Nina Hutzfeldt

Die Seelen der Indianer


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Er wurde durch den Sturz zerstört.«

      »Zerstört?« Ich runzelte die Stirn.

      »Ja, einige Löcher sind dort drinnen.« Black Horse ging auf die andere Seite des Tipis, wie die Indianer ihre Zelte nannten, und nahm etwas aus einer der Feldtaschen. »Hier, wir mussten den Rock zerstören, damit wir dein Bein heilen konnten.« Er reichte mir die Kleidung.

      O je, sie haben das eine Bein meiner Knickerbocker vom Bündchen an der Naht aufgeschlitzt. »Das ist lieb, doch muss ich meinen Rock tragen.« Sadie vermied zu erklären, dass es sich nicht um einen Rock handelte. Die Indianer würden nur Fragen stellen, die sie ja doch nicht beantworten konnte. Sogar in der Siedlung wurde sie mit eigenartigen Blicken bedacht, wenn eine Frau eine Hose oder eine Hose mit weiten Beinen trug. Es war für viele unvorstellbar, jedoch für Sadie angenehm. »Wenn ich eure Kleidung trage, weiß mein Vater sofort Bescheid.«

      »Es ist unhöflich, etwas abzulehnen.« Black Horse übersetzte seinem Vater die Unterhaltung.

      »Ja, ich weiß.« Sadie senkte den Kopf. »Doch ist das alles nur zu eurem Besten. Ich möchte nicht, dass euch etwas geschieht.« Deshalb schlüpfte sie mit dem einen Bein in die Hose und geriet ins Straucheln. Black Horse half ihr und setzte sie wieder zu Boden. Danach nahm er das andere Hosenbein und half ihr hinein. Es war luftig, als Black Horse Sadie erneut aufhalf. Zum Glück trug sie eine längere Bluse, die ihr bis über den Po ging.

      Als sie gemeinsam aus dem Tipi kamen, wurde Sadie von allen Seiten beäugt.

      Ein neues Gesicht in einer fremden Kultur!

      Sadie wurde schwindelig und sie taumelte leicht zur Seite. Black Horse fing sie auf und setzte sie auf einen umgekippten Baumstamm neben das Tipi. Ein junges Mädchen, nicht viel älter als sie, reichte ihr einen Schöpflöffel mit frischem Wasser. »Das ist Star Dancer«, erklärte Black Horse und sagte etwas zu ihr. Sadie nippte an dem Löffel und dankte der Indianerin mit einem Nicken.

      Danach kam ein weiterer Indianer mit großen Zähnen und Armreifen an den Oberarmen. In der Hand hielt er zwei zusammengebundene Seile, die als Zügel dienten. Sie endeten an einer selbstgebauten Trense. »Komm, ich helfe dir.« Black Horse griff Sadie unter die Arme und half ihr zusammen mit dem fremden Indianer aufs Pony hoch. Danach schwang er sich selbst auf das Pferd. Sadie blickte sich um und sah Beauty, der neben dem Schimmel stand. Big Crow kam zum Abschied und reichte Sadie murmelnd die Hände.

      »Danke für alles«, sagte sie, obwohl sie wusste, dass er nichts verstand.

      Der fremde Indianer reichte Black Horse die Zügel, die er noch zusätzlich in der Hand behielt, und trieb sein Pferd aus dem Dorf.

      Sadie griff in die Mähne und versuchte gegen das Schwindelgefühl anzukämpfen. »Lehn dich an meine Brust, wenn du nicht mehr kannst«, sagte Black Horse ruhig. Sadie war es unangenehm, doch wurden ihre Augen irgendwann zu schwer und sie schloss sie für einige Zeit. Black Horse ritt weiter, ab und zu rüttelte er sie wach, um zu fragen, wo sich das Haus befände, was Sadie mit einem Achselzucken erwiderte. Sie wusste nicht mehr, wo sie war oder wo die Indianer sie gefunden hatten. »Irgendwo in der Nähe des Arkansas River«, sagte sie und so blieb Black Horse nichts anderes übrig, als sie dort abzulegen.

      »Sadieeee, Sadieeee«, riefen mehrere Stimmen nacheinander.

      Sadie rieb sich die Stirn. Ihre Augen flatterten wie die Flügel eines jungen Vogels bei seiner ersten Flugstunde. Vorhin lag sie in den Armen eines Indianers und jetzt am Ufer des Arkansas River.

      Es war windstill, so dass das Wasser besonders ruhig war. Sie hörte einen Frosch quaken oder war das nur eine Einbildung? Sadie wusste es nicht, war nur dankbar für die medizinische Behandlung der Indianer. Nur wusste sie nicht mal, zu welchem Volk Black Horse gehörte.

      Ein Schnauben von Beauty verriet ihr, dass sie nicht alleine war.

