Nina Hutzfeldt

Die Seelen der Indianer


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      Sadie folgte ihrer Mutter, umarmte ihren Vater, der sie liebevoll aufs Haar küsste.

      »Mein Kind, warst du auch gehorsam?« Er legte einen Finger unter Sadies Kinn und drückte ihren Kopf leicht nach oben, so dass er ihr in die Augen sehen konnte.

      »Aber natürlich«, log sie. Dabei hatte sie ein ganz komisches Gefühl im Magen. Heute war der letzte Tag, an dem sie ihre Strafe abarbeiten musste.

      »Und wie ist es dir ergangen?« Er nahm seine Frau erneut in den Arm und ging mit ihr zum Haus.

      »Ich habe mich gut geschlagen, aber du fehlst mir immer so sehr.«

      Sadie blieb zurück. Sie nahm die Zügel und führte Silver in den Paddock. Erst dort sattelte und trenste sie ihn ab und füllte frisches Wasser in einen Krug. Danach klopfte sie ihm auf den Hals. Beauty war auf der Wiese. Er blickte gerade in Sadies Richtung und wieherte. Sadie lächelte.

      »Ich vermisse dich auch«, flüsterte sie. Silver neben ihr schnaufte.

      Sadie verließ den Paddock und blieb ihm Flur stehen. Sie lauschte, wie ihre Eltern in der Küche saßen und redeten. Aber es ging um belanglose Dinge, deshalb trat sie zu ihnen und setzte sich neben ihren Vater. »Wie geht es Rachel?«

      »Die ist krank. Wir haben sie schon eine Weile nicht mehr gesehen«, sagte Caroline schnell und nahm den pfeifenden Kessel vom Herd.

      »Oh, und das in den Ferien. Die arme, wenn du sie besuchst, grüße sie ganz lieb von mir.«

      »Sie hat eine ansteckende Krankheit. Dr. Andrews weiß auch nichts Genaues.«

      »Nicht, dass wir noch eine Cholera - Epidemie bekommen«, brummte Jason.

      »Hoffentlich nicht. Sadie, bitte sei so lieb und decke den Tisch. Mary-Jane hat mir heute Morgen einen Apfelkuchen mitgegeben.«

      »Das klingt gut.« Er lächelte.

      Von der Seite beobachtete Sadie ihren Vater. Sein Backenbart war fülliger geworden, doch sein Körper wirkte schlanker. Sadie hasste seine blaue Jacke mit den goldenen Knöpfen und das hellrote Halstuch. Diese Uniform bedeutete, dass ihr Vater wieder zurück zur Kavallerie musste. Meistens hatte er nur zwei bis drei Tage, die er mit seiner Familie verbringen konnte. Die Siedler freuten sich, wenn ein Offizier nach Hause kam. Sie waren so euphorisch, dass Mary-Jane ein Festmahl kochte, der Reverend Edwards Jason O’ Connor in seiner Predig bedachte und sogar Mr. Greene lächelte.

      Der Apfelkuchen war heute besonders gut. Sadie nippte an ihrem Tee. Caroline streichelte ihrem Mann über die Hand, bevor sie sich ihm gegenüber setzte. Seit Caroline mit Sadie zusammen nach Kansas gezogen war, kam Jason des Öfteren nach Hause, jedoch nicht oft genug. Die Arbeit in der Armee zwang ihn von einem Fort ins nächste zu reiten. Jason versuchte so wenig wie möglich von der Arbeit zu erzählen, doch heute war er sehr redselig.

      »Wie ist es euch in meiner Abwesenheit ergangen?«

      »Ganz gut. Vor den Ferien sprachen wir in der Schule über die Berufswahl.«

      »Und was möchtest du nach der Schule machen?« Jason nahm ein weiteres Stück Kuchen und teilte es auf dem Teller.

      »Ich weiß nicht.« Sadie zuckte mit den Schultern. »Vielleicht sollte ich eine Kinderfrau werden oder aber ich werde Lehrerin.«

      »Denkst du, du schaffst das?«, fragte Caroline.

      »Warum nicht? Sie ist klug und gescheit, außerdem lieben die Kinder unsere Tochter«, verteidigte Jason sie und strich ihr über den Kopf. Sadie lächelte.

      »Und wie war es bei dir? Müssen wir uns Sorgen machen?« Caroline blickte ihren Mann ernst an.

      Jason schielte zu Sadie, bevor er sich nach vorne beugte, die Unterarme auf den Tisch verschränkte und schluckte. »Die Verhandlungen mit den Indianern laufen nicht so, wie wir es uns vorgestellt haben. Sie überfallen Häuser und töten Menschen. Unser Major verhandelt gerade um die Wiedereinsetzung von General Custer.«

      »Ist das denn möglich?« Caroline war entsetzt.

