln zur Felswand hinüber. Auf halber Strecke beschließen die Männer, sich ihrer Jacken zu entledigen. Die Sonne nähert sich unaufhaltsam dem Zenit.

      Die Polizisten nehmen die Leiche in Augenschein. Sie versuchen, nahe heranzukommen. Der Vordere kann dem Leichnam ins Gesicht sehen. Jedenfalls an die Stelle, wo es sein sollte. Er kann nur einen grässlichen Brei, geformt aus Fleisch und Knochen erkennen. Als wäre das Antlitz von einer Müllpresse zuerst zerquetscht und anschließend von einem Häcksler bearbeitet worden. Er wendet sich ab, dreht sich zur gegenüberliegenden Seite des Bootes, und übergibt sich.

      »Das ist nichts für uns. – Hier müssen die Fachleute, die Leichenbestatter oder meinetwegen die Ärzte ran. Lass uns umkehren«, sagt der Ruderer und wäscht sich mit Seewasser das restliche Erbrochene aus den Mundwinkeln.

      Auf dem Parkplatz treffen immer mehr Menschen ein. Meist Familien, die mit ihren Kindern einen Tagesausflug unternehmen. Sie wollen mit Wandern, oder mit den Booten am See, einen geruhsamen Tag verbringen. Obwohl es nicht viel zu sehen gibt, bleiben sie stehen und verfolgen neugierig das Treiben. Versperren unnötig den Weg. Gerüchte, aufgrund aufgeschnappter Wortfetzen, verbreiten sich in Windeseile unter den Gaffern. Immer wieder müssen sie gebeten werden, die Absperrungen zu respektieren.

      Auch der ›Postillion‹, die Gratiszeitung des Schwarzatales, ist bereits vertreten. Die ältere Redakteurin steht interessiert auf der Terrasse und genießt ihr erstes Glas Wein. Man kann förmlich spüren, dass dies nicht ihr ›erster Fall‹ ist. Sie strahlt die grenzenlose Ruhe der üppigen Erfahrung aus.

      Auf der Schattenseite des Parkplatzes entsteigt ein gut aussehender, durchtrainierter Mann missmutig seinem Fahrzeug. Dunkle Bartstoppeln besprenkeln sein markantes Kinn. Er schiebt mit beiden Händen die gepflegten, langen Haare in den Nacken und klemmt eine widerspenstige Haarsträhne hinter das Ohr. Der angespannte Gesichtsausdruck lässt vermuten, dass er nur zähneknirschend hier herauf gefahren ist. An diesem Morgen war er gerade dabei, zum Peilstein am Rande der Tiefebene, aufzubrechen, als ihn der Anruf seines Vorgesetzten erreichte. Mürrisch hatte er die Freunde davon unterrichtet, dass wieder ausgerechnet am Wochenende die Pflicht ruft, und er ihr Treffen absagen muss. Er vertröstete sie auf den nächsten Tag, falls sich der Sachverhalt rasch aufklärt. Sehnsüchtig schaut er hinauf zum Flammenkogel und stellt sich vor, wie er sich mit dem neuen Gleitschirm in der Thermik über den Gipfel tragen lässt, um anschließend durch das Seitental Richtung Lengthal zu schweben. Er seufzt wehmütig, stopft das Poloshirt in die Jeans, setzt die Sonnenbrille auf und wackelt gemächlich zur Absperrung hinüber. Die Westernstiefel klackern unüberhörbar über den Asphalt. Er hebt das Plastikband der Umgrenzung empor, um darunter durchzuschlüpfen, wird aber von einem drahtigen Polizisten daran gehindert. Der Mann zieht seine Dienstmarke aus der Gesäßtasche und hält sie dem Wachebeamten unter die Nase. »Oberkommissar Holzinger. Peter Holzinger«, stellt er sich vor. »Wer hat hier das Sagen?«, fragt er ihn mit tiefer, sonorer Stimme.

      Der Polizist zeigt auf einen weiteren Uniformierten, der sich mit einem Kollegen unterhält und bittet ihm zu folgen.

      Sie erzählen Holzinger von dem grausigen Fund, und dass sich der eine beim Anblick der schrecklich zugerichteten Leiche übergeben musste.

      »Sie sagten, dort oberhalb der Felswand gibt es eine Aussichtsplattform?«, fragt der Kriminalbeamte.

