Nina Hutzfeldt

Die Seelen der Indianer


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ihr Bruder ihre Freundin und sie halbnackt beim Baden erwischt hatte.

      »Nein, tut mir sehr leid.« Wie altklug er immer tat. »Ich hab Mama versprochen auf dich aufzupassen.«

      »Bitte, Matthew, geh jetzt zurück. Es ist viel zu gefährlich hier.«

      Matthew lächelte, nahm die am Ufer liegenden Kleider der Freundinnen und setzte sich auf sein Großpony. »Auf Wiedersehen, ihr beiden.«

      »Oh, Matthew, komm sofort zurück!«, befahl sie wütend und ballte ihre Hände zu Fäusten.

      Sadie schwamm zu ihrer Freundin zurück. »Sieht wohl so aus, als würden wir im Unterkleid nach Hause reiten«, scherzte sie.

      »Ich finde das gar nicht witzig.« Rachel schmollte.

      Sadie konnte sich das Lachen nicht verkneifen.

      Als hinter ihnen Wasser spritzte, drehten sich die Freundinnen wütend um, um Matthew erneut zu tadeln. Doch sie erschraken. Mit klopfenden Herzen fassten die beiden sich an den Händen und blickten einer am Flussufer stehenden Gestalt mit nacktem Oberkörper entgegen.

      Durchdringend schaute er Sadie mit seinen saphirblauen Augen an. Ihr Herz setzte aus. Auch wenn sie die Meinung ihres Vaters nicht teilte, schnürte sich ihre Taille beim Anblick eines waschechten Indianers wie ein geschlossenes Korsett zu. Er kam einen Schritt näher, woraufhin die beiden Freundinnen sich noch fester an den Händen hielten. Sein kantiges Gesicht, die pechschwarze Kriegsbemalung ließen seine Augen noch ausdrucksvoller wirken. Sadie beobachtete ihn genau.

      Ihr Vater, Jason O’ Connor war Soldat in der siebten Kavallerie und ein Feind der Indianer. Immer wieder hatte er mit seiner Frau Caroline und ihr Verhaltensübungen für den Ernstfall durchgeführt. Doch jetzt war die Liste, die sich in ihr Gehirn gebrannt hatte, wie ausgelöscht. Es war als hätte sie nie existiert.

      Vorsichtig hob er seine Hand, in der er eine zischelnde Schlange hielt, die aus seinem festen Griff nicht entkommen konnte.

      Sadie und Rachel umarmten sich. Was würde der Indianer vor ihnen jetzt tun?

      Mit zusammengekniffenen Augen warteten sie.

      Ein Knacken ließ Sadie zusammenzucken. Als sie ihre Augen öffnete, lag die Schlange tot im Wasser und der Indianer war fort. Das Gebüsch hatte ihn verschluckt.

      Im Nachhinein schämte sie sich für ihr Verhalten. Nur durch die Vorurteile anderer hatten sich die beiden so undankbar verhalten.

      Sadie und Rachel wrangen am Ufer ihre Unterwäsche aus, bevor sie sich auf den Rückweg machten. Ihre Herzen klopften immer noch wie wild.

      »Das bleibt aber unser Geheimnis, ja?«, sagte Rachel, nachdem sie sich auf Peggy gesetzt hatte. Ihre kleine Haflingerstute schnaubte zufrieden.

      »Aber natürlich. Ich möchte nicht von meiner Mutter deswegen getadelt werden.« Ebenfalls stieg Sadie auf ihren Appaloosawallach, Beauty. »Jetzt reiten wir erst einmal zu mir. Meine Mutter ist in der Siedlung, so dass wir uns dort anziehen können. Ich habe sicher noch passende Kleider für dich.«

      Der Weg war beschwerlich. Die feuchte Kleidung klebte an ihren Körpern und hinterließ eine Gänsehaut. Sie wollten so schnell wie möglich in ihre gewohnte Umgebung nach Hause zurück.

      Doch ihr Plan scheiterte, als Sadie den Einspänner vor dem Haus entdeckte.

      Caroline O’Connor trat mit verschränkten Armen vor der Brust auf die Veranda. Die Mädchen hielten an und stiegen ab.

      »Oh, je. Deine Mutter sieht aber nicht besonders gut gesinnt aus.« Rachel warf ihr blondes Haar über die Schulter.

      »Komm, wir bringen die Pferde in den Paddock.« Die Mädchen führten ihre Pferde ins Gatter hinein. Von dort aus konnte man in die angrenzende Scheune gehen, wo es Hafer und Heu gab.

