Leon Grüne

Die Grenze


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Schnaufen den Schweiß von der Stirn.

      „Er müsste noch das Geld für die Sachen, die er sich beim letzten Mal aus dem Lager genommen hatte, bezahlen“, erzählte er mit wackeliger Stimme.

      „Fehlt denn etwas aus dem Lager?“, mischte Ivan sich zum ersten Mal mit in das Gespräch mit ein und beäugte Dominik skeptisch. Das Zögern des jungen Supermarktmitarbeiters machte ihn misstrauisch. Hinter ihnen nahm eine Mutter ihrem kleinen Sohn einen Eimer mit Kirschtomaten aus der Hand und stellte ihn zurück auf den Tisch mit den regionalen Produkten.

      „Die sind viel zu teuer“, meckerte sie ihr Kind an und nahm eine in Plastik eingeschweißte Verpackung mit Tomaten aus Spanien, die 20 Cent günstiger waren.

      „Nein“, sagte Dominik eilig, was Ivans Misstrauen nicht besänftigte. Sein Tonfall klang nicht ehrlich, sondern vielmehr so, als wenn er etwas zu verbergen hätte, aber dies in seiner Aufregung nicht wirklich überzeugend rüberbringen konnte.

      „Doch“, warf der andere Mitarbeiter neben ihm überrascht ein. Verwirrt sah Frank erst den nervösen Mann mit Akne, der mittlerweile einen hochroten Kopf bekommen hatte, dann den anderen Mitarbeiter neben ihm an, der seinen Kollegen ebenso verwirrt musterte.

      „Also, was denn nun?“

      „Seit ein paar Monaten fehlen immer wieder mal Gutscheine, Drogerieartikel und vereinzelte Lebensmittel, die aber in keinem der Kassensysteme als bezahlt aufgeführt werden“, berichtete er sachlich, ohne wie Dominik auszuschweifen oder emotional aufzudrehen.

      „Weiß ihr Chef davon?“

      „Ja, ich habe bereits vor zwei Monaten mit ihm darüber geredet, aber er meinte, dass es an den Kassen liegen könnte, wenn vereinzelte Artikel nicht in den Rechnungen auftauchen. Seitdem kontrollieren wir stärker, was gekauft wird, aber es verschwinden immer noch Sachen und die Überwachungskameras fallen ständig aus.“

      „Hat diese Woche etwas gefehlt?“, fragte Frank weiter. Im Augenwinkel beobachtete er, wie Dominik immer kleiner und nervöser zu werden schien.

      „Ja. Drei Gutscheine für Amazon im Wert von jeweils einhundert Euro und fünf Steam Karten im Wert von jeweils fünfzig Euro. Wir haben bereits einen Detektiv engagiert, der sich der Sache annimmt, aber auch der ist bisher zu keinem Ergebnis gelangt“, erzählte er und zuckte enttäuscht mit den Achseln.

      „Und Sie wussten davon nichts Herr ...“

      „Grüner“, antwortete er aufs Wort. Sein Gesicht hatte inzwischen dieselbe Farbe wie seine Pickel und strahlte eine abnormale Hitze ab. Nervös begann Dominik sich zu kratzen und wich den Blicken der beiden Beamten kontinuierlich aus.

      „Herr Grüner“, begann Frank ernst und trat einen Schritt näher an ihn heran.

      „Sie wussten also nichts davon, dass hier wöchentlich für den Verkauf bestimme Artikel aus dem Lager entwendet werden?“

      „Naja was heißt nichts davon gewusst ... Ich war bei den letzten Meetings nicht immer dabei, verstehen Sie? Das letzte Mal, als ich da war ... Nun ja ...“, stammelte er verlegen und suchte Hilfe bei seinem Kollegen, der jedoch nicht im Ansatz auch nur daran dachte, ihm zur Hilfe zu springen.

      „Herr ...?“, fragte Frank den anderen Supermarktmitarbeiter, ohne auf das Gestammel einzugehen, das Herr Grüner von sich gab.

      „Bauermann.“

      „Sagen Sie, Herr Bauermann, wann war ihr letztes Meeting?“, forderte er ihn auf und sah, wie in den Augen von Grüner vor ihm förmlich die Panik aufstieg.

