Nina Hutzfeldt

Die Seelen der Indianer


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      Die Freundinnen umarmten einander.

      In der Küche fühlte sich Sadie auf einmal verloren. Rachel hatte ihr stets den Rücken gestärkt.

      Sie setzte sich und legte die Hände um den warmen Becher.

      »Deine Freundin hat einen sehr aufmerksamen Bruder.« Caroline stemmte die Hände in die Hüften.

      »Kann schon sein. Wann hast du ihn denn gesehen?«, fragte Sadie beiläufig, die Augen in den Becher gerichtet.

      »Heute. Er kam zu mir und brachte mir deine Kleidung. Danach erzählte er mir, wo ihr wart.«

      »Aber wir haben wirklich nichts Unzüchtiges gemacht. Wir haben uns abgekühlt. Der Fluss ist so schön, anders als das Wasserloch nahe der Siedlung.«

      »Mag sein. Es geht trotzdem nicht. Ich kann dir nicht etwas erlauben, was dein Vater dir ausdrücklich untersagt hat.«

      »Er muss es doch gar nicht wissen. Bitte, Mama. Bitte, sag ihm nichts.« Sadie legte all ihre Hoffnungen in den Satz, wobei sie ein kleines Stoßgebet zum Himmel schickte. »Ich werde es bestimmt auch nicht wieder tun, versprochen.« Sadie biss sich auf die Lippe, denn sie wusste nicht, ob sie Letzteres einhalten konnte. »Wenn wir im Wasserloch gebadet hätten, wäre vielleicht eine Kutsche vorbeigekommen und die Herrschaften hätten uns in Unterwäsche gesehen.« Natürlich behielt sie das Treffen mit dem Indianer für sich.

      »Ach, Sadie. Wir waren alle mal jung. Ich habe damals auch viele Streiche mitgemacht, doch du musst erkennen, was gefährlich ist und was nicht.« Sie hielt aufzählend den Daumen und Zeigefinger fest. »Und ich bitte dich, halte dich an die häuslichen Regeln. Es geht nicht, dass du dich, wenn dein Vater fort ist, benimmst, als wäre ich nicht da. Ich bin immer noch deine Mutter.« Caroline setzte sich ihrer Tochter gegenüber und nahm Rachels unberührten Becher.

      3

      In der darauffolgenden Nacht konnte Sadie einfach nicht einschlafen. Sie drehte sich erst auf die eine und dann auf die andere Seite. Sie versuchte sogar die altbekannte Form des Schäfchenzählens, doch der Schlaf kam nicht. Immer wieder dachte sie an den gestrigen Tag. Er fing so schön an, dachte sie, außerdem ging ihr der Indianer nicht aus dem Kopf. Er hatte keine Miene verzogen, Sadie nur tief in die Augen gesehen und sie beobachtet. Aber warum hatte er sie nicht angegriffen, so wie Vater es ihr gesagt hatte? Warum hat dieser Indianer den Freundinnen das Leben gerettet, indem er diese giftige Schlange getötet hatte?

      Fragen, die in dieser Nacht unbeantwortet blieben, denn in den frühen Morgenstunden schlief Sadie ein und betrat das Reich der Träume.

      »Guten Morgen, mein Kind«, begrüßte Caroline ihre Tochter. Sie zog die Gardine zur Seite und öffnete das Fenster. »Es ist ein schöner Tag. Ich hoffe, du hast dich gestern noch ausgeruht.« Caroline hatte Sadie gestern noch aufgetragen, was sie die nächsten Wochen für Strafarbeiten zu tun hatte. Sadie hatte gestöhnt, doch war ihr bewusst, dass es keine Widerrede gab, denn sonst erführe es ihr Vater. Danach würde sie die Sonne nie mehr zu Gesicht bekommen. Was Verbote anging, war Jason O’ Connor sehr eisern.

      »Komm doch nachher mit in die Siedlung. Adam würde sich sicher freuen.« Caroline schüttelte die Bettdecke aus. Sadie gähnte und stand auf. »Vorher fange ich erst mit meinen Arbeiten an.« Schlaftrunken führte sie der Weg zu der neben dem Haus stehenden Latrine. Wenn sie nur daran dachte, das Häuschen zu säubern, wurde ihr schon unwohl, doch war diese Tätigkeit Bestandteil der Liste. Ein Schauer lief ihr den Rücken hinab.

      Danach blickte sie zu dem Paddock, wo Beauty ihr den Kopf entgegenstreckte. Als sie hinüberging, schnaubte dieser und stupste sie mit seiner weichen Nase an. »Guten Morgen, mein Junge. Hast du wenigstens gut geschlafen?« Sadie tätschelte dem Wallach den Hals und ging wieder hinein.

