Wolfgang Priedl

PUNKTUM.


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du nicht fotografieren? Claudia, mach doch ein Foto. Schau … «, sagt er zu seiner Begleiterin und zieht sie an der Hand zu sich.

      »Oh Gott, ist das hoch hier. Da wird mir ganz schwindelig …«, presst sie mit weit aufgerissenen Augen hervor. Instinktiv legt Peter den Arm um sie. Claudia umschlingt seine Hüfte und klammert sich an ihm fest.

      »Ich halte dich, wenn du fotografieren willst.«

      »Versprochen?«

      »Ich hab nicht die Absicht, dich in nächster Zeit loszulassen«, säuselt er zweideutig.

      »Wie lange ist bei dir ›nächste Zeit‹?«, fragt sie ihn kokettierend.

      »Claudia, willst du nun oder nicht?«. Peter täuscht Verärgerung vor.

      »Natürlich will ich … «, antwortet sie mit einem anmachenden Augenaufschlag, hebt ihre Kamera an und stellt das Objektiv scharf. »Aber nicht loslassen … versprochen?«

      »Keine Angst – jetzt drück schon ab«, fordert er sie auf.

      Der Fotoapparat klickt. Claudia schiebt den Ring des Teleobjektivs zurück. Klick. Zu guter Letzt richtet sie das Objektiv nach oben, zum Ende der Wand. Die Digitalkamera rattert wie eine alte Nähmaschine, als sie ein Panoramafoto von der Steilwand nimmt.

      »Danke, das war’s.« Claudia haucht ein Küsschen auf Peters Wange, während dieser an den Abgrund herantritt und den leichten Aufwind verspürt. Hier ein paar Bögen mit dem Gleitschirm zu drehen, wäre sehr verlockend, denkt er.

      Er schüttelt den Kopf, als wollte er die Gedanken aus seinen Ganglien beuteln und antwortet: »Hier geht es weiter«. Peter zieht Claudia zu sich heran.

      Ihr Körper schmiegt sich an ihn. Sie küssen sich. Sie schauen einander in die Augen, bis sie ein lustvolles »Mehr« haucht.

      »Ich bin im Dienst«, weist Peter ihr Verlangen lächelnd zurück, dreht sich demonstrativ um und setzt den Weg fort. Claudia bombardiert ihn mit Fragen, die er bereitwillig beantwortet. Er muss ihr ständig von seinem Job und wobei es darauf ankommt erzählen, während sie sich insgeheim fragt: ›wer klettert hier freiwillig hinauf?‹

      Als die Beiden schweißgebadet am Seeblick ankommen, packen gerade die Männer in ihren weißen Schutzanzügen ihr Equipment ein.

      »Servus Großer … und, habt ihr etwas gefunden?«, begrüßt Peter neugierig die Runde.

      »Hallo Peter. – Nicht viel. Leider«, antwortet ihm der Ranghöchste.

      »Was bedeutet: nicht viel?«

      »Ich habe mich mit unserem Team unten, an der Fundstelle abgestimmt. Soviel steht bereits fest: Die Frau ist von hier aus in die Tiefe gestürzt. Und wie ich dir schon am Telefon mitgeteilt habe, hier gibt es Schleifspuren und den Abdruck eines Schuhs. Es könnten Kampfspuren sein oder es handelt sich um eine Abwehrbewegung. Nachdem sie von keinen anderen Spuren überlagert sind, müssen wir davon ausgehen, dass sie von … «

      »Eine Tasche oder Ähnliches?«

      »Ja, ein Mobiltelefon lag hier im Gebüsch. Ist aber nicht eingeschaltet. Vielleicht ist der Akku leer.«

      »Ladet es auf. Möglicherweise erfahren wir, wem es gehört. Ausweis?«

      »Nein, weder hier, noch bei den Leuten unten bei der Leiche.«

      »Habt ihr Holzsplitter gefunden?«, fragt Holzinger.

      »Wie kommst du jetzt auf Holzsplitter?«

      »Der Gerichtsmediziner hat mir gesagt, dass er im Hinterkopf der Toten einen Holzsplitter gefunden hat. … Die Wunde rührt von einem stumpfen Gegenstand her.«

      »Na ja, in der Mitte der Wand wachsen ein paar dürre Bäume aus den Spalten. Die haben wir natürlich nicht untersucht, denn wir haben keine Ausrüstung zum Abseilen dabei … nicht sag jetzt, wir sollen da hinunter? … «

      »Nachdem ihr hier, ich sage jetzt einmal ›Kampfspuren‹ gefunden habt, bleibt uns nichts anderes übrig. Oder?«

      »Uns? Wer ist uns?«

      »Mit uns meine ich dich und dein Team.« Peter lacht.