      „Lange ist das noch nicht her. Vor zwei Tagen erst hat uns der Filialleiter zu einer Besprechung wegen den Diebstählen zusammengerufen“, erzählte er gelassen. Respektvoll sah er dem Polizisten in die Augen und verschränkte, wie wenn er einem ranghöheren Offizier Bericht erstatten würde, die Arme hinter dem Rücken. Er hatte nach seinem Realschulabschluss einen 20-monatigen freiwilligen Wehrdienst absolviert und spielte gerne den respektvollen und gehorsamen Soldaten, wenn es ihm möglich war. Aus diesem Grund wurde er von vielen geschätzt, da sie es liebten, wie ein hohes Tier behandelt zu werden und aus eben diesem Grund wurde er auch von vielen mit rollenden Augen betrachtet, da sie sich von ihm zum Narren gehalten fühlten, wenn er sich auf diese Art und Weise begann aufzuplustern. Auch Frank fühlte sich leicht zum Narren gehalten, ignorierte dieses Gefühl jedoch bestmöglich, da er nicht davon ausging, dass der junge Mann es tatsächlich so meinte und stufte es, wie vieles andere auch, als jugendliches Übermaß an Motivation ein.

      „War Herr Grüner anwesend?“

      Noch bevor Dominik empört und nervös zugleich widersprechen und die Antwort seines Arbeitskollegen abwürgen konnte, hatte dieser Franks Frage bereits mit einem Ja beantwortet.

      „Es ist nicht, was Sie denken, Officer ... Sehen Sie, ich war abgelenkt und habe nicht mitbekommen, dass ...“, versuchte er sich eilig in seiner Panik zu erklären. In kleinen, feinen Tropfen lief ihm der Schweiß über die Falten seiner Stirn, und er suchte vergeblich mit seinen Augen nach Hilfe oder Nachsicht von einem der drei Männer um ihn herum.

      „Sie werden mir jetzt genau zuhören, Herr Grüner, verstanden?“

      „Aber ...“

      „Haben Sie mich verstanden?“, wiederholte Frank und spielte seine ganze Autorität, die er ausstrahlte, mit Wirkung aus und Dominik nickte ihm schüchtern zu. Verzweifelt ließ er den Kopf hängen und trocknete seine Stirn mit dem Ärmel seines Poloshirts.

      „Erst einmal würde ich Sie bitten, den Blödsinn, mich Officer zu nennen, zu unterlassen. Wir sind in Deutschland und nicht in irgendeiner mittelklassigen amerikanischen Actionserie, kapiert? Sie werden mir jetzt eine Beschreibung des Mannes geben, der Ihnen neben ihrem Ausweis noch den Schlüssel abnehmen wollte, und dann werden mein Kollege und ich Sie zu ihrem Chef begleiten und eine Anzeige gegen Sie wegen Diebstahl aufnehmen. Sind Sie damit einverstanden?“, sagte Frank eiskalt.

      Dominik öffnete den Mund, um sich ein letztes Mal kläglich und erfolglos verteidigen zu wollen, schloss ihn jedoch sofort wieder, als er die ernsten, fixierten Blicke der Polizisten sah und nickte ein weiteres Mal schwach.

      „Gut“, sagte Frank, nahm einen kleinen Notizblock samt Stift aus seiner Jacke und machte sich bereit zu notieren, was Herr Grüner über den Mann zu erzählen hatte.

      „Also? Wie sah der Mann aus?“, fragte er sichtlich entspannter und ließ die Mine des Kugelschreibers herausschnellen.

      „Es war ein alter Mann. Um die 80, würde ich schätzen, und sein Gesicht war voller Falten“, erzählte er.

      Auch er wirkte etwas entspannter. Vermutlich kam seine Gelassenheit daher, dass die seelische Last, die dieses Geheimnis mit sich gezogen hatte, nun von ihm abgefallen war und sein Gewissen glatt einen Zentner an Gewicht verloren hatte.

      „Irgendwelche Auffälligkeiten? Merkmale, an denen man ihn identifizieren könnte?“

      Frank begrüßte die neu gewonnene Leichtigkeit des Mannes sehr. Es ersparte ihm viel Mühe, dass er die Sachen nun nicht mehr aus ihm herausquetschen musste, sondern er sie bereitwillig zugab und endlich seine Aussagen wegen des „Verrückten“, wie er ihn bezeichnet hatte, tätigen konnte.

      „Seine Augen. Die waren gelb“, erzählte er.

      „Wahrscheinlich jemand mit Leberproblemen“, murmelte Frank und warf einen Blick zu Ivan hinüber, der sich etwas weiter links positioniert hatte, um den jungen Mitarbeiter notfalls aufhalten zu können, wenn er an Frank vorbeilaufen wollen würde, um zu fliehen.

      „Nicht so gelbe Augen“, warf Dominik ein.

      „Wie meinen Sie das?“

      „Seine Augen waren nicht gelb wie bei einer Krankheit, sondern das Innere. Dies hier“, erzählte er und zeigte auf die Iris seines rechten Auges. Wahrscheinlich gelbe Kontaktlinsen, kritzelte er in seiner unsauberen Schreibschrift auf den Block.

      „Gibt es noch etwas Auffälliges, das Sie uns über ihn sagen können? War