      Insgesamt besaßen die O’ Connors drei Kühe, drei Pferde, einige Hühner und einen Hahn.

      »Hallo, Mutter. Warst du heute gar nicht in der Siedlung?«

      »Aber ja, sicher war ich das.« Sadie spürte den tadelnden Blick ihrer Mutter, den sie nur hatte, wenn sie wirklich erbost war. »Hallo Rachel.«

      »Hallo, Mrs. O’ Connor.«

      »Grüße doch bitte deine Mutter von mir, wenn du nachher nach Hause reitest.«

      Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Caroline, die viel zu schön für eine Mutter war. Mit ihrem langen dunklen Haar, welches locker zu einem Zopf gebunden war und ihrer schmalen Taille, die nicht verriet, dass sie jemals ein Kind geboren hatte.

      »Es tut mir sehr leid, Mutter. Wir haben die Zeit vergessen und sind zu spät.«

      »Habt ihr eure Kleider in der Prärie verloren?« Sie zog eine Augenbraue hoch.

      »Nein, Mrs. O’ Connor.« Rachel legte die Hände auf den Rücken und blickte beschämt zu Boden.

      »Am besten kommt ihr erst einmal mit ins Haus. Ihr holt euch noch eine Erkältung.« Caroline verschwand im Haus, gefolgt von den beiden Freundinnen.

      Von einem schmalen Flur konnte man durch einen Torbogen links in die Küche und rechts in den Wohnbereich schauen. Ein großes Erkerfenster spendete viel Tageslicht, so dass man abends mit einem Buch lange am Fenster sitzen konnte. Da die O’ Connors sehr wohlhabend waren, gab es einen Zuber im Haus, drei Kamine und einen neuen gusseisernen Kohleherd, worum ihre Freundinnen Caroline beneideten.

      Sadie und Rachel setzten sich auf die Bank in der Küche und warteten, bis Caroline das Wasser aufgesetzt hatte.

      »Nun, was habt ihr mir zu erzählen? Und wagt es ja nicht, mir etwas zu verschweigen.« Sie hob drohend den Zeigefinger.

      »Wir waren im Fluss schwimmen.« Sadie wagte es nicht, ihre Mutter anzublicken.

      »Grundgütiger. Du weißt, wenn dein Vater das erfährt, wird es Hausarrest geben.«

      »Ja, ich weiß.«

      »Wie oft haben wir dir gesagt, dass ihr euch nicht alleine vom Grundstück entfernen sollt? Und schon gar nicht im Arkansas River baden?«

      »Oft genug.«

      Durch das Pfeifen des Wasserkessels war Caroline für einige Minuten abgelenkt und Sadie atmete wieder gleichmäßig. »Können wir uns was Trockenes anziehen?« Sadie rutschte von der Bank. Die durchweichte Unterwäsche klebte an ihrer Haut und ließ sie frösteln.

      »Ja.« Caroline nickte. »Ihr kommt danach aber wieder zu mir.«

      »Danke, Mrs. O’ Connor.« Rachel stand auf und folgte Sadie ins obere Stockwerk.

      Ihr Zimmer war das erste auf der rechten Seite. Von hier aus hatte man einen atemberaubenden Blick über das kleine Wäldchen bis hin zur Grassteppe. Und wenn man ganz genau hinsah, konnte man in der Ferne die Anfänge der Rocky Mountains erkennen.

      »Hier, ich habe noch ein Kleid für dich.« Sadie reichte ihrer Freundin ein marineblaues Kleid mit hohem Kragen. »Und dann habe ich hier noch einen Unterrock, den schenke ich dir. Deine nasse Unterwäsche hängen wir in der Sonne auf, dann kannst du sie beim nächsten Besuch mitnehmen.« Sadie zog sich vorsichtig die Unterwäsche aus, was Rachel sehr unangenehm war. Sie drehte sich zur Wand und schlüpfte erst in den Unterrock, bevor sie die Unterwäsche abstreifte. Nun wollte sie natürlich schnell nach Hause, um sich frische Unterwäsche anzuziehen. Wahrscheinlich warteten ihre Eltern schon mit Strafarbeiten auf sie.

      In einem rubinroten Kleid trat Sadie in die Küche, wo die Teetassen bereits auf dem Tisch standen.

      »Nun trinkt erst mal den Tee.«

      »Das ist sehr nett Mrs. O’ Connor, doch ich muss nach Hause. Meine Eltern machen sich sicher schon Sorgen.« Rachel verschränkte die Hände hinterm Rücken.

      »Ja, aber sicher doch.«

      Sadie verabschiedete ihre Freundin an der Tür.

      »Es tut mir alles so leid«,