      Eine halbe Stunde später stand Sadie in Knickerbocker, einer wadenlange Hose mit weiten Beinen, und einer beigefarbenen Bluse in der Küche.

      »War Matthew heute schon da?«

      »Nein.« Caroline bereitete Frühstück zu.

      »Dann wird er wohl gleich kommen.« Sadie setzte sich.

      »Nein, tut mir leid.« Caroline leckte sich die Fingerspitzen ab. »Er war da, aber ich habe ihm gesagt, dass du ab sofort seine Arbeiten für die nächste Zeit erledigen wirst. Die Ställe säubern, Eier sammeln, Kühe auf die Weide bringen.«

      »Aber er braucht doch das Geld.« Sadie war sprachlos.

      Caroline verzog keine Miene. »Keine Sorge, er bekommt sein Geld, nur du wirst seine Arbeiten erledigen.«

      Sadie wollte gerade etwas erwidern, doch sie schluckte die Worte hinunter. Schweigend nahm sie sich eine Scheibe Brot und aß sie mit etwas Marmelade, die Caroline in der Siedlung erworben hatte.

      Letztes Jahr hatte sie noch selbst Marmelade und Honig hergestellt, doch sie war dazu einfach nicht gemacht. Caroline hatte immer den Luxus genossen, andere für sich arbeiten zu lassen. Was ihr hier im Westen anfangs schwergefallen war.

      Seit im Jahre 1863 das Bundesgesetz Homestead Act beschlossen wurde, strömten Menschenmassen in den Westen, um ein neues Leben zu beginnen. Dort suchten sie sich ein Stück unbesiedeltes Land, bauten ein Haus, meistens zuerst ein Grassodenhaus, und begannen das Farmland zu bewirtschaften.

      Nach fünf Jahren wurden die Siedler zu Eigentümern, manchmal auch eher, vorausgesetzt, man hatte das Geld dazu. Auch Caroline kam mit Sadie in den Westen. Sie hielt es an der Ostküste nicht mehr ohne ihren geliebten Ehemann aus, wollte ihm so nah sein wie möglich. Da er seit geraumer Zeit mit der Kavallerie durch die Great Plaints zog, besuchte er sie immer mal wieder spontan. Er beauftragte Handwerker, um seiner Familie ein wunderschönes Haus mit mehreren Kaminen zu bauen, eine Stallung und Zäune für die Tiere. Dazu eine Köchin, die hin und wieder seiner Frau unter die Arme greifen sollte.

      Caroline wollte nicht mit den anderen Frauen in der Siedlung oder im Umkreis verglichen werden. Sie wollte gesehen werden, wollte von den Männern angeschmachtet werden, trug mit Stolz ihre edlen Kleider und war ein gern gesehener Gast beim Kaffeekränzchen oder bei Veranstaltungen.

      »Wann fährst du in die Siedlung?«

      »Nach dem Frühstück. Du wärst dann bitte so lieb und spannst Blacky vor den Wagen.«

      »Aber natürlich.« Sadie aß ihr Brot auf, trank ihre Milch und stand auf.

      »Ich brauche noch einen Moment. Mach du deine Arbeiten im Stall fertig und dann fahren wir zusammen.«

      Sadie freute sich. Schnell spannte sie Blacky, das Pferd ihrer Mutter, vor den Einspänner, mistete die Ställe aus und führte die Kühe auf die Wiese. Caroline war immer noch nicht zu sehen, deshalb sattelte Sadie Beauty schon einmal. Caroline war ein ungeduldiger Mensch und vermochte es nicht zu warten. Warten tue ich schon mein halbes Leben auf deinen Vater, pflegte sie zu sagen.

      »Mutter, bist du fertig?« Sadie ging ins Haus und lugte in Küche und Wohnzimmer. Niemand war zu sehen.

      »Ich komme.« Caroline trat aus dem Schlafzimmer. Ihre weißen Handschuhe und der grazile Hut erinnerten an die Frauen aus dem Osten. Die feinen Ladys, wie die Frauen in der Siedlung sie immer nannten.

      »Und wie findest du dieses Kleid?« Caroline drehte unten im Flur eine Pirouette.

      »Sehr hübsch.«

      Es war ein hochgeschlossenes grün-schwarz kariertes Kleid mit einer Brosche am Hals, die ein Erbstück ihrer Großmutter war. Irgendwann würde Sadie die Brosche mit Stolz tragen müssen. »Blacky steht fertig vor dem Haus und Beauty ist gesattelt.«

      »Wieso Beauty?« Sie sagte es mit so einer Verachtung in der Stimme, dass es Sadie in der Seele wehtat.

      »Weil ich doch mit in die Siedlung komme.« Angestrengt überlegte Sadie, ob sie etwas falsch verstanden hatte.

      »Ja, doch wirst du mit mir fahren. Beauty kannst du auf die Weide stellen.«

      Sadie