      Die Stimmen wurden kräftiger und ihr Name hallte lauter in ihren Ohren. »Hier, bin ich«, flüsterte sie und stolperte über ihre eigenen Worte.

      »Seht her, da vorne ist Beauty«, rief jemand von der anderen Seite des Flusses. Sadie drehte den Kopf und sah Adam, der auf seinem Pferd durch den Fluss ritt, dicht gefolgt von Jason. Kurz bevor sie das andere Ufer erreichten, sprangen sie von ihren Pferden und eilten zu Sadie, die versuchte sich auf die Ellbogen zu stützen.

      »Mensch, Sadie. Wir haben dich überall gesucht. Wo hast du bloß gesteckt?« Adam strich Sadie über die Wange. »Was ist passiert?«

      »Ich bin gestürzt.«

      »Schnell, Robert.« Dr. Andrews watete mit seiner Tasche durch das Flussbett. Er war kein guter Reiter und hatte die Wassertiefe falsch eingeschätzt, so dass er zu früh vom Pferd abgestiegen war.

      Er untersuchte sie wie Big Crow, orderte Wasser und entfernte die Kompressen. Sofort wurden ihm mehrere Feldflaschen gereicht.

      »Du hast wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung und das Bein ist gebrochen. Aber das wurde schon ganz gut fixiert«, stellte er mit einem kurzen Blick fest. »Hast du das selbst gemacht?« Dr. Andrews schaute sie durch seine dicken Brillengläser an.

      Sadie nickte.

      »Sehr gut.«

      »Komm, ich helfe dir hoch und dann bringen wir dich nach Hause.« Jason half Sadie auf und setzte sie auf Beauty, der gerade am Ufer stand und trank. »Ich werde die Zügel nehmen, halte du dich gut fest. Wo ist denn dein Sattel?« Jason zog die Stirn in Falten.

      »Der ist mir beim Sturz heruntergefallen. Ich habe ihn irgendwo liegen gelassen. Ich hatte mich verirrt und war froh, als ich das Ufer erreicht hatte.«

      »Das war auch richtig so.« Jason setzte sich wieder auf sein Pferd.

      Adam stieg ebenfalls auf sein Pferd Caesar. Er wich Sadie nicht von der Seite, was manchmal anstrengend war, denn man könnte denken, dass die beiden sich gerne mögen. Sadie hatte Adam gerne, keine Frage, doch nicht so, wie er es sich wünschte. Adam war ein guter Freund, mehr nicht.

      »Wie war es in Washington?«, fragte Sadie, um der Stille zu entfliehen. Adam interessierte sich für Politik. Er hatte jeden Artikel, jedes Buch in den Händen, verfolgte das Leben des Abraham Lincoln und trauerte nach seinem Tod um ihn. Er hatte die Fahrt nach Washington von seinem Vater zum Geburtstag bekommen. Dort hatte er in einem schönen Hotel residiert und traf Andrew Johnson, der seit April 1865 das Amt des Präsidenten übernommen hatte. Adam hatte ihn bestimmt erschlagen mit seinen ganzen Fragen, die er über die Jahre gesammelt hatte. Bei diesem Gedanken schmunzelte Sadie.

      Adam griff nach der Hand seiner Freundin.

      »Nicht, bitte.« Sadie senkte den Kopf, während sie Adam lauschte.

      »In Washington war es sehr gut. Präsident Johnson war sehr nett. Ich erzählte ihm von den Problemen im Westen, den Indianern, die uns immerzu hindern, unser Leben hier aufzubauen. Er hörte mir geduldig zu und beantwortete meine Fragen.

      »Aber die Indianer waren doch als Erste hier im Land«, murmelte Sadie.

      »Mag sein, doch sie hindern uns am Fortschritt und das muss aufhören. Immer mehr Siedler folgen den Trails und werden sich hier niederlassen. Irgendwann wird aus unserer kleinen Siedlung eine richtige Stadt, du wirst schon sehen.« Adams Augen glänzten.

      Sadies Kopf fing wieder an zu schmerzen und sie hielt ihn sich kurz. Das holprige Reiten auf Beauty machte ihr zu schaffen. Diesmal konnte sie sich nicht mit geschlossenen Augen anlehnen, musste selbst das Gleichgewicht halten, was ihr schwerfiel. Jason führte die Gruppe an. Er war der beste Reiter, den sie kannte. Fast jeder Mann aus der Siedlung hatte sich Jason angeschlossen, um seine Tochter zu suchen.

      »Was ist mit dir, Sadie?« Adam ritt dichter zu Sadie und griff nach ihrer Hand.

      »Mein Kopf schmerzt so sehr.«

      »Du musst nur noch ein wenig durchhalten. Wir sind bald zuhause.«

      Caroline wartete mit Händen in den Hüften auf der Veranda. Als sie die Gruppe erkannte, kam sie auf sie zu und half zusammen mit Adam und Jason Sadie vom Pferd herunter.