      »Ja, wir haben den Zugang zum Weg, der nach oben führt, abgesperrt. Nur für den Fall der Fälle.«

      »Ausgezeichnet. – Die Sperre bleibt vorläufig aufrecht. – Ich werde die Spurensicherung sicherheitshalber informieren.«

      Der Oberkommissar holt sein Mobiltelefon hervor und informiert die Spurensicherung in der Provinzhauptstadt. Sie wird in einer Stunde Vorort sein. Holzinger macht die Runde, begrüßt einen nach dem anderen persönlich und wechselt mit jedem von ihnen einige Worte. So ist es für ihn am einfachsten, sich rasch einen umfassenden Überblick zu verschaffen. Er erfährt, dass der Chef des Hotels, der die Leiche gefunden, und dessen Vater, der die Polizei verständigt hat, im Gasthof, zu finden seien.

      Peter Holzinger stapft die Treppen zur Terrasse hinauf. Oben verweilt er für einen Moment, und wirft erneut einen sehnsüchtigen Blick Richtung Flammenkogel. Den Wirt und seinen Vater kann er nicht erspähen. Als er die Gaststube betritt, huscht ein Lächeln über sein Gesicht, nimmt die Sonnenbrille ab und sagt: »Da hätte ich Gift darauf nehmen können. Der ›Postillion‹ ist wieder einmal schneller als die Polizei erlaubt … «

      »Wunderschönen Samstag, Herr Kommissar«, erwidert die in die Jahre gekommene Redakteurin des Postillions. »Haben Sie schon Neuigkeiten für uns? Unfall, Mord, Selbstmord. Unsere Leser lechzen nach Informationen.«

      »Das kann ich mir gut vorstellen. Woher haben Sie die Info, dass hier ein Unfall passiert ist?«

      »Das ist ein Redaktionsgeheimnis. Aber ich kann Ihnen versichern, wir sind nicht das einzige Blatt, das von dem Vorfall Wind bekommen hat.«

      »Und warum sind Sie heute zu zweit?«

      »Das liebe Fräulein an meiner Seite ist eine junge Kollegin – von der Konkurrenz. Darf ich vorstellen: Claudia Bigler vom ›Kurier‹.«

      Claudia erhebt sich und reicht ihm die Hand. »So trifft man sich früher als erhofft, Herr Holzinger. Jetzt habe ich ein Gesicht zur Stimme«, lächelt sie den Kommissar an.

      »Wie klein doch die Welt ist, Frau Bigler.«

      Für Claudia klingt der Tonfall des Kriminalisten in natura weit imposanter als am Telefon. Eine angenehme Gänsehaut kriecht ihrem Rücken entlang.

      »Wenn die Damen mich entschuldigen wollen, die Arbeit wartet … «, sagt Holzinger und hält nach den beiden Wirten Ausschau. Er erspäht sie hinter der Rezeption.

      »Herr Bergmann? Thilo und Norman?«, fragt der Kommissar die Wirtsleute.

      »Ja?«

      »Holzinger, Kripo. Ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.«

      »Warten sie, wir kommen zu Ihnen.«

      Claudia greift nach ihrem Diktafon und schaltet auf ›Aufnahme‹, schiebt sie es unter die Tageszeitung und sagt: »Nehmen sie unseren Tisch. Meine Kollegin und ich wollen uns sowieso noch draußen umsehen.« Mit Nachdruck komplimentiert sie die Redakteurin des Postillions zur Tür und sieht aus den Augenwinkeln, dass die Herren an ihrem Tisch Platz nehmen.

      Thilo erkundigt sich, ob er dem Kommissar etwas zu trinken anbieten dürfte.

      »Ja, wäre nett. Ich hätte gern ein Glas Mineralwasser … «

      »Kaffee dazu?«, fragt Norman.

      »Nein danke. Später vielleicht – Herr Bergmann, Sie haben die Leiche heute Morgen gefunden?«

      »Ja. – Bei der Felswand, als ich beim Fischen war. Es war so gegen halb acht.«

      »Ist Ihnen – außer der Toten – etwas aufgefallen?«

      Norman überlegt. »Nein, nichts Herr Kommissar. Ich habe sie nur zufällig entdeckt, als ich nach einem guten Angelplatz Ausschau gehalten habe. Und dabei habe ich die Leiche dort liegen gesehen.«

      »Sind Sie aus dem Boot ausgestiegen?«

      »Nein. Ich bin herangerudert und man hat von Weitem erkennen können, dass es