      »Ich bin mir nicht sicher. Ich weiß nur, dass wir ihn brauchen. Seine Erfahrung als Gruppenführer wird die Indianer ein für allemal vernichten.« Jason schlug unbeabsichtigt laut mit der Faust auf den Tisch, so dass der Tee überschwappte. Sadie, die während des Gesprächs starr auf ihren Teller geblickt hatte, zuckte zusammen. Sie mochte nicht, wenn ihr Vater so über andere Menschen sprach. Sie wollte nicht, dass er irgendjemanden tötete.

      »Warum müsst ihr das machen? Könnt ihr nicht Frieden schließen?«

      »Sadie, mein Kind. Es wird erst wieder Friede sein, wenn alle Indianer fort sind. Hast du denn nicht zugehört? Sie töten Menschen und brennen Höfe nieder. So etwas dürfen wir auf keinen Fall durchgehen lassen.«

      »Könnt ihr denn nicht mit ihnen sprechen?«

      »Nein, das sind Wilde. Mit denen kann man nicht sprechen.« Damit stand Jason auf, stellte seinen Teller auf die Anrichte neben der Spülschale und ging hinüber in den Wohnbereich.

      »Lass deinen Vater mal zur Ruhe kommen! Er ist sicher müde. Sonst frage ihn, ob er ein Bad nehmen möchte, und lass ihm Wasser ein.« Caroline deckte den Rest ab und spülte das schmutzige Geschirr.

      »Möchtest du ein Bad nehmen, Vater?« Sadie blieb, mit verschränkten Armen hinter dem Rücken, am Torbogen zum Wohnbereich stehen.

      »Sehr gerne.« Er zog sich seine Jacke aus und reichte sie Sadie. Darunter trug er ein beiges Hemd. »Hier, nimm das mal ab und hänge es an die Garderobe.«

      Sadie tat wie ihr geheißen und hängte die Jacke auf. Danach ging sie zum Brunnen, um mehrere Eimer Wasser für das Bad zu holen. Als sie den letzten Eimer mit heißem Wasser in den Zuber hineingetan hatte, rief sie ihren Vater.

      Am darauffolgenden Tag stand Sadie schon früh auf. Heute war der erste Tag, an dem sie wieder ausreiten durfte. Sie schlich sich nach unten und suchte im Wohnbereich nach einem Blatt Papier. Sie wollte ihren Eltern eine Notiz hinterlassen, damit sie sich keine Sorgen machen müssten. Der morgendliche Ausritt war zwar ein Ritual in den Ferien, doch wollte sie heute etwas weiter hinaus reiten.

      Beauty reckte den Kopf, als Sadie das Gatter öffnete, und wieherte ihr zu. Beim Aufsatteln und Aufsteigen tänzelte er und Sadie hatte Mühe, ihn zu halten. Am liebsten wäre sie wieder abgestiegen, so ganz traute sie dem Ganzen noch nicht. Vielleicht sollte ich zu Rachel reiten und sie bitten mich zu begleiten?, dachte sie.

      Mit Vorsicht und angezogenen Zügeln ritt Sadie vom Hof und lenkte Beauty zu Rachels Haus. Diese Farm war kleiner, viel kleiner als ihre. Rachels Mutter hatte Beete mit verschiedenem Gemüse und zwei Obstbäume, die in Abständen ums Haus herum standen. Einer war kleiner als der andere, denn so alt waren die Bäume noch nicht. Die Äpfel konnten Mr. Greene noch nicht zum Verkauf angeboten werden, deshalb verkaufte Mrs. Douglas das Obst an Mary-Jane, die Äpfel und Kirschen in ihren Kuchen verarbeitete.

      Familie Douglas bewohnte ein Grassodenhaus. Ein anderes Haus war bei der geringen Ernte und den zwei Kindern, die immerzu Hunger hatten, nicht möglich. Es war einfach zu teuer, auch wenn Mr. Douglas keine Angestellten hatte, war das Geld noch zu knapp.

      Die Fensterläden waren noch geschlossen, was Sadie vermuten ließ, dass die Familie noch schlief.

      Gerade als sie mit Beauty vom Hof reiten wollte, wurden die Fensterläden aufgeklappt und Mr. Douglas lächelte in den Tag.

      »Oh, guten Morgen.«

      Sadie drehte sich um. »Guten Morgen, Mr. Douglas.«

      »Rachel ist noch nicht auf, falls du sie besuchen möchtest.«

      »Ja, hab ich mir schon gedacht.«

      »Sie wird die nächste Zeit auch keine Zeit für dich haben. Wir brauchen Hilfe auf der Farm. Seit Kurzem halten wir Schweine und Hühner. Wir verkaufen Eier und die Schweine wollen wir züchten«, berichtete er.

      »Oh, schade.«