      »Du meinst, ich soll noch einmal hier herauf klettern? Und, dass wir uns von hier oben abseilen«, erwidert sein Kollege empört. »Aber … Nicht vor morgen«, fügt er resignierend hinzu.

      »Das würde reichen.«

      »Danke. Dann bis morgen«, verabschiedet sich der Kollege mürrisch. Er knüllt seinen Arbeitsanzug zusammen und packt ihn in den Koffer. Einer nach dem anderen schiebt sich an Claudia und Peter vorüber, um mit ihrem Abstieg zu beginnen. Als der Große an Holzinger vorübergeht, hält er kurz inne und flüstert dem Kommissar ins Ohr: »Neue Assistentin?«

      »Ach, gibt mir doch eine Ruhe«, faucht Peter mit einem breiten Lächeln auf den Lippen zurück. Als die Gruppe außer Hörweite ist, sagt er zu Claudia. »Das habe ich befürchtet. Jetzt muss ich alle befragen. Den Pfarrer, und die komplette Jagdversammlung. Das sind mindestens zwanzig Interviews. Die schaffe ich heute nicht mehr. Das bedeutet, ich bin morgen auch wieder hier. … Das sind die Wochenenden, die ich liebe.«

      »Du könntest ja hier übernachten. Das Hotel hat sicher noch Zimmer frei.«

      »Wäre eine Idee … «

      »Ich bleibe auch. Ist das ein Angebot?«, fragt sie Peter. Sie legt ihre Arme um seinen Nacken.

      »Soll das heißen, dass … «. Weiter kommt er nicht, denn Claudia hat ihren Zeigefinger auf seine Lippen gelegt. Anschließend küsst sie ihn auf den Mund.

      *

      Auf dem Parkplatz ist wieder Ruhe eingekehrt. Das Zelt ist abgebaut, nur mehr ein Einsatzfahrzeug zu sehen. Langsam streckt sich der lange Schatten des Flammenkogels über den See und das Hotel. Keine einzige Wolke zeigt sich am Himmel.

      Claudia und Peter haben auf der Terrasse Platz genommen. Der alte Thilo kommt zu ihrem Tisch und erkundigt sich, ob sie einen Getränkewunsch haben.

      »Ich hätte gerne ein Bier. … auch wenn ich noch im Dienst bin. Meine Kehle könnte man mit der Sahara vergleichen. Trocken – trockener – am durstigsten«, scherzt Peter.

      »Vom Fass oder Flasche?«

      »Vom Fass bitte. Claudia, ich lade dich ein. Was hättest du gerne?«

      »Vorab ein Mineralwasser, groß und prickelnd. Und danach einen Aperol-Spritz.«

      »Kommt sofort … «, antwortet der Alte.

      »Äh, verzeihen Sie, ist Ihr Sohn in der Nähe. Ich würde ihm gerne ein paar Fragen stellen.«

      Der betagte Thilo hält inne und dreht sich langsam zu Peter. »Wenn es nicht sein muss. Er hat sich niedergelegt, es geht ihm miserabel.«

      »Miserabel?«

      »Ja, miserabel. Er hat sich übergeben. Ich glaube, der Leichenfund hat ihm zu sehr zugesetzt … «

      »… Lassen Sie ihn schlafen. Nicht so wichtig. Andere Frage, haben Sie noch Zimmer frei?«

      »Ja. – Fünf Räumlichkeiten haben wir immer bezugsfertig hergerichtet. Wollen Sie Einzel- oder ein Doppelzimmer?«

      »Zwei Einzelzimmer bitte«, antwortet der Kriminalist. Thilo schmunzelt.

      »Ich bringe Ihnen sofort die Schlüssel.«

      Als der Wirt außer Sichtweite ist, sagt Peter zu Claudia: »Der … wie heißt er doch gleich? … Ach ja, Norman Bergmann, der scheint ja von sensibler Natur zu sein. Würde man bei seiner Körperstatur gar nicht vermuten. So kräftig und wohlgenährt, wie der aussieht.«

      »Kann ja nicht ein jeder mit solch einem Nervenkorsett ausgestattet sein, wie deiner einer«, schmeichelt